Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle ängstliche Ueberlegung, alle Mutlosigkeit war von
ihm genommen. Ich richtete mich langsam auf, ohne
die Augen von ihm zu wenden.

Sonderbarerweise beschäftigte mich dabei eine ganz
gleichgültige Kleinigkeit. Benno hatte, während er auf
den Knieen lag und mich küßte, seine Brille verloren.
Sie lag auf dem Teppich neben der Ottomane, und die
Gläser, die sonst seinen Blick verdeckten, glänzten im
Kerzenlicht.

Und da schauten mir nun seine Augen brillenlos
entgegen, so wie sie in Wirklichkeit waren, -- blau und
treuherzig, mit dem etwas unsichern, etwas starren Blick
derer, die sich immer scharfer Gläser bedienen -- -- .

Benno machte eine gewaltige Willensanstrengung,
um sich zu fassen und zu beruhigen, trat zurück und sagte:

"Verzeih mir. Ich wollte dir Zeit lassen, -- ich
hätte es vielleicht sollen, aber ich konnte nicht länger,
Adine. Sieh, den ganzen Tag, den ganzen schrecklichen
Tag trug ich eine sinnlose, würgende Angst mit mir
herum. Eine Angst, weil du heute früh etwas gesagt
hattest von ,zu spät', oder -- oder ,verscherzt' hast du
gesagt, -- etwas Aehnliches; -- siehst du, der Zweifel
brachte mich von Sinnen."

Und er griff hastig, wie um mich nun auch wirklich
sich nicht entgehen zu lassen, nach meinen Händen und
setzte sich neben mich, dicht zu mir gebeugt.

"Liebste! -- sag' mir ein Wort," bat er mit einem
glücklichen Lächeln, -- und mein Blick mied scheu den
seinen.

Diese leuchtenden treuherzigen blauen Augen, dieses

Alle ängſtliche Ueberlegung, alle Mutloſigkeit war von
ihm genommen. Ich richtete mich langſam auf, ohne
die Augen von ihm zu wenden.

Sonderbarerweiſe beſchäftigte mich dabei eine ganz
gleichgültige Kleinigkeit. Benno hatte, während er auf
den Knieen lag und mich küßte, ſeine Brille verloren.
Sie lag auf dem Teppich neben der Ottomane, und die
Gläſer, die ſonſt ſeinen Blick verdeckten, glänzten im
Kerzenlicht.

Und da ſchauten mir nun ſeine Augen brillenlos
entgegen, ſo wie ſie in Wirklichkeit waren, — blau und
treuherzig, mit dem etwas unſichern, etwas ſtarren Blick
derer, die ſich immer ſcharfer Gläſer bedienen — — .

Benno machte eine gewaltige Willensanſtrengung,
um ſich zu faſſen und zu beruhigen, trat zurück und ſagte:

„Verzeih mir. Ich wollte dir Zeit laſſen, — ich
hätte es vielleicht ſollen, aber ich konnte nicht länger,
Adine. Sieh, den ganzen Tag, den ganzen ſchrecklichen
Tag trug ich eine ſinnloſe, würgende Angſt mit mir
herum. Eine Angſt, weil du heute früh etwas geſagt
hatteſt von ‚zu ſpät‘, oder — oder ‚verſcherzt‘ haſt du
geſagt, — etwas Aehnliches; — ſiehſt du, der Zweifel
brachte mich von Sinnen.“

Und er griff haſtig, wie um mich nun auch wirklich
ſich nicht entgehen zu laſſen, nach meinen Händen und
ſetzte ſich neben mich, dicht zu mir gebeugt.

„Liebſte! — ſag' mir ein Wort,“ bat er mit einem
glücklichen Lächeln, — und mein Blick mied ſcheu den
ſeinen.

Dieſe leuchtenden treuherzigen blauen Augen, dieſes

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0174" n="170"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 170 &#x2014;<lb/></fw>Alle äng&#x017F;tliche Ueberlegung, alle Mutlo&#x017F;igkeit war von<lb/>
ihm genommen. Ich richtete mich lang&#x017F;am auf, ohne<lb/>
die Augen von ihm zu wenden.</p><lb/>
        <p>Sonderbarerwei&#x017F;e be&#x017F;chäftigte mich dabei eine ganz<lb/>
gleichgültige Kleinigkeit. Benno hatte, während er auf<lb/>
den Knieen lag und mich küßte, &#x017F;eine Brille verloren.<lb/>
Sie lag auf dem Teppich neben der Ottomane, und die<lb/>
Glä&#x017F;er, die &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;einen Blick verdeckten, glänzten im<lb/>
Kerzenlicht.</p><lb/>
        <p>Und da &#x017F;chauten mir nun &#x017F;eine Augen brillenlos<lb/>
entgegen, &#x017F;o wie &#x017F;ie in Wirklichkeit waren, &#x2014; blau und<lb/>
treuherzig, mit dem etwas un&#x017F;ichern, etwas &#x017F;tarren Blick<lb/>
derer, die &#x017F;ich immer &#x017F;charfer Glä&#x017F;er bedienen &#x2014; &#x2014; .</p><lb/>
        <p>Benno machte eine gewaltige Willensan&#x017F;trengung,<lb/>
um &#x017F;ich zu fa&#x017F;&#x017F;en und zu beruhigen, trat zurück und &#x017F;agte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Verzeih mir. Ich wollte dir Zeit la&#x017F;&#x017F;en, &#x2014; ich<lb/>
hätte es vielleicht &#x017F;ollen, aber ich konnte nicht länger,<lb/>
Adine. Sieh, den ganzen Tag, den ganzen &#x017F;chrecklichen<lb/>
Tag trug ich eine &#x017F;innlo&#x017F;e, würgende Ang&#x017F;t mit mir<lb/>
herum. Eine Ang&#x017F;t, weil du heute früh etwas ge&#x017F;agt<lb/>
hatte&#x017F;t von &#x201A;zu &#x017F;pät&#x2018;, oder &#x2014; oder &#x201A;ver&#x017F;cherzt&#x2018; ha&#x017F;t du<lb/>
ge&#x017F;agt, &#x2014; etwas Aehnliches; &#x2014; &#x017F;ieh&#x017F;t du, der Zweifel<lb/>
brachte mich von Sinnen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Und er griff ha&#x017F;tig, wie um mich nun auch wirklich<lb/>
&#x017F;ich nicht entgehen zu la&#x017F;&#x017F;en, nach meinen Händen und<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich neben mich, dicht zu mir gebeugt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Lieb&#x017F;te! &#x2014; &#x017F;ag' mir ein Wort,&#x201C; bat er mit einem<lb/>
glücklichen Lächeln, &#x2014; und mein Blick mied &#x017F;cheu den<lb/>
&#x017F;einen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e leuchtenden treuherzigen blauen Augen, die&#x017F;es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0174] — 170 — Alle ängſtliche Ueberlegung, alle Mutloſigkeit war von ihm genommen. Ich richtete mich langſam auf, ohne die Augen von ihm zu wenden. Sonderbarerweiſe beſchäftigte mich dabei eine ganz gleichgültige Kleinigkeit. Benno hatte, während er auf den Knieen lag und mich küßte, ſeine Brille verloren. Sie lag auf dem Teppich neben der Ottomane, und die Gläſer, die ſonſt ſeinen Blick verdeckten, glänzten im Kerzenlicht. Und da ſchauten mir nun ſeine Augen brillenlos entgegen, ſo wie ſie in Wirklichkeit waren, — blau und treuherzig, mit dem etwas unſichern, etwas ſtarren Blick derer, die ſich immer ſcharfer Gläſer bedienen — — . Benno machte eine gewaltige Willensanſtrengung, um ſich zu faſſen und zu beruhigen, trat zurück und ſagte: „Verzeih mir. Ich wollte dir Zeit laſſen, — ich hätte es vielleicht ſollen, aber ich konnte nicht länger, Adine. Sieh, den ganzen Tag, den ganzen ſchrecklichen Tag trug ich eine ſinnloſe, würgende Angſt mit mir herum. Eine Angſt, weil du heute früh etwas geſagt hatteſt von ‚zu ſpät‘, oder — oder ‚verſcherzt‘ haſt du geſagt, — etwas Aehnliches; — ſiehſt du, der Zweifel brachte mich von Sinnen.“ Und er griff haſtig, wie um mich nun auch wirklich ſich nicht entgehen zu laſſen, nach meinen Händen und ſetzte ſich neben mich, dicht zu mir gebeugt. „Liebſte! — ſag' mir ein Wort,“ bat er mit einem glücklichen Lächeln, — und mein Blick mied ſcheu den ſeinen. Dieſe leuchtenden treuherzigen blauen Augen, dieſes

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/174
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/174>, abgerufen am 25.11.2024.