Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ja, verkehrt, studiert!" unterbrach sie ihn. "Und
damals dachte ich auch wohl: die Liebe, das ist sicher nur
die höchste Fortsetzung solcher kameradschaftlichen Freund¬
schaft, wo man ja schon so vieles teilt --."

"Aber keinen davon haben Sie geliebt?"

Sie schüttelte den Kopf. "Nein. Nie. Um man¬
chen, der um deswillen fortging, trauerte ich. Aber was
konnte das ändern? Ich wartete darauf, daß die Freund¬
schaft in mir bis zur Liebe stiege -- --. Sie stieg auch
zuweilen, -- immer höher und höher, -- aber nicht in
die Liebe hinein, -- sie wurde dann zugleich immer
dünner und spitzer, -- -- und eines Tages brach stets
die Spitze ab."

"Also ist es schließlich auch gar nicht einer Ihrer
eigentlichen Geisteskameraden gewesen?"

"O nein!" sagte sie lebhaft, -- "es war einer, mit
dem ich noch nichts teilte. Den ich kaum kannte. --
Grade nach Beendigung meiner Studien, während einer
Erholungsreise. -- -- Ja, und im Grunde trieb es mich
auch nicht, mit ihm dies und das zu teilen, -- oder
irgendwohin dort oben hinaufzuklettern, wo die Spitzen
doch immer abbrachen. -- -- Dazu war ich auch zu ange¬
strengt und erholungsfroh. -- -- Aber mich trieb es fast
von der ersten Stunde an, zu ihm hinzutreten und ,du!'
zu ihm zu sagen."

Sie hatte den Kopf gesenkt und sprach mit einem
glücklichen Lächeln um die Lippen. Sie sah bei ihren
Worten ganz weltentrückt und bräutlich aus. Er schaute
sie mit Entzücken an.

"Ja, so geht es nun im Leben zu," bestätigte er,

Lou Andreas-Salome, Fenischka. 5

„Ja, verkehrt, ſtudiert!“ unterbrach ſie ihn. „Und
damals dachte ich auch wohl: die Liebe, das iſt ſicher nur
die höchſte Fortſetzung ſolcher kameradſchaftlichen Freund¬
ſchaft, wo man ja ſchon ſo vieles teilt —.“

„Aber keinen davon haben Sie geliebt?“

Sie ſchüttelte den Kopf. „Nein. Nie. Um man¬
chen, der um deswillen fortging, trauerte ich. Aber was
konnte das ändern? Ich wartete darauf, daß die Freund¬
ſchaft in mir bis zur Liebe ſtiege — —. Sie ſtieg auch
zuweilen, — immer höher und höher, — aber nicht in
die Liebe hinein, — ſie wurde dann zugleich immer
dünner und ſpitzer, — — und eines Tages brach ſtets
die Spitze ab.“

„Alſo iſt es ſchließlich auch gar nicht einer Ihrer
eigentlichen Geiſteskameraden geweſen?“

„O nein!“ ſagte ſie lebhaft, — „es war einer, mit
dem ich noch nichts teilte. Den ich kaum kannte. —
Grade nach Beendigung meiner Studien, während einer
Erholungsreiſe. — — Ja, und im Grunde trieb es mich
auch nicht, mit ihm dies und das zu teilen, — oder
irgendwohin dort oben hinaufzuklettern, wo die Spitzen
doch immer abbrachen. — — Dazu war ich auch zu ange¬
ſtrengt und erholungsfroh. — — Aber mich trieb es faſt
von der erſten Stunde an, zu ihm hinzutreten und ‚du!‘
zu ihm zu ſagen.“

Sie hatte den Kopf geſenkt und ſprach mit einem
glücklichen Lächeln um die Lippen. Sie ſah bei ihren
Worten ganz weltentrückt und bräutlich aus. Er ſchaute
ſie mit Entzücken an.

„Ja, ſo geht es nun im Leben zu,“ beſtätigte er,

Lou Andreas-Salomé, Feniſchka. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0069" n="65"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 65 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>&#x201E;Ja, verkehrt, &#x017F;tudiert!&#x201C; unterbrach &#x017F;ie ihn. &#x201E;Und<lb/>
damals dachte ich auch wohl: die Liebe, das i&#x017F;t &#x017F;icher nur<lb/>
die höch&#x017F;te Fort&#x017F;etzung &#x017F;olcher kamerad&#x017F;chaftlichen Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft, wo man ja &#x017F;chon &#x017F;o vieles teilt &#x2014;.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber keinen davon haben Sie geliebt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;chüttelte den Kopf. &#x201E;Nein. Nie. Um man¬<lb/>
chen, der um deswillen fortging, trauerte ich. Aber was<lb/>
konnte das ändern? Ich wartete darauf, daß die Freund¬<lb/>
&#x017F;chaft in mir bis zur Liebe &#x017F;tiege &#x2014; &#x2014;. Sie &#x017F;tieg auch<lb/>
zuweilen, &#x2014; immer höher und höher, &#x2014; aber nicht in<lb/>
die Liebe hinein, &#x2014; &#x017F;ie wurde dann zugleich immer<lb/>
dünner und &#x017F;pitzer, &#x2014; &#x2014; und eines Tages brach &#x017F;tets<lb/>
die Spitze ab.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Al&#x017F;o i&#x017F;t es &#x017F;chließlich auch gar nicht einer Ihrer<lb/>
eigentlichen Gei&#x017F;teskameraden gewe&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O nein!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie lebhaft, &#x2014; &#x201E;es war einer, mit<lb/>
dem ich noch nichts teilte. Den ich kaum kannte. &#x2014;<lb/>
Grade nach Beendigung meiner Studien, während einer<lb/>
Erholungsrei&#x017F;e. &#x2014; &#x2014; Ja, und im Grunde trieb es mich<lb/>
auch nicht, mit ihm dies und das zu teilen, &#x2014; oder<lb/>
irgendwohin dort oben hinaufzuklettern, wo die Spitzen<lb/>
doch immer abbrachen. &#x2014; &#x2014; Dazu war ich auch zu ange¬<lb/>
&#x017F;trengt und erholungsfroh. &#x2014; &#x2014; Aber mich trieb es fa&#x017F;t<lb/>
von der er&#x017F;ten Stunde an, zu ihm hinzutreten und &#x201A;du!&#x2018;<lb/>
zu ihm zu &#x017F;agen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie hatte den Kopf ge&#x017F;enkt und &#x017F;prach mit einem<lb/>
glücklichen Lächeln um die Lippen. Sie &#x017F;ah bei ihren<lb/>
Worten ganz weltentrückt und bräutlich aus. Er &#x017F;chaute<lb/>
&#x017F;ie mit Entzücken an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja, &#x017F;o geht es nun im Leben zu,&#x201C; be&#x017F;tätigte er,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Lou Andreas-Salomé</hi>, Feni&#x017F;chka. 5<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0069] — 65 — „Ja, verkehrt, ſtudiert!“ unterbrach ſie ihn. „Und damals dachte ich auch wohl: die Liebe, das iſt ſicher nur die höchſte Fortſetzung ſolcher kameradſchaftlichen Freund¬ ſchaft, wo man ja ſchon ſo vieles teilt —.“ „Aber keinen davon haben Sie geliebt?“ Sie ſchüttelte den Kopf. „Nein. Nie. Um man¬ chen, der um deswillen fortging, trauerte ich. Aber was konnte das ändern? Ich wartete darauf, daß die Freund¬ ſchaft in mir bis zur Liebe ſtiege — —. Sie ſtieg auch zuweilen, — immer höher und höher, — aber nicht in die Liebe hinein, — ſie wurde dann zugleich immer dünner und ſpitzer, — — und eines Tages brach ſtets die Spitze ab.“ „Alſo iſt es ſchließlich auch gar nicht einer Ihrer eigentlichen Geiſteskameraden geweſen?“ „O nein!“ ſagte ſie lebhaft, — „es war einer, mit dem ich noch nichts teilte. Den ich kaum kannte. — Grade nach Beendigung meiner Studien, während einer Erholungsreiſe. — — Ja, und im Grunde trieb es mich auch nicht, mit ihm dies und das zu teilen, — oder irgendwohin dort oben hinaufzuklettern, wo die Spitzen doch immer abbrachen. — — Dazu war ich auch zu ange¬ ſtrengt und erholungsfroh. — — Aber mich trieb es faſt von der erſten Stunde an, zu ihm hinzutreten und ‚du!‘ zu ihm zu ſagen.“ Sie hatte den Kopf geſenkt und ſprach mit einem glücklichen Lächeln um die Lippen. Sie ſah bei ihren Worten ganz weltentrückt und bräutlich aus. Er ſchaute ſie mit Entzücken an. „Ja, ſo geht es nun im Leben zu,“ beſtätigte er, Lou Andreas-Salomé, Feniſchka. 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/69
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/69>, abgerufen am 04.12.2024.