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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Ich wandte mich um und erkannte Mutchen.

Mutchen sah erschrocken aus; in einen Mantel ge¬
hüllt, aus dem das helle Gesellschaftskleidchen hervor¬
leuchtete, stand sie wie verstört da und horchte nach
oben, wo das Geräusch herabkommender Schritte hörbar
wurde.

Dann lief sie plötzlich auf mich zu, faßte mich am
Arm und flüsterte hastig und ängstlich:

"Ach, lassen Sie mich um Gottes willen zu Doktor
Frensdorff hineinschlüpfen, -- er ist nicht zu Hause, --
bitte, bitte, ich erkläre Ihnen gleich --"

Ich stieß die Thür zu Bennos Wartezimmer auf
und zog Mutchen dort hinein.

"Was ist denn geschehen? vor wem fürchtest du dich?
wer bedroht dich?"

"Ich glaube, das Mädchen geht nach Bier," flüsterte
Mutchen atemlos; "-- bitte, bitte, sagen Sie nur Papa
oder gar Gabriele nichts, -- nein? Sie haben's ja ge¬
sehen, Sie standen ja an der Hausthür, als Doktor
Gerold vorüber mußte."

"Doktor Gerold? war das der, der eben vorüber¬
ging? wer ist es denn? und wozu heimlich?"

Mutchen schmiegte sich in der dunkeln Stube an
mich und flüsterte halb schüchtern, halb schelmisch:

"-- Wozu?! -- ja, wie soll man denn anders?
Haben Sie denn nie einen lieb gehabt? Ich kann ihn
doch nicht plötzlich da oben hinstellen zwischen Papa
und die Tanten und Verwandten. Sie würden ja auf
den Tod erschrecken. Abgesehen davon, daß Gabriele
mich -- na!"

Ich wandte mich um und erkannte Mutchen.

Mutchen ſah erſchrocken aus; in einen Mantel ge¬
hüllt, aus dem das helle Geſellſchaftskleidchen hervor¬
leuchtete, ſtand ſie wie verſtört da und horchte nach
oben, wo das Geräuſch herabkommender Schritte hörbar
wurde.

Dann lief ſie plötzlich auf mich zu, faßte mich am
Arm und flüſterte haſtig und ängſtlich:

„Ach, laſſen Sie mich um Gottes willen zu Doktor
Frensdorff hineinſchlüpfen, — er iſt nicht zu Hauſe, —
bitte, bitte, ich erkläre Ihnen gleich —“

Ich ſtieß die Thür zu Bennos Wartezimmer auf
und zog Mutchen dort hinein.

„Was iſt denn geſchehen? vor wem fürchteſt du dich?
wer bedroht dich?“

„Ich glaube, das Mädchen geht nach Bier,“ flüſterte
Mutchen atemlos; „— bitte, bitte, ſagen Sie nur Papa
oder gar Gabriele nichts, — nein? Sie haben's ja ge¬
ſehen, Sie ſtanden ja an der Hausthür, als Doktor
Gerold vorüber mußte.“

„Doktor Gerold? war das der, der eben vorüber¬
ging? wer iſt es denn? und wozu heimlich?“

Mutchen ſchmiegte ſich in der dunkeln Stube an
mich und flüſterte halb ſchüchtern, halb ſchelmiſch:

„— Wozu?! — ja, wie ſoll man denn anders?
Haben Sie denn nie einen lieb gehabt? Ich kann ihn
doch nicht plötzlich da oben hinſtellen zwiſchen Papa
und die Tanten und Verwandten. Sie würden ja auf
den Tod erſchrecken. Abgeſehen davon, daß Gabriele
mich — na!“

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[164/0168] — 164 — Ich wandte mich um und erkannte Mutchen. Mutchen ſah erſchrocken aus; in einen Mantel ge¬ hüllt, aus dem das helle Geſellſchaftskleidchen hervor¬ leuchtete, ſtand ſie wie verſtört da und horchte nach oben, wo das Geräuſch herabkommender Schritte hörbar wurde. Dann lief ſie plötzlich auf mich zu, faßte mich am Arm und flüſterte haſtig und ängſtlich: „Ach, laſſen Sie mich um Gottes willen zu Doktor Frensdorff hineinſchlüpfen, — er iſt nicht zu Hauſe, — bitte, bitte, ich erkläre Ihnen gleich —“ Ich ſtieß die Thür zu Bennos Wartezimmer auf und zog Mutchen dort hinein. „Was iſt denn geſchehen? vor wem fürchteſt du dich? wer bedroht dich?“ „Ich glaube, das Mädchen geht nach Bier,“ flüſterte Mutchen atemlos; „— bitte, bitte, ſagen Sie nur Papa oder gar Gabriele nichts, — nein? Sie haben's ja ge¬ ſehen, Sie ſtanden ja an der Hausthür, als Doktor Gerold vorüber mußte.“ „Doktor Gerold? war das der, der eben vorüber¬ ging? wer iſt es denn? und wozu heimlich?“ Mutchen ſchmiegte ſich in der dunkeln Stube an mich und flüſterte halb ſchüchtern, halb ſchelmiſch: „— Wozu?! — ja, wie ſoll man denn anders? Haben Sie denn nie einen lieb gehabt? Ich kann ihn doch nicht plötzlich da oben hinſtellen zwiſchen Papa und die Tanten und Verwandten. Sie würden ja auf den Tod erſchrecken. Abgeſehen davon, daß Gabriele mich — na!“

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/168>, abgerufen am 24.11.2024.