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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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"Fenia Iwanowna, gehen Sie ins Kloster?" sagte
er ihr über die Schulter.

Sie wandte sich verwundert, nicht erschrocken, um,
und entgegnete aus der Pforte tretend:

"Ich habe mir das Kloster angesehen -- -- Und nun
geh ich zu meinem Onkel, -- jour fixe, Sie wissen ja!
Ich speise dort. Haben Sie nichts Besonderes vor? Dann
kommen Sie doch mit, Sie sind ja ein für allemal zur
Familientafel geladen."

"Ich will es sehr gern thun, Fenia, schon um Sie
zu begleiten. Wollen wir bei diesem sanft sibirischen
Wetter die Promenade zu Fuß machen?"

Sie nickte, und indem sie ihr Gesicht mit dem vor¬
gehaltenen Bibermuff vor dem scharfen Winde schützte,
schaute sie sich aufmerksam nach allen Seiten um. Dann
schritt sie eine Zeitlang einsilbig neben ihrem Begleiter her.

"Wie sind Sie nur darauf verfallen, grade hierher
zu kommen," fragte sie plötzlich, -- "diesen Teil des
Newskijs besuchen so wenige. Man kann fast sicher sein,
daß man --"

"Wäre es nicht viel berechtigter, wenn ich Sie
dasselbe fragte?" bemerkte er neckend, "ein Spaziergang
für eine junge Dame ohne Begleitung ist das doch gar
nicht. Ich glaubte Sie in die tiefsten Studien ver¬
tieft, habe Sie zartfühlend nur deshalb nicht aufgesucht,
-- ich stelle Sie mir ja seit Paris immer noch wie be¬
sessen von Fleiß vor, -- und statt dessen bummeln Sie
hier herum."

"Ja, bummeln ist das richtige Wort," sagte sie in
zufriedenem Ton, -- "wissen Sie, mit dem Fleiß ist es

„Fenia Iwanowna, gehen Sie ins Kloſter?“ ſagte
er ihr über die Schulter.

Sie wandte ſich verwundert, nicht erſchrocken, um,
und entgegnete aus der Pforte tretend:

„Ich habe mir das Kloſter angeſehen — — Und nun
geh ich zu meinem Onkel, — jour fixe, Sie wiſſen ja!
Ich ſpeiſe dort. Haben Sie nichts Beſonderes vor? Dann
kommen Sie doch mit, Sie ſind ja ein für allemal zur
Familientafel geladen.“

„Ich will es ſehr gern thun, Fenia, ſchon um Sie
zu begleiten. Wollen wir bei dieſem ſanft ſibiriſchen
Wetter die Promenade zu Fuß machen?“

Sie nickte, und indem ſie ihr Geſicht mit dem vor¬
gehaltenen Bibermuff vor dem ſcharfen Winde ſchützte,
ſchaute ſie ſich aufmerkſam nach allen Seiten um. Dann
ſchritt ſie eine Zeitlang einſilbig neben ihrem Begleiter her.

„Wie ſind Sie nur darauf verfallen, grade hierher
zu kommen,“ fragte ſie plötzlich, — „dieſen Teil des
Newskijs beſuchen ſo wenige. Man kann faſt ſicher ſein,
daß man —“

„Wäre es nicht viel berechtigter, wenn ich Sie
daſſelbe fragte?“ bemerkte er neckend, „ein Spaziergang
für eine junge Dame ohne Begleitung iſt das doch gar
nicht. Ich glaubte Sie in die tiefſten Studien ver¬
tieft, habe Sie zartfühlend nur deshalb nicht aufgeſucht,
— ich ſtelle Sie mir ja ſeit Paris immer noch wie be¬
ſeſſen von Fleiß vor, — und ſtatt deſſen bummeln Sie
hier herum.“

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[36/0040] — 36 — „Fenia Iwanowna, gehen Sie ins Kloſter?“ ſagte er ihr über die Schulter. Sie wandte ſich verwundert, nicht erſchrocken, um, und entgegnete aus der Pforte tretend: „Ich habe mir das Kloſter angeſehen — — Und nun geh ich zu meinem Onkel, — jour fixe, Sie wiſſen ja! Ich ſpeiſe dort. Haben Sie nichts Beſonderes vor? Dann kommen Sie doch mit, Sie ſind ja ein für allemal zur Familientafel geladen.“ „Ich will es ſehr gern thun, Fenia, ſchon um Sie zu begleiten. Wollen wir bei dieſem ſanft ſibiriſchen Wetter die Promenade zu Fuß machen?“ Sie nickte, und indem ſie ihr Geſicht mit dem vor¬ gehaltenen Bibermuff vor dem ſcharfen Winde ſchützte, ſchaute ſie ſich aufmerkſam nach allen Seiten um. Dann ſchritt ſie eine Zeitlang einſilbig neben ihrem Begleiter her. „Wie ſind Sie nur darauf verfallen, grade hierher zu kommen,“ fragte ſie plötzlich, — „dieſen Teil des Newskijs beſuchen ſo wenige. Man kann faſt ſicher ſein, daß man —“ „Wäre es nicht viel berechtigter, wenn ich Sie daſſelbe fragte?“ bemerkte er neckend, „ein Spaziergang für eine junge Dame ohne Begleitung iſt das doch gar nicht. Ich glaubte Sie in die tiefſten Studien ver¬ tieft, habe Sie zartfühlend nur deshalb nicht aufgeſucht, — ich ſtelle Sie mir ja ſeit Paris immer noch wie be¬ ſeſſen von Fleiß vor, — und ſtatt deſſen bummeln Sie hier herum.“ „Ja, bummeln iſt das richtige Wort,“ ſagte ſie in zufriedenem Ton, — „wiſſen Sie, mit dem Fleiß iſt es

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/40>, abgerufen am 21.11.2024.