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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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ganz vorbei. Ich lebe jetzt ja auch in einer solchen
Uebergangs- und Zwischenzeit, -- nicht wahr? Bis zu
der mir versprochenen Anstellung. Und wie genieße ich
das! Wissen Sie, es war Zeit, nach dem langen Arbeits¬
fieber. Jetzt strecke und recke ich mich, wie auf einem
rechten Faulbett, -- ordentlich wie eine Rekonvaleszentin
fühl ich mich, -- da lebt man ganz anders. -- Pas¬
siver, lauschender, aufnehmender. -- Man wacht nicht,
man schläft aber auch nicht. --"

"-- Man träumt!" ergänzte er aufs Geratewohl.
Fenia sah mit einem raschen Blick zu ihm auf. Dann
schwieg sie.

"Eigentlich haben wir also die Rollen getauscht,"
meinte er, "denn ich bin dieses Jahr recht fleißig ge¬
wesen. -- -- Aber wie wird es Ihnen denn schmecken,
nach dieser Zwischenzeit ein schwieriges Lehramt auszu¬
üben, -- graut Ihnen nicht davor?"

Sie lachte.

"So weit hinaus kann ich im Augenblick nicht vor¬
wärts denken. -- -- Aber das wird recht schlimm sein,
denn es ist mir eigentlich stets sehr anziehend gewesen."

Darauf schwieg sie wieder mit nachdenklichem Ge¬
sicht, als beschäftige sie etwas Unausgesprochenes. Sie
gelangten inzwischen auf den belebten Teil des Newskijs,
wo die sie umdrängende Menschenmenge, die sie jeden Augen¬
blick trennte, ohnehin die Unterhaltung erschwert hätte.

Hinter der Polizeibrücke sank die Sonne. Lange
blaue Schatten liefen über den Schnee und schufen jene
nordische Winterdämmerung, in der man schon mitten
am Tage nichts mehr recht deutlich erkennt, und dennoch

ganz vorbei. Ich lebe jetzt ja auch in einer ſolchen
Uebergangs- und Zwiſchenzeit, — nicht wahr? Bis zu
der mir verſprochenen Anſtellung. Und wie genieße ich
das! Wiſſen Sie, es war Zeit, nach dem langen Arbeits¬
fieber. Jetzt ſtrecke und recke ich mich, wie auf einem
rechten Faulbett, — ordentlich wie eine Rekonvaleszentin
fühl ich mich, — da lebt man ganz anders. — Paſ¬
ſiver, lauſchender, aufnehmender. — Man wacht nicht,
man ſchläft aber auch nicht. —“

„— Man träumt!“ ergänzte er aufs Geratewohl.
Fenia ſah mit einem raſchen Blick zu ihm auf. Dann
ſchwieg ſie.

„Eigentlich haben wir alſo die Rollen getauſcht,“
meinte er, „denn ich bin dieſes Jahr recht fleißig ge¬
weſen. — — Aber wie wird es Ihnen denn ſchmecken,
nach dieſer Zwiſchenzeit ein ſchwieriges Lehramt auszu¬
üben, — graut Ihnen nicht davor?“

Sie lachte.

„So weit hinaus kann ich im Augenblick nicht vor¬
wärts denken. — — Aber das wird recht ſchlimm ſein,
denn es iſt mir eigentlich ſtets ſehr anziehend geweſen.“

Darauf ſchwieg ſie wieder mit nachdenklichem Ge¬
ſicht, als beſchäftige ſie etwas Unausgeſprochenes. Sie
gelangten inzwiſchen auf den belebten Teil des Newskijs,
wo die ſie umdrängende Menſchenmenge, die ſie jeden Augen¬
blick trennte, ohnehin die Unterhaltung erſchwert hätte.

Hinter der Polizeibrücke ſank die Sonne. Lange
blaue Schatten liefen über den Schnee und ſchufen jene
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am Tage nichts mehr recht deutlich erkennt, und dennoch

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[37/0041] — 37 — ganz vorbei. Ich lebe jetzt ja auch in einer ſolchen Uebergangs- und Zwiſchenzeit, — nicht wahr? Bis zu der mir verſprochenen Anſtellung. Und wie genieße ich das! Wiſſen Sie, es war Zeit, nach dem langen Arbeits¬ fieber. Jetzt ſtrecke und recke ich mich, wie auf einem rechten Faulbett, — ordentlich wie eine Rekonvaleszentin fühl ich mich, — da lebt man ganz anders. — Paſ¬ ſiver, lauſchender, aufnehmender. — Man wacht nicht, man ſchläft aber auch nicht. —“ „— Man träumt!“ ergänzte er aufs Geratewohl. Fenia ſah mit einem raſchen Blick zu ihm auf. Dann ſchwieg ſie. „Eigentlich haben wir alſo die Rollen getauſcht,“ meinte er, „denn ich bin dieſes Jahr recht fleißig ge¬ weſen. — — Aber wie wird es Ihnen denn ſchmecken, nach dieſer Zwiſchenzeit ein ſchwieriges Lehramt auszu¬ üben, — graut Ihnen nicht davor?“ Sie lachte. „So weit hinaus kann ich im Augenblick nicht vor¬ wärts denken. — — Aber das wird recht ſchlimm ſein, denn es iſt mir eigentlich ſtets ſehr anziehend geweſen.“ Darauf ſchwieg ſie wieder mit nachdenklichem Ge¬ ſicht, als beſchäftige ſie etwas Unausgeſprochenes. Sie gelangten inzwiſchen auf den belebten Teil des Newskijs, wo die ſie umdrängende Menſchenmenge, die ſie jeden Augen¬ blick trennte, ohnehin die Unterhaltung erſchwert hätte. Hinter der Polizeibrücke ſank die Sonne. Lange blaue Schatten liefen über den Schnee und ſchufen jene nordiſche Winterdämmerung, in der man ſchon mitten am Tage nichts mehr recht deutlich erkennt, und dennoch

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/41>, abgerufen am 21.11.2024.