Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.gab, regte sich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes So ruhte ich, fest von seinen Armen umschlossen, Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden "Ich danke dir! Du mein einziger, geliebtester aller Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬ So befangen Benno noch heute morgen geschwankt gab, regte ſich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes So ruhte ich, feſt von ſeinen Armen umſchloſſen, Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden „Ich danke dir! Du mein einziger, geliebteſter aller Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬ So befangen Benno noch heute morgen geſchwankt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0173" n="169"/><fw type="pageNum" place="top">— 169 —<lb/></fw>gab, regte ſich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes<lb/> und beinahe Mütterliches, — die Hingebung einer Mutter,<lb/> die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrungſchwellende<lb/> Bruſt öffnet.</p><lb/> <p>So ruhte ich, feſt von ſeinen Armen umſchloſſen,<lb/> die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei<lb/> ging es mir ſtill und beinah ehrfürchtig durch den Sinn,<lb/> — wie keuſch wohl das Leben dieſes Mannes hingegangen<lb/> ſei —.</p><lb/> <p>Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden<lb/> Laut, als ob er ſich eine Wunde zufügte. Zugleich ſprang<lb/> er zitternd vom Boden auf und ſagte mit einem Aus¬<lb/> druck leidenſchaftlicher Verzückung auf ſeinem Geſicht:</p><lb/> <p>„Ich danke dir! Du mein einziger, geliebteſter aller<lb/> Menſchen, ich danke dir! Ich wäre erſtickt und zerbrochen,<lb/> wenn du mich zurückgeſtoßen hätteſt!“</p><lb/> <p>Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬<lb/> blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht ſeinen Rauſch<lb/> nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des<lb/> andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei<lb/> einem gewiſſen Grad der Liebesleidenſchaft ſchlägt ſie<lb/> zurück in ſo beſinnungsloſen Egoismus, daß ſich daraus<lb/> keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt erſtrecken, ſei<lb/> es auch die Gefühlswelt des geliebten Menſchen, und daß<lb/> ein ſtörender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht<lb/> wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬<lb/> nimmt. Liebesleidenſchaft iſt wie die letzte und äußerſte<lb/> Einſamkeit.</p><lb/> <p>So befangen Benno noch heute morgen geſchwankt<lb/> und gezweifelt hatte, ſo ſiegesſicher fühlte er ſich jetzt.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [169/0173]
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gab, regte ſich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes
und beinahe Mütterliches, — die Hingebung einer Mutter,
die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrungſchwellende
Bruſt öffnet.
So ruhte ich, feſt von ſeinen Armen umſchloſſen,
die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei
ging es mir ſtill und beinah ehrfürchtig durch den Sinn,
— wie keuſch wohl das Leben dieſes Mannes hingegangen
ſei —.
Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden
Laut, als ob er ſich eine Wunde zufügte. Zugleich ſprang
er zitternd vom Boden auf und ſagte mit einem Aus¬
druck leidenſchaftlicher Verzückung auf ſeinem Geſicht:
„Ich danke dir! Du mein einziger, geliebteſter aller
Menſchen, ich danke dir! Ich wäre erſtickt und zerbrochen,
wenn du mich zurückgeſtoßen hätteſt!“
Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬
blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht ſeinen Rauſch
nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des
andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei
einem gewiſſen Grad der Liebesleidenſchaft ſchlägt ſie
zurück in ſo beſinnungsloſen Egoismus, daß ſich daraus
keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt erſtrecken, ſei
es auch die Gefühlswelt des geliebten Menſchen, und daß
ein ſtörender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht
wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬
nimmt. Liebesleidenſchaft iſt wie die letzte und äußerſte
Einſamkeit.
So befangen Benno noch heute morgen geſchwankt
und gezweifelt hatte, ſo ſiegesſicher fühlte er ſich jetzt.
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