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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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zweiflung. Meine arme Mutter war so erschrocken, daß
sie am liebsten gleich wieder fortgezogen wäre. Sie er¬
wog in aller Geschwindigkeit ganz im Ernst schon einen
solchen Plan.

"Denn wir müssen ja nicht notwendig hier wohnen,
-- nicht wahr, Benno? wir können es ja schließlich auch
in einer andern Straße," meinte sie.

Benno hatte sich kurz nach ihr umgewandt, er ant¬
wortete aber nichts, sondern ging nervös im Zimmer auf
und ab. Erst als meine Mutter hinausgegangen war,
um für das Abendbrot zu sorgen, hielt er inne, kam auf
mich zu und umfaßte mich rasch und heftig.

"Adine!" flüsterte er heiß an meinem Ohr, "-- wenn
ich nun hier, grade hier mit allen meinen Zukunfts¬
aussichten Fuß fasse --? Und ich erhoffe das für uns!
Wirst du mich dann auch allein hier am Irrenhause
wohnen lassen?"

Ich sah ihn zaghaft an.

"--Könnte das sein? wird es -- wird's so sein?"

Er nickte nur leise.

Ich schwieg, und drückte mein Gesicht gegen seine
Schulter und umschlang fester seinen Nacken. Ich war
schon besiegt, als er mich nur in die Arme nahm. Na¬
türlich blieb ich auch jetzt schon, wo er war, natürlich
wollte ich, was er wollte.

Auch für die Zukunft. Aber unser gemeinsamer
Zukunftstraum, der sich nun hier verwirklichen sollte,
und etwas wie eine unverstandene Angst flossen seltsam
ineinander über in einem schwachen Gruseln, womit ich
mich leidenschaftlicher, banger an seine Brust schmiegte.

zweiflung. Meine arme Mutter war ſo erſchrocken, daß
ſie am liebſten gleich wieder fortgezogen wäre. Sie er¬
wog in aller Geſchwindigkeit ganz im Ernſt ſchon einen
ſolchen Plan.

„Denn wir müſſen ja nicht notwendig hier wohnen,
— nicht wahr, Benno? wir können es ja ſchließlich auch
in einer andern Straße,“ meinte ſie.

Benno hatte ſich kurz nach ihr umgewandt, er ant¬
wortete aber nichts, ſondern ging nervös im Zimmer auf
und ab. Erſt als meine Mutter hinausgegangen war,
um für das Abendbrot zu ſorgen, hielt er inne, kam auf
mich zu und umfaßte mich raſch und heftig.

„Adine!“ flüſterte er heiß an meinem Ohr, „— wenn
ich nun hier, grade hier mit allen meinen Zukunfts¬
ausſichten Fuß faſſe —? Und ich erhoffe das für uns!
Wirſt du mich dann auch allein hier am Irrenhauſe
wohnen laſſen?“

Ich ſah ihn zaghaft an.

„—Könnte das ſein? wird es — wird's ſo ſein?“

Er nickte nur leiſe.

Ich ſchwieg, und drückte mein Geſicht gegen ſeine
Schulter und umſchlang feſter ſeinen Nacken. Ich war
ſchon beſiegt, als er mich nur in die Arme nahm. Na¬
türlich blieb ich auch jetzt ſchon, wo er war, natürlich
wollte ich, was er wollte.

Auch für die Zukunft. Aber unſer gemeinſamer
Zukunftstraum, der ſich nun hier verwirklichen ſollte,
und etwas wie eine unverſtandene Angſt floſſen ſeltſam
ineinander über in einem ſchwachen Gruſeln, womit ich
mich leidenſchaftlicher, banger an ſeine Bruſt ſchmiegte.

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[109/0113] — 109 — zweiflung. Meine arme Mutter war ſo erſchrocken, daß ſie am liebſten gleich wieder fortgezogen wäre. Sie er¬ wog in aller Geſchwindigkeit ganz im Ernſt ſchon einen ſolchen Plan. „Denn wir müſſen ja nicht notwendig hier wohnen, — nicht wahr, Benno? wir können es ja ſchließlich auch in einer andern Straße,“ meinte ſie. Benno hatte ſich kurz nach ihr umgewandt, er ant¬ wortete aber nichts, ſondern ging nervös im Zimmer auf und ab. Erſt als meine Mutter hinausgegangen war, um für das Abendbrot zu ſorgen, hielt er inne, kam auf mich zu und umfaßte mich raſch und heftig. „Adine!“ flüſterte er heiß an meinem Ohr, „— wenn ich nun hier, grade hier mit allen meinen Zukunfts¬ ausſichten Fuß faſſe —? Und ich erhoffe das für uns! Wirſt du mich dann auch allein hier am Irrenhauſe wohnen laſſen?“ Ich ſah ihn zaghaft an. „—Könnte das ſein? wird es — wird's ſo ſein?“ Er nickte nur leiſe. Ich ſchwieg, und drückte mein Geſicht gegen ſeine Schulter und umſchlang feſter ſeinen Nacken. Ich war ſchon beſiegt, als er mich nur in die Arme nahm. Na¬ türlich blieb ich auch jetzt ſchon, wo er war, natürlich wollte ich, was er wollte. Auch für die Zukunft. Aber unſer gemeinſamer Zukunftstraum, der ſich nun hier verwirklichen ſollte, und etwas wie eine unverſtandene Angſt floſſen ſeltſam ineinander über in einem ſchwachen Gruſeln, womit ich mich leidenſchaftlicher, banger an ſeine Bruſt ſchmiegte.

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/113>, abgerufen am 21.11.2024.