Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.es aussprach, aber im geheimsten Herzen war es doch nur Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre sichere Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬ Lou Andreas-Salome, Fenitschka 8
es ausſprach, aber im geheimſten Herzen war es doch nur Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre ſichere Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬ Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka 8
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="113"/><fw type="pageNum" place="top">— 113 —<lb/></fw>es ausſprach, aber im geheimſten Herzen war es doch nur<lb/> Furcht, die mich von meiner geliebten Kunſt hinweg¬<lb/> ſcheuchte, Furcht wie vor der großen Verführung, der<lb/> nichts widerſteht: ich fühlte, daß ſie mich losreißen würde<lb/> von allem, was Benno wollte, und was ich alſo ſelbſt<lb/> wollte, und mich ihm ganz fremd machen würde —.</p><lb/> <p>Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre ſichere<lb/> Kampfesfreude gegen ihre ganze Umgebung beneiden,<lb/> denn ich war ja ſo leidenſchaftlich bereit zu unterliegen,<lb/> und ſollte ich ſelbſt darüber in tauſend Stücke gehn.<lb/> Das Ideal einer kleinen Brieger Hausfrau, das ihr nur<lb/> läſtig und lächerlich erſchien, und das ſie deshalb nur ſo<lb/> nebenher, mit halber Kraft, verwirklichte, trug für mich<lb/> geheimnisvolle Märtyrer- und Asketenzüge; ich ging einen<lb/> Weg der gewaltſamen Selbſtkaſteiung aus lauter hilf¬<lb/> loſer Liebesſehnſucht.</p><lb/> <p>Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß<lb/> und mager, und von immer krankhafterer Unſicherheit<lb/> und Reizbarkeit. Benno, der ohnehin die Grenzen des<lb/> Normalen allzu eng ſteckte, und bei all ſeinen eingeheimſten<lb/> Kenntniſſen doch noch wenig Lebenserfahrung beſaß,<lb/> ſchien beſorgt, meine Mutter fing an ratlos zu trauern.</p><lb/> <p>Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬<lb/> hin ſo ernſtem Geſicht vorherrſchte, machte mich noch<lb/> ſcheuer; ich war ja jetzt ſeiner Liebe keineswegs mehr<lb/> ſo naiv ſicher wie einſt: je untauglicher ich mir ſelbſt<lb/> für alles vorkam, was er mit mir vorhatte, deſto un¬<lb/> fehlbarer und autoritativer kam er mir vor, und ſeine<lb/> Liebe als etwas nur durch Selbſtüberwindung ſicher zu<lb/> Erringendes.<lb/></p> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Lou Andreas-Salomé</hi>, Fenitſchka 8<lb/></fw> </div> </body> </text> </TEI> [113/0117]
— 113 —
es ausſprach, aber im geheimſten Herzen war es doch nur
Furcht, die mich von meiner geliebten Kunſt hinweg¬
ſcheuchte, Furcht wie vor der großen Verführung, der
nichts widerſteht: ich fühlte, daß ſie mich losreißen würde
von allem, was Benno wollte, und was ich alſo ſelbſt
wollte, und mich ihm ganz fremd machen würde —.
Ich konnte Gabriele nicht einmal um ihre ſichere
Kampfesfreude gegen ihre ganze Umgebung beneiden,
denn ich war ja ſo leidenſchaftlich bereit zu unterliegen,
und ſollte ich ſelbſt darüber in tauſend Stücke gehn.
Das Ideal einer kleinen Brieger Hausfrau, das ihr nur
läſtig und lächerlich erſchien, und das ſie deshalb nur ſo
nebenher, mit halber Kraft, verwirklichte, trug für mich
geheimnisvolle Märtyrer- und Asketenzüge; ich ging einen
Weg der gewaltſamen Selbſtkaſteiung aus lauter hilf¬
loſer Liebesſehnſucht.
Die Folgen blieben nicht aus. Ich wurde blaß
und mager, und von immer krankhafterer Unſicherheit
und Reizbarkeit. Benno, der ohnehin die Grenzen des
Normalen allzu eng ſteckte, und bei all ſeinen eingeheimſten
Kenntniſſen doch noch wenig Lebenserfahrung beſaß,
ſchien beſorgt, meine Mutter fing an ratlos zu trauern.
Der ärztliche Ausdruck, der zuweilen in Bennos ohne¬
hin ſo ernſtem Geſicht vorherrſchte, machte mich noch
ſcheuer; ich war ja jetzt ſeiner Liebe keineswegs mehr
ſo naiv ſicher wie einſt: je untauglicher ich mir ſelbſt
für alles vorkam, was er mit mir vorhatte, deſto un¬
fehlbarer und autoritativer kam er mir vor, und ſeine
Liebe als etwas nur durch Selbſtüberwindung ſicher zu
Erringendes.
Lou Andreas-Salomé, Fenitſchka 8
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |