Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.ganze von Glückszuversicht verklärte Gesicht klagte mich Ich selbst klagte mich an, und erschrak über das "Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre "Adine, -- ich -- -- sprich zu mir!" rief er fast "Lieber Gott!" dachte ich, "hilf mir doch! gieb mir ganze von Glückszuverſicht verklärte Geſicht klagte mich Ich ſelbſt klagte mich an, und erſchrak über das „Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre „Adine, — ich — — ſprich zu mir!“ rief er faſt „Lieber Gott!“ dachte ich, „hilf mir doch! gieb mir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0175" n="171"/><fw type="pageNum" place="top">— 171 —<lb/></fw>ganze von Glückszuverſicht verklärte Geſicht klagte mich<lb/> laut an.</p><lb/> <p>Ich ſelbſt klagte mich an, und erſchrak über das<lb/> Geſchehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln<lb/> vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu<lb/> handeln in den tollen vorübergeſtürmten Minuten ſeines<lb/> Rauſches. Beſſer, tadelloſer wär es zweifellos geweſen,<lb/> ihm zu ſagen: „Küſſe mich nicht! täuſche dich nicht! ich<lb/> liebe dich nicht!“ Aber wie konnte ich ihn im Durſten<lb/> und Darben zurückſtoßen und ſorgſam abwägen, was<lb/> das Richtigere, das Tadelloſere war —</p><lb/> <p>„Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede<lb/> Scham!“ dachte ich, „und jetzt? und hinterher? was ſoll<lb/> ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann<lb/> ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬<lb/> digen. Ich bin ein feiges — ein ganz feiges Geſchöpf!“</p><lb/> <p>Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre<lb/> Ratloſigkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging<lb/> durch ſeine Augen und machte ſie rührend, wie erſtaunte<lb/> Kinderaugen.</p><lb/> <p>„Adine, — ich — — ſprich zu mir!“ rief er faſt<lb/> laut, „ich halt's nicht aus! Warum ſprichſt du nicht?“</p><lb/> <p>„Lieber Gott!“ dachte ich, „hilf mir doch! gieb mir<lb/> ein, was ich thun ſoll. Niemals, niemals kann ich ihm<lb/> die ganze Wahrheit ſagen! niemals, niemals ihn vor<lb/> mir demütigen, — ihn, den ich einſt, ach einſt — !<lb/> Lieber laß mich klein und verächtlich werden in ſeinen<lb/> Augen, daß er ſelber mich nicht mehr will, nicht mehr<lb/> liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, — Staub<lb/> zu ſeinen Füßen —.“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [171/0175]
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ganze von Glückszuverſicht verklärte Geſicht klagte mich
laut an.
Ich ſelbſt klagte mich an, und erſchrak über das
Geſchehene. Und doch hätt ich nicht anders zu handeln
vermocht, auch wenn es gegolten hätte, noch einmal zu
handeln in den tollen vorübergeſtürmten Minuten ſeines
Rauſches. Beſſer, tadelloſer wär es zweifellos geweſen,
ihm zu ſagen: „Küſſe mich nicht! täuſche dich nicht! ich
liebe dich nicht!“ Aber wie konnte ich ihn im Durſten
und Darben zurückſtoßen und ſorgſam abwägen, was
das Richtigere, das Tadelloſere war —
„Vielleicht fehlt mir jeder Stolz! vielleicht jede
Scham!“ dachte ich, „und jetzt? und hinterher? was ſoll
ich thun? wie ihn aufklären und kränken? Ach, ich kann
ihn nicht kränken! Kann ihn nicht durch Mitleid belei¬
digen. Ich bin ein feiges — ein ganz feiges Geſchöpf!“
Jetzt fiel Benno doch meine Stummheit und innre
Ratloſigkeit auf. Etwas wie eine dunkle Unruhe ging
durch ſeine Augen und machte ſie rührend, wie erſtaunte
Kinderaugen.
„Adine, — ich — — ſprich zu mir!“ rief er faſt
laut, „ich halt's nicht aus! Warum ſprichſt du nicht?“
„Lieber Gott!“ dachte ich, „hilf mir doch! gieb mir
ein, was ich thun ſoll. Niemals, niemals kann ich ihm
die ganze Wahrheit ſagen! niemals, niemals ihn vor
mir demütigen, — ihn, den ich einſt, ach einſt — !
Lieber laß mich klein und verächtlich werden in ſeinen
Augen, daß er ſelber mich nicht mehr will, nicht mehr
liebt. Laß mich lieber ganz zunichte werden, — Staub
zu ſeinen Füßen —.“
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