Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie hatte die Thür geöffnet, und der Portier mit
den Silberlitzen kam dienstbeflissen herbei, wollte hinter
ihr schließen, und händigte ihr zugleich zwei inzwischen
eingelaufene Briefe ein.

Fenia blieb auf der Schwelle stehn, besah die Brief¬
adressen und bemerkte dabei zu Max:

"Ich beabsichtigte eigentlich noch nicht, hinaufzugehn,
wir können also gern noch ein wenig draußen bleiben,
-- aber ich erwartete Nachrichten, und deshalb" -- sie
warf einen schalkhaften Seitenblick auf ihn und fügte
hinzu: "-- Diesen einen, siehst du, der ohne Marke her¬
gebracht worden ist, den muß ich gleich lesen. Es han¬
delt sich um die Verabredung einer Stunde zu heute --
oder morgen."

Er ließ sie lesen, während sie die Straße lang¬
sam entlang schritten, und musterte dabei ungeduldig
den Sand und Schnee auf dem Trottoir zu seinen Füßen.
Heute morgen kam ihm Fenias Auserwählter etwas in
die Quere.

Als Fenia aber den Brief eingesteckt hatte und, wie
ihm schien, Minuten vergingen, ohne daß sie sprach,
sah er scharf nach ihr hin.

Der Ausdruck ihres Gesichtes hatte sich ganz ver¬
wandelt, -- zum Erschrecken verwandelt hatte er sich.
Sie war erblaßt, um den Mund ein gespannter, ner¬
vöser Zug, ihre Augen blickten mit einer gewissen ver¬
wirrten Anstrengung grade vor sich hin.

"Fenia!" sagte er halblaut, "-- was ist dir? was
ist denn geschehen? Steht im Brief irgend etwas
Schlimmes?"

Sie hatte die Thür geöffnet, und der Portier mit
den Silberlitzen kam dienſtbefliſſen herbei, wollte hinter
ihr ſchließen, und händigte ihr zugleich zwei inzwiſchen
eingelaufene Briefe ein.

Fenia blieb auf der Schwelle ſtehn, beſah die Brief¬
adreſſen und bemerkte dabei zu Max:

„Ich beabſichtigte eigentlich noch nicht, hinaufzugehn,
wir können alſo gern noch ein wenig draußen bleiben,
— aber ich erwartete Nachrichten, und deshalb“ — ſie
warf einen ſchalkhaften Seitenblick auf ihn und fügte
hinzu: „— Dieſen einen, ſiehſt du, der ohne Marke her¬
gebracht worden iſt, den muß ich gleich leſen. Es han¬
delt ſich um die Verabredung einer Stunde zu heute —
oder morgen.“

Er ließ ſie leſen, während ſie die Straße lang¬
ſam entlang ſchritten, und muſterte dabei ungeduldig
den Sand und Schnee auf dem Trottoir zu ſeinen Füßen.
Heute morgen kam ihm Fenias Auserwählter etwas in
die Quere.

Als Fenia aber den Brief eingeſteckt hatte und, wie
ihm ſchien, Minuten vergingen, ohne daß ſie ſprach,
ſah er ſcharf nach ihr hin.

Der Ausdruck ihres Geſichtes hatte ſich ganz ver¬
wandelt, — zum Erſchrecken verwandelt hatte er ſich.
Sie war erblaßt, um den Mund ein geſpannter, ner¬
vöſer Zug, ihre Augen blickten mit einer gewiſſen ver¬
wirrten Anſtrengung grade vor ſich hin.

„Fenia!“ ſagte er halblaut, „— was iſt dir? was
iſt denn geſchehen? Steht im Brief irgend etwas
Schlimmes?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0082" n="78"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 78 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>Sie hatte die Thür geöffnet, und der Portier mit<lb/>
den Silberlitzen kam dien&#x017F;tbefli&#x017F;&#x017F;en herbei, wollte hinter<lb/>
ihr &#x017F;chließen, und händigte ihr zugleich zwei inzwi&#x017F;chen<lb/>
eingelaufene Briefe ein.</p><lb/>
        <p>Fenia blieb auf der Schwelle &#x017F;tehn, be&#x017F;ah die Brief¬<lb/>
adre&#x017F;&#x017F;en und bemerkte dabei zu Max:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich beab&#x017F;ichtigte eigentlich noch nicht, hinaufzugehn,<lb/>
wir können al&#x017F;o gern noch ein wenig draußen bleiben,<lb/>
&#x2014; aber ich erwartete Nachrichten, und deshalb&#x201C; &#x2014; &#x017F;ie<lb/>
warf einen &#x017F;chalkhaften Seitenblick auf ihn und fügte<lb/>
hinzu: &#x201E;&#x2014; Die&#x017F;en einen, &#x017F;ieh&#x017F;t du, der ohne Marke her¬<lb/>
gebracht worden i&#x017F;t, den muß ich gleich le&#x017F;en. Es han¬<lb/>
delt &#x017F;ich um die Verabredung einer Stunde zu heute &#x2014;<lb/>
oder morgen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er ließ &#x017F;ie le&#x017F;en, während &#x017F;ie die Straße lang¬<lb/>
&#x017F;am entlang &#x017F;chritten, und mu&#x017F;terte dabei ungeduldig<lb/>
den Sand und Schnee auf dem Trottoir zu &#x017F;einen Füßen.<lb/>
Heute morgen kam ihm Fenias Auserwählter etwas in<lb/>
die Quere.</p><lb/>
        <p>Als Fenia aber den Brief einge&#x017F;teckt hatte und, wie<lb/>
ihm &#x017F;chien, Minuten vergingen, ohne daß &#x017F;ie &#x017F;prach,<lb/>
&#x017F;ah er &#x017F;charf nach ihr hin.</p><lb/>
        <p>Der Ausdruck ihres Ge&#x017F;ichtes hatte &#x017F;ich ganz ver¬<lb/>
wandelt, &#x2014; zum Er&#x017F;chrecken verwandelt hatte er &#x017F;ich.<lb/>
Sie war erblaßt, um den Mund ein ge&#x017F;pannter, ner¬<lb/>&#x017F;er Zug, ihre Augen blickten mit einer gewi&#x017F;&#x017F;en ver¬<lb/>
wirrten An&#x017F;trengung grade vor &#x017F;ich hin.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Fenia!&#x201C; &#x017F;agte er halblaut, &#x201E;&#x2014; was i&#x017F;t dir? was<lb/>
i&#x017F;t denn ge&#x017F;chehen? Steht im Brief irgend etwas<lb/>
Schlimmes?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0082] — 78 — Sie hatte die Thür geöffnet, und der Portier mit den Silberlitzen kam dienſtbefliſſen herbei, wollte hinter ihr ſchließen, und händigte ihr zugleich zwei inzwiſchen eingelaufene Briefe ein. Fenia blieb auf der Schwelle ſtehn, beſah die Brief¬ adreſſen und bemerkte dabei zu Max: „Ich beabſichtigte eigentlich noch nicht, hinaufzugehn, wir können alſo gern noch ein wenig draußen bleiben, — aber ich erwartete Nachrichten, und deshalb“ — ſie warf einen ſchalkhaften Seitenblick auf ihn und fügte hinzu: „— Dieſen einen, ſiehſt du, der ohne Marke her¬ gebracht worden iſt, den muß ich gleich leſen. Es han¬ delt ſich um die Verabredung einer Stunde zu heute — oder morgen.“ Er ließ ſie leſen, während ſie die Straße lang¬ ſam entlang ſchritten, und muſterte dabei ungeduldig den Sand und Schnee auf dem Trottoir zu ſeinen Füßen. Heute morgen kam ihm Fenias Auserwählter etwas in die Quere. Als Fenia aber den Brief eingeſteckt hatte und, wie ihm ſchien, Minuten vergingen, ohne daß ſie ſprach, ſah er ſcharf nach ihr hin. Der Ausdruck ihres Geſichtes hatte ſich ganz ver¬ wandelt, — zum Erſchrecken verwandelt hatte er ſich. Sie war erblaßt, um den Mund ein geſpannter, ner¬ vöſer Zug, ihre Augen blickten mit einer gewiſſen ver¬ wirrten Anſtrengung grade vor ſich hin. „Fenia!“ ſagte er halblaut, „— was iſt dir? was iſt denn geſchehen? Steht im Brief irgend etwas Schlimmes?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/82
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/82>, abgerufen am 11.05.2024.