Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.schiedenen Annahmen, unkorrigierbarer als irgendwelche andren, weil unassozierbarer irgend etwas anderm, müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge. Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin: um sich so souverän auszusprechen, muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren; - dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles, wonach nichts ohne sie ist, und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem, jegliches in der Tiefe begründend, in der Höhe des Erreichten krönend. Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts, als nur die Tatsache, wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt, wie am allerschiefsten, allerverzeichnetesten es grade in dem Bilde herauskommen muß, dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat. Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel, daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst, und ein Wahrheitsgrad, wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde, ihn um nichts "wahrer" für uns zu machen imstande sei. Ist im Grunde schon jegliches, was der Gedankenabtastung stillhält, eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet (wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt), so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen. Was immer wieder neu ist, neu da ist, muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen, es von sich selber sondernd: nicht nur, weil es ihm nur noch teilweise entspricht, sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse, überlebte Schlacke, gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist. schiedenen Annahmen, unkorrigierbarer als irgendwelche andren, weil unassozierbarer irgend etwas anderm, müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge. Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin: um sich so souverän auszusprechen, muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren; – dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles, wonach nichts ohne sie ist, und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem, jegliches in der Tiefe begründend, in der Höhe des Erreichten krönend. Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts, als nur die Tatsache, wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt, wie am allerschiefsten, allerverzeichnetesten es grade in dem Bilde herauskommen muß, dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat. Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel, daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst, und ein Wahrheitsgrad, wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde, ihn um nichts „wahrer“ für uns zu machen imstande sei. Ist im Grunde schon jegliches, was der Gedankenabtastung stillhält, eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet (wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt), so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen. Was immer wieder neu ist, neu da ist, muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen, es von sich selber sondernd: nicht nur, weil es ihm nur noch teilweise entspricht, sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse, überlebte Schlacke, gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0035" n="35"/> schiedenen Annahmen, unkorrigierbarer als irgendwelche andren, weil unassozierbarer irgend etwas anderm, müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge.</p> <p>Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin: um sich so souverän auszusprechen, muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren; – dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles, wonach nichts ohne sie ist, und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem, jegliches in der Tiefe begründend, in der Höhe des Erreichten krönend. Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts, als nur die Tatsache, wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt, wie am allerschiefsten, allerverzeichnetesten es grade in dem Bilde herauskommen muß, dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat. Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel, daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst, und ein Wahrheitsgrad, wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde, ihn um nichts „wahrer“ für uns zu machen imstande sei. Ist im Grunde schon jegliches, was der Gedankenabtastung stillhält, eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet (wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt), so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen. Was immer wieder neu ist, neu da ist, muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen, es von sich selber sondernd: nicht nur, weil es ihm nur noch teilweise entspricht, sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse, überlebte Schlacke, gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist.</p> </div> </body> </text> </TEI> [35/0035]
schiedenen Annahmen, unkorrigierbarer als irgendwelche andren, weil unassozierbarer irgend etwas anderm, müssen sich zuletzt immer starrer ausbauen zu einer Welt völlig außerhalb aller übrigen Dinge.
Allein es liegt doch nur ein scheinbarer Widerspruch darin: um sich so souverän auszusprechen, muß das Religiöse seine Denkwelt freilich so von allem isolieren; – dennoch ist diese seine Souveränität selber doch nur ein Reflex jener Allseitigkeit und Ursprünglichkeit seiner praktischen Bedeutung für alles, wonach nichts ohne sie ist, und sie selber gleichsam mitwirkend in jedem, jegliches in der Tiefe begründend, in der Höhe des Erreichten krönend. Das scheinbar Widerspruchsvolle ergibt nichts, als nur die Tatsache, wie wenig Leben sich in seiner eignen Theoretisierung einfangen läßt, wie am allerschiefsten, allerverzeichnetesten es grade in dem Bilde herauskommen muß, dem es in seiner höchsten Lebendigkeit zu Modell gesessen hat. Der Glaube hat dafür die tiefsinnige Formel, daß Gott nur erkannt werden könne im unmittelbaren Erleben seiner selbst, und ein Wahrheitsgrad, wie er ihm etwa anderweitig zugesprochen würde, ihn um nichts „wahrer“ für uns zu machen imstande sei. Ist im Grunde schon jegliches, was der Gedankenabtastung stillhält, eben insofern bereits dem Leblosen vergesellschaftet (wie am vollständigsten im wissenschaftlich sezierbaren Objekt), so wird das quellennaheste Leben am unerfaßbarsten durch die engsten Gedankenmaschen noch hindurchrinnen. Was immer wieder neu ist, neu da ist, muß alles Fixierte immer wieder hinter sich zurücklassen, es von sich selber sondernd: nicht nur, weil es ihm nur noch teilweise entspricht, sondern weil es von vornherein abgefallene Hülse, überlebte Schlacke, gleichsam Petrefakt schon im Entstehen ist.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-08-21T15:30:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-08-21T15:30:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |