Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.ich hier sitze. Mama glaubt mich oben in der Gesell¬ Er antwortete nicht. Im Thürrahmen stand er Von seinen Lippen kam ein Laut, -- kein Wort, Er küßte mich, ohne mich loszulassen, ohne in sei¬ Ich regte mich nicht und wehrte ihm nicht. Ich ich hier ſitze. Mama glaubt mich oben in der Geſell¬ Er antwortete nicht. Im Thürrahmen ſtand er Von ſeinen Lippen kam ein Laut, — kein Wort, Er küßte mich, ohne mich loszulaſſen, ohne in ſei¬ Ich regte mich nicht und wehrte ihm nicht. Ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0172" n="168"/><fw type="pageNum" place="top">— 168 —<lb/></fw>ich hier ſitze. Mama glaubt mich oben in der Geſell¬<lb/> ſchaft. Ich ſoll auch hin. Zauderte aber hier, und blieb.<lb/> Es war ſo ſchön ſtill hier.“</p><lb/> <p>Er antwortete nicht. Im Thürrahmen ſtand er<lb/> ſtill und ſchaute herüber zu mir. Seine Augen hingen<lb/> an dem elfenbeinfarbenen Wollkleide, das ich angezogen<lb/> hatte, und langſam ſtieg ſein Blick daran herauf bis zu<lb/> meinem Geſicht. Das ſeine erſchien mir blaß und<lb/> ſeltſam.</p><lb/> <p>Von ſeinen Lippen kam ein Laut, — kein Wort,<lb/> nur ein ſchwacher, kurzer Laut, — und eh ich es noch<lb/> hindern, eh ich noch aufſtehen konnte, lag er vor mir<lb/> auf dem Teppich und umfaßte mich mit ausgeſtreckten<lb/> Armen und geſchloſſenen Augen, und bedeckte meine Hände,<lb/> meinen Hals, meinen Schoß mit Küſſen.</p><lb/> <p>Er küßte mich, ohne mich loszulaſſen, ohne in ſei¬<lb/> nem Ungeſtüm nachzulaſſen, ohne mir Atem zu laſſen.<lb/> Er küßte mit einer Gewaltſamkeit und Benommenheit,<lb/> womit er mich faſt brutaliſierte, während er mich lieb¬<lb/> koſte. Er küßte ſo, wie jemand trinkt, der, an der<lb/> Stillung ſeines Durſtes verzweifelnd, ſchon verſchmachtend<lb/> am Boden gelegen hat. Er küßte mit der Sehnſucht,<lb/> Inbrunſt und Dankbarkeit jemandes, der ſich mit unaus¬<lb/> ſprechlicher Wonne vom Tode freiküßt.</p><lb/> <p>Ich regte mich nicht und wehrte ihm nicht. Ich<lb/> gab leiſe ſeinen Bewegungen nach, ohne ſie zu erwidern.<lb/> Ich fühlte mit ſtaunendem Mitleid dieſen Ausbruch einer<lb/> lange, lange und mit entſagender Kraft zurückgedämmten<lb/> Leidenſchaft, die ſich in dieſem Augenblick blindlings<lb/> ſättigte. Und während ich ſeinen unſinnigen Küſſen nach¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [168/0172]
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ich hier ſitze. Mama glaubt mich oben in der Geſell¬
ſchaft. Ich ſoll auch hin. Zauderte aber hier, und blieb.
Es war ſo ſchön ſtill hier.“
Er antwortete nicht. Im Thürrahmen ſtand er
ſtill und ſchaute herüber zu mir. Seine Augen hingen
an dem elfenbeinfarbenen Wollkleide, das ich angezogen
hatte, und langſam ſtieg ſein Blick daran herauf bis zu
meinem Geſicht. Das ſeine erſchien mir blaß und
ſeltſam.
Von ſeinen Lippen kam ein Laut, — kein Wort,
nur ein ſchwacher, kurzer Laut, — und eh ich es noch
hindern, eh ich noch aufſtehen konnte, lag er vor mir
auf dem Teppich und umfaßte mich mit ausgeſtreckten
Armen und geſchloſſenen Augen, und bedeckte meine Hände,
meinen Hals, meinen Schoß mit Küſſen.
Er küßte mich, ohne mich loszulaſſen, ohne in ſei¬
nem Ungeſtüm nachzulaſſen, ohne mir Atem zu laſſen.
Er küßte mit einer Gewaltſamkeit und Benommenheit,
womit er mich faſt brutaliſierte, während er mich lieb¬
koſte. Er küßte ſo, wie jemand trinkt, der, an der
Stillung ſeines Durſtes verzweifelnd, ſchon verſchmachtend
am Boden gelegen hat. Er küßte mit der Sehnſucht,
Inbrunſt und Dankbarkeit jemandes, der ſich mit unaus¬
ſprechlicher Wonne vom Tode freiküßt.
Ich regte mich nicht und wehrte ihm nicht. Ich
gab leiſe ſeinen Bewegungen nach, ohne ſie zu erwidern.
Ich fühlte mit ſtaunendem Mitleid dieſen Ausbruch einer
lange, lange und mit entſagender Kraft zurückgedämmten
Leidenſchaft, die ſich in dieſem Augenblick blindlings
ſättigte. Und während ich ſeinen unſinnigen Küſſen nach¬
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