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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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künftigen Liebesabenteuer gefreut wie auf ihr aller¬
schönstes Jugendvergnügen.

Man konnte das bedauern. Man konnte in solchem
Fall sie selbst bedauern, die ein kostbares Kapital un¬
achtsam in kleiner Münze verstreute. Aber warum be¬
dauerte man dann nicht wenigstens auch den rasenden
Gefühlsverbrauch, die erschlaffende Gefühlsausschweifung
in den jugendlich romantischen Marlittiaden von uns
andern? Verliefen die etwa harmloser als ein Leichtsinn
wie der Mutchens, nur weil man durch sie am Leibe keinen
Schaden nimmt, und weil ihre feinern und intimern
Korruptionen des seelischen Lebens nach außen unmerk¬
barer bleiben? In Wahrheit ist es vielleicht minder ge¬
fahrvoll, sich bei oberflächlichen Genüssen zu zerstreuen,
als hinabzusinken in allerlei schwüle, dunkle Tiefen alter
Gefühlselemente, gegen deren Ueberreizung die gesunden
warmen Reize des Lebens nicht aufkommen --.

Ich hatte mich auf das Fußende der Ottomane ge¬
setzt und horchte unentschlossen nach oben, von wo das
Gesumme durcheinanderredender Stimmen zu mir drang,
und wo jetzt gar ein lustiger Walzer auf dem Klavier
gespielt wurde.

Da trat jemand von draußen in den Hausflur, man
hörte, wie er sich den lockern Schnee von den Stiefeln
stampfte, ein Männerschritt näherte sich, -- dann wurde
die Thür zur Studierstube geöffnet, und Benno stand
auf der Schwelle.

Ich wandte den Kopf nach ihm und sagte entschul¬
digend:

"Ich meinte, du kämst erst spät heim. Verzeih, daß

künftigen Liebesabenteuer gefreut wie auf ihr aller¬
ſchönſtes Jugendvergnügen.

Man konnte das bedauern. Man konnte in ſolchem
Fall ſie ſelbſt bedauern, die ein koſtbares Kapital un¬
achtſam in kleiner Münze verſtreute. Aber warum be¬
dauerte man dann nicht wenigſtens auch den raſenden
Gefühlsverbrauch, die erſchlaffende Gefühlsausſchweifung
in den jugendlich romantiſchen Marlittiaden von uns
andern? Verliefen die etwa harmloſer als ein Leichtſinn
wie der Mutchens, nur weil man durch ſie am Leibe keinen
Schaden nimmt, und weil ihre feinern und intimern
Korruptionen des ſeeliſchen Lebens nach außen unmerk¬
barer bleiben? In Wahrheit iſt es vielleicht minder ge¬
fahrvoll, ſich bei oberflächlichen Genüſſen zu zerſtreuen,
als hinabzuſinken in allerlei ſchwüle, dunkle Tiefen alter
Gefühlselemente, gegen deren Ueberreizung die geſunden
warmen Reize des Lebens nicht aufkommen —.

Ich hatte mich auf das Fußende der Ottomane ge¬
ſetzt und horchte unentſchloſſen nach oben, von wo das
Geſumme durcheinanderredender Stimmen zu mir drang,
und wo jetzt gar ein luſtiger Walzer auf dem Klavier
geſpielt wurde.

Da trat jemand von draußen in den Hausflur, man
hörte, wie er ſich den lockern Schnee von den Stiefeln
ſtampfte, ein Männerſchritt näherte ſich, — dann wurde
die Thür zur Studierſtube geöffnet, und Benno ſtand
auf der Schwelle.

Ich wandte den Kopf nach ihm und ſagte entſchul¬
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[167/0171] — 167 — künftigen Liebesabenteuer gefreut wie auf ihr aller¬ ſchönſtes Jugendvergnügen. Man konnte das bedauern. Man konnte in ſolchem Fall ſie ſelbſt bedauern, die ein koſtbares Kapital un¬ achtſam in kleiner Münze verſtreute. Aber warum be¬ dauerte man dann nicht wenigſtens auch den raſenden Gefühlsverbrauch, die erſchlaffende Gefühlsausſchweifung in den jugendlich romantiſchen Marlittiaden von uns andern? Verliefen die etwa harmloſer als ein Leichtſinn wie der Mutchens, nur weil man durch ſie am Leibe keinen Schaden nimmt, und weil ihre feinern und intimern Korruptionen des ſeeliſchen Lebens nach außen unmerk¬ barer bleiben? In Wahrheit iſt es vielleicht minder ge¬ fahrvoll, ſich bei oberflächlichen Genüſſen zu zerſtreuen, als hinabzuſinken in allerlei ſchwüle, dunkle Tiefen alter Gefühlselemente, gegen deren Ueberreizung die geſunden warmen Reize des Lebens nicht aufkommen —. Ich hatte mich auf das Fußende der Ottomane ge¬ ſetzt und horchte unentſchloſſen nach oben, von wo das Geſumme durcheinanderredender Stimmen zu mir drang, und wo jetzt gar ein luſtiger Walzer auf dem Klavier geſpielt wurde. Da trat jemand von draußen in den Hausflur, man hörte, wie er ſich den lockern Schnee von den Stiefeln ſtampfte, ein Männerſchritt näherte ſich, — dann wurde die Thür zur Studierſtube geöffnet, und Benno ſtand auf der Schwelle. Ich wandte den Kopf nach ihm und ſagte entſchul¬ digend: „Ich meinte, du kämſt erſt ſpät heim. Verzeih, daß

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/171>, abgerufen am 24.11.2024.