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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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bemüht, sie in der schönen Stimmung zu erhalten, "man
macht sich große Theorien, man will geistig zusammen¬
passen und will sich auf Herz und Nieren prüfen, --
und schließlich wählt man einander doch in der Gunst der
Stunde, und ohne alle weitern Kennzeichen."

"Aber das sind ja die allertiefsten Kennzeichen!"
rief sie erstaunt, -- "das ist ja eben der ungeheure Irr¬
tum, zu glauben, daß ,Geist' und ,Seele', und wie alle
diese schönen Dinge im Menschenverkehr heißen, etwas
Edleres oder Tieferes sind, als sie. Nein, das weiß ich
besser! Besonders der Geist, der ist schon durchaus nicht
edler, sondern das Gröbste und Pöbelhafteste ist er, und
saugt sich mit seinem kalten Interesse unterschiedslos an
die allerverschiedensten Menschen an, um sie loszulassen,
sobald er ihnen ihr Interessantes entnommen hat. Das
hab ich oft gethan, -- pfui! -- -- Aber auch die so¬
genannten seelischen Freundschaften! Etwas wählerischer
sind sie, aber auch sie kann man zu mehreren Menschen
haben, mehrere können sich folgen, denn man bekommt
ja auch in ihnen nur ein Teilchen des ganzen Menschen,
und giebt nur ein Teilchen. -- -- Man bleibt bewußt,
-- geizig, -- genügsam."

Was sie da sagte, kam ihr aus dem tiefsten über¬
zeugten Herzen. Sie verkündete es wie eine jauchzend
errungene Lebenserkenntnis, -- sie war stolz darauf.

"Sie sind ein rätselhaftes Mädchen, Fenia!" sagte
Max Werner. "Und ich -- ich habe Sie für kühl ge¬
halten -- --. Oder doch wenigstens nicht recht zugäng¬
lich für den wirklichen Rausch. Wer so jahraus, jahrein
mit Männern umgehn und studieren kann, ohne jemals

bemüht, ſie in der ſchönen Stimmung zu erhalten, „man
macht ſich große Theorien, man will geiſtig zuſammen¬
paſſen und will ſich auf Herz und Nieren prüfen, —
und ſchließlich wählt man einander doch in der Gunſt der
Stunde, und ohne alle weitern Kennzeichen.“

„Aber das ſind ja die allertiefſten Kennzeichen!“
rief ſie erſtaunt, — „das iſt ja eben der ungeheure Irr¬
tum, zu glauben, daß ,Geiſt‘ und ,Seele‘, und wie alle
dieſe ſchönen Dinge im Menſchenverkehr heißen, etwas
Edleres oder Tieferes ſind, als ſie. Nein, das weiß ich
beſſer! Beſonders der Geiſt, der iſt ſchon durchaus nicht
edler, ſondern das Gröbſte und Pöbelhafteſte iſt er, und
ſaugt ſich mit ſeinem kalten Intereſſe unterſchiedslos an
die allerverſchiedenſten Menſchen an, um ſie loszulaſſen,
ſobald er ihnen ihr Intereſſantes entnommen hat. Das
hab ich oft gethan, — pfui! — — Aber auch die ſo¬
genannten ſeeliſchen Freundſchaften! Etwas wähleriſcher
ſind ſie, aber auch ſie kann man zu mehreren Menſchen
haben, mehrere können ſich folgen, denn man bekommt
ja auch in ihnen nur ein Teilchen des ganzen Menſchen,
und giebt nur ein Teilchen. — — Man bleibt bewußt,
— geizig, — genügſam.“

Was ſie da ſagte, kam ihr aus dem tiefſten über¬
zeugten Herzen. Sie verkündete es wie eine jauchzend
errungene Lebenserkenntnis, — ſie war ſtolz darauf.

„Sie ſind ein rätſelhaftes Mädchen, Fenia!“ ſagte
Max Werner. „Und ich — ich habe Sie für kühl ge¬
halten — —. Oder doch wenigſtens nicht recht zugäng¬
lich für den wirklichen Rauſch. Wer ſo jahraus, jahrein
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[66/0070] — 66 — bemüht, ſie in der ſchönen Stimmung zu erhalten, „man macht ſich große Theorien, man will geiſtig zuſammen¬ paſſen und will ſich auf Herz und Nieren prüfen, — und ſchließlich wählt man einander doch in der Gunſt der Stunde, und ohne alle weitern Kennzeichen.“ „Aber das ſind ja die allertiefſten Kennzeichen!“ rief ſie erſtaunt, — „das iſt ja eben der ungeheure Irr¬ tum, zu glauben, daß ,Geiſt‘ und ,Seele‘, und wie alle dieſe ſchönen Dinge im Menſchenverkehr heißen, etwas Edleres oder Tieferes ſind, als ſie. Nein, das weiß ich beſſer! Beſonders der Geiſt, der iſt ſchon durchaus nicht edler, ſondern das Gröbſte und Pöbelhafteſte iſt er, und ſaugt ſich mit ſeinem kalten Intereſſe unterſchiedslos an die allerverſchiedenſten Menſchen an, um ſie loszulaſſen, ſobald er ihnen ihr Intereſſantes entnommen hat. Das hab ich oft gethan, — pfui! — — Aber auch die ſo¬ genannten ſeeliſchen Freundſchaften! Etwas wähleriſcher ſind ſie, aber auch ſie kann man zu mehreren Menſchen haben, mehrere können ſich folgen, denn man bekommt ja auch in ihnen nur ein Teilchen des ganzen Menſchen, und giebt nur ein Teilchen. — — Man bleibt bewußt, — geizig, — genügſam.“ Was ſie da ſagte, kam ihr aus dem tiefſten über¬ zeugten Herzen. Sie verkündete es wie eine jauchzend errungene Lebenserkenntnis, — ſie war ſtolz darauf. „Sie ſind ein rätſelhaftes Mädchen, Fenia!“ ſagte Max Werner. „Und ich — ich habe Sie für kühl ge¬ halten — —. Oder doch wenigſtens nicht recht zugäng¬ lich für den wirklichen Rauſch. Wer ſo jahraus, jahrein mit Männern umgehn und ſtudieren kann, ohne jemals

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/70>, abgerufen am 11.05.2024.