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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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genug kam ich ja wieder in mein eignes Leben draußen
zurück, in mein eignes Schaffen und Genießen.

Mein Blick fiel auf das liebe faltige Gesicht im
weißen Nachthäubchen, das über der verblaßten grün¬
seidenen Steppdecke herausschaute. Ohne diese gute Mutter
mit ihren bereitwilligen Liebesopfern hätt ich mir nie
meine freie, glückliche Künstlerexistenz erringen können.
Damit mir das gelingen möchte, saß sie nun hier so ge¬
duldig und einsam ohne Tochter, und mühte sich heim¬
lich damit ab, sich für Malerei zu interessieren, was doch
so ganz hoffnungslos war. Der Offizierskreis in Brieg,
ihr einstiger alter Gesellschaftskreis, äußerte sich ziemlich
tadelnd über diese fernlebende Tochter, und ich wußte
wohl, daß meine Mutter mich dann verteidigte wie eine
Löwin ihr Junges, und daß die Leute sich des Todes ver¬
wunderten, bis zu welchen modernen Anschauungen sie
sich dabei zuweilen verstieg. Aber in Wirklichkeit war
sie weder eine Löwin noch ein moderner Bahnbrecher,
sondern ganz einfach eine einsame alte Frau, deren
Lebensauffassung himmelweit von der ihres Kindes ent¬
fernt war --.

Ich glitt geräuschlos aus dem Bett, kam auf nackten
Sohlen zur Halbschlummernden und umhalste sie stürmisch.

"Mama, meine liebe Mama! wie bin ich froh, bei
dir zu sein, und wie dank ich dir für alle diese schönen
-- schönen Jahre! Jetzt auf einmal fällt es mir aufs
Herz, wie viel du mir geschenkt hast, -- immerfort ge¬
schenkt, und nichts dafür bekommen, du liebste aller Müt¬
ter du!"

Meine Mutter streichelte mich beschwichtigend über

genug kam ich ja wieder in mein eignes Leben draußen
zurück, in mein eignes Schaffen und Genießen.

Mein Blick fiel auf das liebe faltige Geſicht im
weißen Nachthäubchen, das über der verblaßten grün¬
ſeidenen Steppdecke herausſchaute. Ohne dieſe gute Mutter
mit ihren bereitwilligen Liebesopfern hätt ich mir nie
meine freie, glückliche Künſtlerexiſtenz erringen können.
Damit mir das gelingen möchte, ſaß ſie nun hier ſo ge¬
duldig und einſam ohne Tochter, und mühte ſich heim¬
lich damit ab, ſich für Malerei zu intereſſieren, was doch
ſo ganz hoffnungslos war. Der Offizierskreis in Brieg,
ihr einſtiger alter Geſellſchaftskreis, äußerte ſich ziemlich
tadelnd über dieſe fernlebende Tochter, und ich wußte
wohl, daß meine Mutter mich dann verteidigte wie eine
Löwin ihr Junges, und daß die Leute ſich des Todes ver¬
wunderten, bis zu welchen modernen Anſchauungen ſie
ſich dabei zuweilen verſtieg. Aber in Wirklichkeit war
ſie weder eine Löwin noch ein moderner Bahnbrecher,
ſondern ganz einfach eine einſame alte Frau, deren
Lebensauffaſſung himmelweit von der ihres Kindes ent¬
fernt war —.

Ich glitt geräuſchlos aus dem Bett, kam auf nackten
Sohlen zur Halbſchlummernden und umhalſte ſie ſtürmiſch.

„Mama, meine liebe Mama! wie bin ich froh, bei
dir zu ſein, und wie dank ich dir für alle dieſe ſchönen
— ſchönen Jahre! Jetzt auf einmal fällt es mir aufs
Herz, wie viel du mir geſchenkt haſt, — immerfort ge¬
ſchenkt, und nichts dafür bekommen, du liebſte aller Müt¬
ter du!“

Meine Mutter ſtreichelte mich beſchwichtigend über

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[124/0128] — 124 — genug kam ich ja wieder in mein eignes Leben draußen zurück, in mein eignes Schaffen und Genießen. Mein Blick fiel auf das liebe faltige Geſicht im weißen Nachthäubchen, das über der verblaßten grün¬ ſeidenen Steppdecke herausſchaute. Ohne dieſe gute Mutter mit ihren bereitwilligen Liebesopfern hätt ich mir nie meine freie, glückliche Künſtlerexiſtenz erringen können. Damit mir das gelingen möchte, ſaß ſie nun hier ſo ge¬ duldig und einſam ohne Tochter, und mühte ſich heim¬ lich damit ab, ſich für Malerei zu intereſſieren, was doch ſo ganz hoffnungslos war. Der Offizierskreis in Brieg, ihr einſtiger alter Geſellſchaftskreis, äußerte ſich ziemlich tadelnd über dieſe fernlebende Tochter, und ich wußte wohl, daß meine Mutter mich dann verteidigte wie eine Löwin ihr Junges, und daß die Leute ſich des Todes ver¬ wunderten, bis zu welchen modernen Anſchauungen ſie ſich dabei zuweilen verſtieg. Aber in Wirklichkeit war ſie weder eine Löwin noch ein moderner Bahnbrecher, ſondern ganz einfach eine einſame alte Frau, deren Lebensauffaſſung himmelweit von der ihres Kindes ent¬ fernt war —. Ich glitt geräuſchlos aus dem Bett, kam auf nackten Sohlen zur Halbſchlummernden und umhalſte ſie ſtürmiſch. „Mama, meine liebe Mama! wie bin ich froh, bei dir zu ſein, und wie dank ich dir für alle dieſe ſchönen — ſchönen Jahre! Jetzt auf einmal fällt es mir aufs Herz, wie viel du mir geſchenkt haſt, — immerfort ge¬ ſchenkt, und nichts dafür bekommen, du liebſte aller Müt¬ ter du!“ Meine Mutter ſtreichelte mich beſchwichtigend über

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/128>, abgerufen am 21.11.2024.