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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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herrlicher Wille seinen Wiederklang finden, - ja, das bloße Dasein des Geistes schon verwirklicht in etwas ihre anspruchsvollen Wünsche, insofern sie von ihm aus erst wieder als einheitliche Macht auf alles zurückstrahlen, und sei es auch einstweilen nur als ein Scheinfeuerwerk: als Illusion.

Es begreift sich, warum sogar noch Schopenhauer einen tiefen Griff in seinen metaphysischen Sack tat, um diese Liebesillusion als eine der verschmitztesten Mausefallen seines "Willens zum Leben" zu verfehmen, mitsamt ihrem blendenden Köder darin: man fühlt förmlich die Wut aller Düpierten heraus. Denn allerdings, von dem Augenblick an, wo das Geschlechtliche einfach eingereiht ist als ein Einzelprozeß unter die vielen sonstigen im hochorganisierten Körper, muß die brennend eifrige Gesamtergriffenheit gewissermaßen ins Leere ausschwingen. Sie kann nur noch Luxussache sein um die geschlechtlichen Tatsachen herum, sozusagen Lock- und Verführungsarbeit, die das Notwendige und Wirkliche dran umkleidet und schmückt mit einem vergeuderischen Überfluß, den ihr keine Wirklichkeit je zurückzahlt. Und dennoch unterliegt sie damit nicht lediglich einer Selbstbetrügerei, wie viele andre sie auch unwillkürlich mitbetrügen mag: sie versucht nur zum erstenmal mit rein geistigen Mitteln sich einen eigenen Weg, einen Geistesweg, durch die körperlichen Bedrängnisse zu bahnen bis in irgend ein verlornes Paradies. Darum erleben wir sie um so gewisser, je echter eine Liebe in uns ist, und mischt sich erst unsre ganze Hirnkraft helfend ein, dann nur um so verrückter.

Nicht selten liegt im ganzen Verhalten von Liebenden gegeneinander ein wenig von dieser Ahnung ausgedrückt, dem andern doch nur verklärt, verhüllt, sichtbar zu sein, und - ohne jede Pose oder Absicht - ein gleichsam davon

herrlicher Wille seinen Wiederklang finden, – ja, das bloße Dasein des Geistes schon verwirklicht in etwas ihre anspruchsvollen Wünsche, insofern sie von ihm aus erst wieder als einheitliche Macht auf alles zurückstrahlen, und sei es auch einstweilen nur als ein Scheinfeuerwerk: als Illusion.

Es begreift sich, warum sogar noch Schopenhauer einen tiefen Griff in seinen metaphysischen Sack tat, um diese Liebesillusion als eine der verschmitztesten Mausefallen seines „Willens zum Leben“ zu verfehmen, mitsamt ihrem blendenden Köder darin: man fühlt förmlich die Wut aller Düpierten heraus. Denn allerdings, von dem Augenblick an, wo das Geschlechtliche einfach eingereiht ist als ein Einzelprozeß unter die vielen sonstigen im hochorganisierten Körper, muß die brennend eifrige Gesamtergriffenheit gewissermaßen ins Leere ausschwingen. Sie kann nur noch Luxussache sein um die geschlechtlichen Tatsachen herum, sozusagen Lock- und Verführungsarbeit, die das Notwendige und Wirkliche dran umkleidet und schmückt mit einem vergeuderischen Überfluß, den ihr keine Wirklichkeit je zurückzahlt. Und dennoch unterliegt sie damit nicht lediglich einer Selbstbetrügerei, wie viele andre sie auch unwillkürlich mitbetrügen mag: sie versucht nur zum erstenmal mit rein geistigen Mitteln sich einen eigenen Weg, einen Geistesweg, durch die körperlichen Bedrängnisse zu bahnen bis in irgend ein verlornes Paradies. Darum erleben wir sie um so gewisser, je echter eine Liebe in uns ist, und mischt sich erst unsre ganze Hirnkraft helfend ein, dann nur um so verrückter.

Nicht selten liegt im ganzen Verhalten von Liebenden gegeneinander ein wenig von dieser Ahnung ausgedrückt, dem andern doch nur verklärt, verhüllt, sichtbar zu sein, und – ohne jede Pose oder Absicht – ein gleichsam davon

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[23/0023] herrlicher Wille seinen Wiederklang finden, – ja, das bloße Dasein des Geistes schon verwirklicht in etwas ihre anspruchsvollen Wünsche, insofern sie von ihm aus erst wieder als einheitliche Macht auf alles zurückstrahlen, und sei es auch einstweilen nur als ein Scheinfeuerwerk: als Illusion. Es begreift sich, warum sogar noch Schopenhauer einen tiefen Griff in seinen metaphysischen Sack tat, um diese Liebesillusion als eine der verschmitztesten Mausefallen seines „Willens zum Leben“ zu verfehmen, mitsamt ihrem blendenden Köder darin: man fühlt förmlich die Wut aller Düpierten heraus. Denn allerdings, von dem Augenblick an, wo das Geschlechtliche einfach eingereiht ist als ein Einzelprozeß unter die vielen sonstigen im hochorganisierten Körper, muß die brennend eifrige Gesamtergriffenheit gewissermaßen ins Leere ausschwingen. Sie kann nur noch Luxussache sein um die geschlechtlichen Tatsachen herum, sozusagen Lock- und Verführungsarbeit, die das Notwendige und Wirkliche dran umkleidet und schmückt mit einem vergeuderischen Überfluß, den ihr keine Wirklichkeit je zurückzahlt. Und dennoch unterliegt sie damit nicht lediglich einer Selbstbetrügerei, wie viele andre sie auch unwillkürlich mitbetrügen mag: sie versucht nur zum erstenmal mit rein geistigen Mitteln sich einen eigenen Weg, einen Geistesweg, durch die körperlichen Bedrängnisse zu bahnen bis in irgend ein verlornes Paradies. Darum erleben wir sie um so gewisser, je echter eine Liebe in uns ist, und mischt sich erst unsre ganze Hirnkraft helfend ein, dann nur um so verrückter. Nicht selten liegt im ganzen Verhalten von Liebenden gegeneinander ein wenig von dieser Ahnung ausgedrückt, dem andern doch nur verklärt, verhüllt, sichtbar zu sein, und – ohne jede Pose oder Absicht – ein gleichsam davon

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/23>, abgerufen am 16.04.2024.