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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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"Aber, Fenitschka, auf dem Gut, während der Hochzeit
meiner Schwester, warst du ja noch so vollgestopft mit
den allergraulichsten Ehebetrachtungen!" sagte Max Werner
beruhigend, "-- willst du denn nicht --"

Sie blieb stehn und sah mit ihren großen, klaren,
so eigentümlich seelenoffenen Augen zu ihm auf.

"Ist es dir jemals so vorgekommen, -- in dieser
ganzen Zeit, -- als ob ich heiraten wollte?"

"Nein, -- das wohl nicht," gab er zu, "aber es
mußte schließlich --"

"Ich konnte es auch gar nicht wollen!" unterbrach
sie ihn, "sage mir, will es denn etwa einer von euch,
-- will es ein junger Mensch zum Beispiel, der seine ganze
Jugend drangesetzt hat, um frei und selbständig zu wer¬
den, -- der nun grade vor dem Ziel steht, -- auf der
Schwelle, -- der das Leben grade um deswillen lieb ge¬
wonnen hat, -- um des Berufslebens willen, um der
Verantwortlichkeit willen, um der Unabhängigkeit willen!
-- Nein! Ich kann es mir einfach nicht als Lebensziel
vorstellen, -- Heim, Familie, Hausfrau, Kinder, -- es
ist mir fremd, fremd, fremd! Vielleicht nur jetzt, --
vielleicht nur in dieser Lebensperiode. Weiß ich's? --
Vielleicht bin ich überhaupt untauglich grade dazu. -- --
Liebe und Ehe ist eben nicht dasselbe."

Sie sprach rasch und erregt, sie vergaß ganz, wo
sie war, und lehnte sich einfach mit dem Rücken gegen
eine Hausmauer, vor der sie gerade standen. Dies war
sicher kein geeigneter Aufenthalt für eine solche Unter¬
haltung; Max Werner fürchtete, sie könnte mit ihrem
Tuchpelz an der weißbeworfenen Hauswand festfrieren,

„Aber, Fenitſchka, auf dem Gut, während der Hochzeit
meiner Schweſter, warſt du ja noch ſo vollgeſtopft mit
den allergraulichſten Ehebetrachtungen!“ ſagte Max Werner
beruhigend, „— willſt du denn nicht —“

Sie blieb ſtehn und ſah mit ihren großen, klaren,
ſo eigentümlich ſeelenoffenen Augen zu ihm auf.

„Iſt es dir jemals ſo vorgekommen, — in dieſer
ganzen Zeit, — als ob ich heiraten wollte?“

„Nein, — das wohl nicht,“ gab er zu, „aber es
mußte ſchließlich —“

„Ich konnte es auch gar nicht wollen!“ unterbrach
ſie ihn, „ſage mir, will es denn etwa einer von euch,
— will es ein junger Menſch zum Beiſpiel, der ſeine ganze
Jugend drangeſetzt hat, um frei und ſelbſtändig zu wer¬
den, — der nun grade vor dem Ziel ſteht, — auf der
Schwelle, — der das Leben grade um deswillen lieb ge¬
wonnen hat, — um des Berufslebens willen, um der
Verantwortlichkeit willen, um der Unabhängigkeit willen!
— Nein! Ich kann es mir einfach nicht als Lebensziel
vorſtellen, — Heim, Familie, Hausfrau, Kinder, — es
iſt mir fremd, fremd, fremd! Vielleicht nur jetzt, —
vielleicht nur in dieſer Lebensperiode. Weiß ich's? —
Vielleicht bin ich überhaupt untauglich grade dazu. — —
Liebe und Ehe iſt eben nicht dasſelbe.“

Sie ſprach raſch und erregt, ſie vergaß ganz, wo
ſie war, und lehnte ſich einfach mit dem Rücken gegen
eine Hausmauer, vor der ſie gerade ſtanden. Dies war
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haltung; Max Werner fürchtete, ſie könnte mit ihrem
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[80/0084] — 80 — „Aber, Fenitſchka, auf dem Gut, während der Hochzeit meiner Schweſter, warſt du ja noch ſo vollgeſtopft mit den allergraulichſten Ehebetrachtungen!“ ſagte Max Werner beruhigend, „— willſt du denn nicht —“ Sie blieb ſtehn und ſah mit ihren großen, klaren, ſo eigentümlich ſeelenoffenen Augen zu ihm auf. „Iſt es dir jemals ſo vorgekommen, — in dieſer ganzen Zeit, — als ob ich heiraten wollte?“ „Nein, — das wohl nicht,“ gab er zu, „aber es mußte ſchließlich —“ „Ich konnte es auch gar nicht wollen!“ unterbrach ſie ihn, „ſage mir, will es denn etwa einer von euch, — will es ein junger Menſch zum Beiſpiel, der ſeine ganze Jugend drangeſetzt hat, um frei und ſelbſtändig zu wer¬ den, — der nun grade vor dem Ziel ſteht, — auf der Schwelle, — der das Leben grade um deswillen lieb ge¬ wonnen hat, — um des Berufslebens willen, um der Verantwortlichkeit willen, um der Unabhängigkeit willen! — Nein! Ich kann es mir einfach nicht als Lebensziel vorſtellen, — Heim, Familie, Hausfrau, Kinder, — es iſt mir fremd, fremd, fremd! Vielleicht nur jetzt, — vielleicht nur in dieſer Lebensperiode. Weiß ich's? — Vielleicht bin ich überhaupt untauglich grade dazu. — — Liebe und Ehe iſt eben nicht dasſelbe.“ Sie ſprach raſch und erregt, ſie vergaß ganz, wo ſie war, und lehnte ſich einfach mit dem Rücken gegen eine Hausmauer, vor der ſie gerade ſtanden. Dies war ſicher kein geeigneter Aufenthalt für eine ſolche Unter¬ haltung; Max Werner fürchtete, ſie könnte mit ihrem Tuchpelz an der weißbeworfenen Hauswand feſtfrieren,

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/84>, abgerufen am 11.05.2024.