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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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sionen und Phantasien stören würde, -- denn Leben und
Wirklichkeit blieben ihr doch wohl immer fern.

Sie setzte jetzt den Becher an die Lippen und
nippte von derselben Sklavenseligkeit, woran ich mich
einst Benno gegenüber so bis zur bewußtlosen Selbst¬
vernichtung berauscht hatte, -- und die es für mich ihm
gegenüber nun nicht mehr gab. Und arglos hielt er ihr
diesen betäubenden, gefährlichen Trank an die Lippen.
Von mir aber, die damit bis in die letzten Nervenfasern
vergiftet gewesen war, heischte er ebenso arglos, daß ich,
mit ernüchtertem Herzen und ernüchterten Augen, ihn lie¬
ben sollte --.

Bei uns im Wohnzimmer traf ich Gabriele. Meine
Mutter schien eben erst von Weihnachtsbesorgungen in
der Stadt heimgekehrt zu sein; sie stand noch im Hut
da und trug die einzelnen Ausgaben in ihr Notizbüchel¬
chen ein.

Gabriele drehte sich rasch nach mir um und rief:

"Ich bin nur da, um dich zu fragen, ob du nicht
heute abend ein wenig zu uns heraufkommen willst? Es
sind lauter alte Bekannte bei uns, die neugierig sind,
dich wiederzusehen, wie du dir wohl denken kannst."

"Ja, danke. Vielleicht. Nimm es lieber nicht als
gewiß," entgegnete ich, von der Vorstellung erschreckt,
den Abend gesellig verbringen zu sollen, und setzte mich
an den Tisch, auf dem mehrere aufgeschnürte Pakete mit
blitzenden Anhängseln zum Christbaum lagen.

"Auf mich mußt du keine Rücksicht nehmen," be¬
merkte die Mutter und legte ihr Notizbuch neben mich
hin, "so früh, wie ich's gewohnt bin, kannst du dich ohne¬

ſionen und Phantaſien ſtören würde, — denn Leben und
Wirklichkeit blieben ihr doch wohl immer fern.

Sie ſetzte jetzt den Becher an die Lippen und
nippte von derſelben Sklavenſeligkeit, woran ich mich
einſt Benno gegenüber ſo bis zur bewußtloſen Selbſt¬
vernichtung berauſcht hatte, — und die es für mich ihm
gegenüber nun nicht mehr gab. Und arglos hielt er ihr
dieſen betäubenden, gefährlichen Trank an die Lippen.
Von mir aber, die damit bis in die letzten Nervenfaſern
vergiftet geweſen war, heiſchte er ebenſo arglos, daß ich,
mit ernüchtertem Herzen und ernüchterten Augen, ihn lie¬
ben ſollte —.

Bei uns im Wohnzimmer traf ich Gabriele. Meine
Mutter ſchien eben erſt von Weihnachtsbeſorgungen in
der Stadt heimgekehrt zu ſein; ſie ſtand noch im Hut
da und trug die einzelnen Ausgaben in ihr Notizbüchel¬
chen ein.

Gabriele drehte ſich raſch nach mir um und rief:

„Ich bin nur da, um dich zu fragen, ob du nicht
heute abend ein wenig zu uns heraufkommen willſt? Es
ſind lauter alte Bekannte bei uns, die neugierig ſind,
dich wiederzuſehen, wie du dir wohl denken kannſt.“

„Ja, danke. Vielleicht. Nimm es lieber nicht als
gewiß,“ entgegnete ich, von der Vorſtellung erſchreckt,
den Abend geſellig verbringen zu ſollen, und ſetzte mich
an den Tiſch, auf dem mehrere aufgeſchnürte Pakete mit
blitzenden Anhängſeln zum Chriſtbaum lagen.

„Auf mich mußt du keine Rückſicht nehmen,“ be¬
merkte die Mutter und legte ihr Notizbuch neben mich
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[157/0161] — 157 — ſionen und Phantaſien ſtören würde, — denn Leben und Wirklichkeit blieben ihr doch wohl immer fern. Sie ſetzte jetzt den Becher an die Lippen und nippte von derſelben Sklavenſeligkeit, woran ich mich einſt Benno gegenüber ſo bis zur bewußtloſen Selbſt¬ vernichtung berauſcht hatte, — und die es für mich ihm gegenüber nun nicht mehr gab. Und arglos hielt er ihr dieſen betäubenden, gefährlichen Trank an die Lippen. Von mir aber, die damit bis in die letzten Nervenfaſern vergiftet geweſen war, heiſchte er ebenſo arglos, daß ich, mit ernüchtertem Herzen und ernüchterten Augen, ihn lie¬ ben ſollte —. Bei uns im Wohnzimmer traf ich Gabriele. Meine Mutter ſchien eben erſt von Weihnachtsbeſorgungen in der Stadt heimgekehrt zu ſein; ſie ſtand noch im Hut da und trug die einzelnen Ausgaben in ihr Notizbüchel¬ chen ein. Gabriele drehte ſich raſch nach mir um und rief: „Ich bin nur da, um dich zu fragen, ob du nicht heute abend ein wenig zu uns heraufkommen willſt? Es ſind lauter alte Bekannte bei uns, die neugierig ſind, dich wiederzuſehen, wie du dir wohl denken kannſt.“ „Ja, danke. Vielleicht. Nimm es lieber nicht als gewiß,“ entgegnete ich, von der Vorſtellung erſchreckt, den Abend geſellig verbringen zu ſollen, und ſetzte mich an den Tiſch, auf dem mehrere aufgeſchnürte Pakete mit blitzenden Anhängſeln zum Chriſtbaum lagen. „Auf mich mußt du keine Rückſicht nehmen,“ be¬ merkte die Mutter und legte ihr Notizbuch neben mich hin, „ſo früh, wie ich's gewohnt bin, kannſt du dich ohne¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/161>, abgerufen am 23.11.2024.