Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nungen auf ein noch so bescheidenes Amt sich realisiren würden? -- Verzweifelte Lage! Nach langem Kampfe entschloß ich mich, die mir gemachte Mittheilung treu zu bewahren, dem Amtmann aber selbst bei einer passenden Gelegenheit frei und furchtlos das Verwerfliche seines Beginnens vorzuhalten. Im äußersten Falle würd' ich meine Entlassung nehmen und den Schutz der Gerichte anrufen, um das Fräulein seiner Gewalt zu entziehen. Zu diesem letzten Mittel hatte ich freilich selbst wenig Vertrauen, und nur die feste Ueberzeugung, daß Anna von Halden nie den Antragen ihres Oheims Gehör geben würde, hielt mich in dieser schrecklichen Lage von übereilten Schritten zurück. Wie bitter empfand ich damals das Gefühl meiner Abhängigkeit. Wie ängstlich sucht' ich nach einem Ausweg, der mir eine anständige Selbständigkeit gewähren konnte! -- Ich schrieb an meinen Gönner, den Professor H., ob er mir nicht eine noch so geringe Lehrstelle an einer öffentlichen Anstalt verschaffen konnte. Bevor ich jedoch seine Antwort erhielt, traten große Veränderungen ein. Von den Erfolgen der Verbündeten waren nur vage Gerüchte an uns gelangt. Da kam plötzlich im Oktober die große Kunde von der Schlacht bei Leipzig und von dem fluchtartigen Rückzug des französischen Heeres. Meine alten Gefühle erwachten, und ich beschloß in einer Stunde heiliger Begeisterung, mich als Freiwilliger der ersten deutschen Truppenschaar anzuschließen, welche unsre Gegend betreten würde. Ich theilte vor der Hand Niemandem mein Vorhaben mit. Ich leugne nicht, daß mir dieser Entschluß schwer geworden; entsagt' ich doch damit vor der Hand all jenen idyllischen Träumen, die mich noch vor wenigen Wochen so entzückt hatten! -- mußt' ich doch zwei mir unendlich theure Personen in der hülflosesten Lage zurücklassen -- vielleicht um sie nie wieder zu sehen! nungen auf ein noch so bescheidenes Amt sich realisiren würden? — Verzweifelte Lage! Nach langem Kampfe entschloß ich mich, die mir gemachte Mittheilung treu zu bewahren, dem Amtmann aber selbst bei einer passenden Gelegenheit frei und furchtlos das Verwerfliche seines Beginnens vorzuhalten. Im äußersten Falle würd' ich meine Entlassung nehmen und den Schutz der Gerichte anrufen, um das Fräulein seiner Gewalt zu entziehen. Zu diesem letzten Mittel hatte ich freilich selbst wenig Vertrauen, und nur die feste Ueberzeugung, daß Anna von Halden nie den Antragen ihres Oheims Gehör geben würde, hielt mich in dieser schrecklichen Lage von übereilten Schritten zurück. Wie bitter empfand ich damals das Gefühl meiner Abhängigkeit. Wie ängstlich sucht' ich nach einem Ausweg, der mir eine anständige Selbständigkeit gewähren konnte! — Ich schrieb an meinen Gönner, den Professor H., ob er mir nicht eine noch so geringe Lehrstelle an einer öffentlichen Anstalt verschaffen konnte. Bevor ich jedoch seine Antwort erhielt, traten große Veränderungen ein. Von den Erfolgen der Verbündeten waren nur vage Gerüchte an uns gelangt. Da kam plötzlich im Oktober die große Kunde von der Schlacht bei Leipzig und von dem fluchtartigen Rückzug des französischen Heeres. Meine alten Gefühle erwachten, und ich beschloß in einer Stunde heiliger Begeisterung, mich als Freiwilliger der ersten deutschen Truppenschaar anzuschließen, welche unsre Gegend betreten würde. Ich theilte vor der Hand Niemandem mein Vorhaben mit. Ich leugne nicht, daß mir dieser Entschluß schwer geworden; entsagt' ich doch damit vor der Hand all jenen idyllischen Träumen, die mich noch vor wenigen Wochen so entzückt hatten! — mußt' ich doch zwei mir unendlich theure Personen in der hülflosesten Lage zurücklassen — vielleicht um sie nie wieder zu sehen! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0056"/> nungen auf ein noch so bescheidenes Amt sich realisiren würden? — Verzweifelte Lage! </p><lb/> <p>Nach langem Kampfe entschloß ich mich, die mir gemachte Mittheilung treu zu bewahren, dem Amtmann aber selbst bei einer passenden Gelegenheit frei und furchtlos das Verwerfliche seines Beginnens vorzuhalten. Im äußersten Falle würd' ich meine Entlassung nehmen und den Schutz der Gerichte anrufen, um das Fräulein seiner Gewalt zu entziehen. Zu diesem letzten Mittel hatte ich freilich selbst wenig Vertrauen, und nur die feste Ueberzeugung, daß Anna von Halden nie den Antragen ihres Oheims Gehör geben würde, hielt mich in dieser schrecklichen Lage von übereilten Schritten zurück. </p><lb/> <p>Wie bitter empfand ich damals das Gefühl meiner Abhängigkeit. Wie ängstlich sucht' ich nach einem Ausweg, der mir eine anständige Selbständigkeit gewähren konnte! — Ich schrieb an meinen Gönner, den Professor H., ob er mir nicht eine noch so geringe Lehrstelle an einer öffentlichen Anstalt verschaffen konnte. Bevor ich jedoch seine Antwort erhielt, traten große Veränderungen ein. </p><lb/> <p>Von den Erfolgen der Verbündeten waren nur vage Gerüchte an uns gelangt. Da kam plötzlich im Oktober die große Kunde von der Schlacht bei Leipzig und von dem fluchtartigen Rückzug des französischen Heeres. Meine alten Gefühle erwachten, und ich beschloß in einer Stunde heiliger Begeisterung, mich als Freiwilliger der ersten deutschen Truppenschaar anzuschließen, welche unsre Gegend betreten würde. </p><lb/> <p>Ich theilte vor der Hand Niemandem mein Vorhaben mit. Ich leugne nicht, daß mir dieser Entschluß schwer geworden; entsagt' ich doch damit vor der Hand all jenen idyllischen Träumen, die mich noch vor wenigen Wochen so entzückt hatten! — mußt' ich doch zwei mir unendlich theure Personen in der hülflosesten Lage zurücklassen — vielleicht um sie nie wieder zu sehen! </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
nungen auf ein noch so bescheidenes Amt sich realisiren würden? — Verzweifelte Lage!
Nach langem Kampfe entschloß ich mich, die mir gemachte Mittheilung treu zu bewahren, dem Amtmann aber selbst bei einer passenden Gelegenheit frei und furchtlos das Verwerfliche seines Beginnens vorzuhalten. Im äußersten Falle würd' ich meine Entlassung nehmen und den Schutz der Gerichte anrufen, um das Fräulein seiner Gewalt zu entziehen. Zu diesem letzten Mittel hatte ich freilich selbst wenig Vertrauen, und nur die feste Ueberzeugung, daß Anna von Halden nie den Antragen ihres Oheims Gehör geben würde, hielt mich in dieser schrecklichen Lage von übereilten Schritten zurück.
Wie bitter empfand ich damals das Gefühl meiner Abhängigkeit. Wie ängstlich sucht' ich nach einem Ausweg, der mir eine anständige Selbständigkeit gewähren konnte! — Ich schrieb an meinen Gönner, den Professor H., ob er mir nicht eine noch so geringe Lehrstelle an einer öffentlichen Anstalt verschaffen konnte. Bevor ich jedoch seine Antwort erhielt, traten große Veränderungen ein.
Von den Erfolgen der Verbündeten waren nur vage Gerüchte an uns gelangt. Da kam plötzlich im Oktober die große Kunde von der Schlacht bei Leipzig und von dem fluchtartigen Rückzug des französischen Heeres. Meine alten Gefühle erwachten, und ich beschloß in einer Stunde heiliger Begeisterung, mich als Freiwilliger der ersten deutschen Truppenschaar anzuschließen, welche unsre Gegend betreten würde.
Ich theilte vor der Hand Niemandem mein Vorhaben mit. Ich leugne nicht, daß mir dieser Entschluß schwer geworden; entsagt' ich doch damit vor der Hand all jenen idyllischen Träumen, die mich noch vor wenigen Wochen so entzückt hatten! — mußt' ich doch zwei mir unendlich theure Personen in der hülflosesten Lage zurücklassen — vielleicht um sie nie wieder zu sehen!
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