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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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und Liebe Fühlen, ein holdseelig Küssen, von einander Essen,
Trinken und Liebe-Spazieren." --

Ein fein gebildeter richtiger Eßgeschmack wird dem Künst-
ler niemals ohne Früchte für seinen ästhetischen Geschmack über-
haupt bleiben. Aesthetik kommt nun doch einmal von aisdo,
ich schmecke, her, und es liegt die Deutung nahe genug, daß
ein Mensch, der keinen Eßsinn, keinen veredelten, zum Bewußt-
sein erhobenen Geschmack hat, dessen Uebung und Ausbildung
ihm täglich so nahe liegt, schwerlich an Schönheitssinn über-
haupt Ueberfluß haben werde. Obgleich nun Jacob Böhme
sagt: wie ein Mensch eine Stimme aus einer lieblichen Musica
in sein Gehör gerne isset und darinnen fröhlich ist etc., -- so ha-
ben doch ernsthafte Musikliebhaber mit Nachdruck dagegen geei-
fert, die Musik einen Ohrenschmaus zu nennen, und haben das
eine Herabwürdigung der Kunst geheißen. Man würde das
Wesen der Eßkunst gleichmäßig verkennen, wollte man sie, wie
z. B. Montaigne, als Wissenschaft des Gaumens definiren.
Abgesehen davon, daß nicht der Gaumen, sondern die Zunge
das zunächst perzipirende Geschmacksorgan ist, so schmeckt doch
die Zunge eben so wenig, als die Ohren hören, sondern es ist
nachzuweisen, daß der Mensch es ist, welcher mittels Zunge
und Ohren schmeckt und hört. Wer seine Zunge schmecken und
seine Ohren hören läßt, und nicht selber schmeckt und hört,
versteht von Eßkunst und Musik gleich wenig. Es ist das ein
wesentlicher Punkt, der ja nicht übersehen werden darf. Das
Beleidigende, welches für den Eßkünstler in jener übel gerath-
nen Definition Montaigne's, einem verunglückten Witze,
liegt, wird sich im Verlaufe der Vorlesungen von selbst er-
ledigen.

Denkt man, aber nicht mit dem Gaumen, tiefer über die
Eßkunst nach, so ergiebt sie sich subjektiv als die Geschicklichkeit
oder Fertigkeit vernünftig-sinnlicher Wesen, freie, nicht noth-
wendige, geschmackvolle Wirkungen zu setzen, und objektiv als

und Liebe Fuͤhlen, ein holdſeelig Kuͤſſen, von einander Eſſen,
Trinken und Liebe-Spazieren.“ —

Ein fein gebildeter richtiger Eßgeſchmack wird dem Kuͤnſt-
ler niemals ohne Fruͤchte fuͤr ſeinen aͤſthetiſchen Geſchmack uͤber-
haupt bleiben. Aeſthetik kommt nun doch einmal von ἀισδω,
ich ſchmecke, her, und es liegt die Deutung nahe genug, daß
ein Menſch, der keinen Eßſinn, keinen veredelten, zum Bewußt-
ſein erhobenen Geſchmack hat, deſſen Uebung und Ausbildung
ihm taͤglich ſo nahe liegt, ſchwerlich an Schoͤnheitsſinn uͤber-
haupt Ueberfluß haben werde. Obgleich nun Jacob Boͤhme
ſagt: wie ein Menſch eine Stimme aus einer lieblichen Muſica
in ſein Gehoͤr gerne iſſet und darinnen froͤhlich iſt ꝛc., — ſo ha-
ben doch ernſthafte Muſikliebhaber mit Nachdruck dagegen geei-
fert, die Muſik einen Ohrenſchmaus zu nennen, und haben das
eine Herabwuͤrdigung der Kunſt geheißen. Man wuͤrde das
Weſen der Eßkunſt gleichmaͤßig verkennen, wollte man ſie, wie
z. B. Montaigne, als Wiſſenſchaft des Gaumens definiren.
Abgeſehen davon, daß nicht der Gaumen, ſondern die Zunge
das zunaͤchſt perzipirende Geſchmacksorgan iſt, ſo ſchmeckt doch
die Zunge eben ſo wenig, als die Ohren hoͤren, ſondern es iſt
nachzuweiſen, daß der Menſch es iſt, welcher mittels Zunge
und Ohren ſchmeckt und hoͤrt. Wer ſeine Zunge ſchmecken und
ſeine Ohren hoͤren laͤßt, und nicht ſelber ſchmeckt und hoͤrt,
verſteht von Eßkunſt und Muſik gleich wenig. Es iſt das ein
weſentlicher Punkt, der ja nicht uͤberſehen werden darf. Das
Beleidigende, welches fuͤr den Eßkuͤnſtler in jener uͤbel gerath-
nen Definition Montaigne’s, einem verungluͤckten Witze,
liegt, wird ſich im Verlaufe der Vorleſungen von ſelbſt er-
ledigen.

Denkt man, aber nicht mit dem Gaumen, tiefer uͤber die
Eßkunſt nach, ſo ergiebt ſie ſich ſubjektiv als die Geſchicklichkeit
oder Fertigkeit vernuͤnftig-ſinnlicher Weſen, freie, nicht noth-
wendige, geſchmackvolle Wirkungen zu ſetzen, und objektiv als

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[87/0101] und Liebe Fuͤhlen, ein holdſeelig Kuͤſſen, von einander Eſſen, Trinken und Liebe-Spazieren.“ — Ein fein gebildeter richtiger Eßgeſchmack wird dem Kuͤnſt- ler niemals ohne Fruͤchte fuͤr ſeinen aͤſthetiſchen Geſchmack uͤber- haupt bleiben. Aeſthetik kommt nun doch einmal von ἀισδω, ich ſchmecke, her, und es liegt die Deutung nahe genug, daß ein Menſch, der keinen Eßſinn, keinen veredelten, zum Bewußt- ſein erhobenen Geſchmack hat, deſſen Uebung und Ausbildung ihm taͤglich ſo nahe liegt, ſchwerlich an Schoͤnheitsſinn uͤber- haupt Ueberfluß haben werde. Obgleich nun Jacob Boͤhme ſagt: wie ein Menſch eine Stimme aus einer lieblichen Muſica in ſein Gehoͤr gerne iſſet und darinnen froͤhlich iſt ꝛc., — ſo ha- ben doch ernſthafte Muſikliebhaber mit Nachdruck dagegen geei- fert, die Muſik einen Ohrenſchmaus zu nennen, und haben das eine Herabwuͤrdigung der Kunſt geheißen. Man wuͤrde das Weſen der Eßkunſt gleichmaͤßig verkennen, wollte man ſie, wie z. B. Montaigne, als Wiſſenſchaft des Gaumens definiren. Abgeſehen davon, daß nicht der Gaumen, ſondern die Zunge das zunaͤchſt perzipirende Geſchmacksorgan iſt, ſo ſchmeckt doch die Zunge eben ſo wenig, als die Ohren hoͤren, ſondern es iſt nachzuweiſen, daß der Menſch es iſt, welcher mittels Zunge und Ohren ſchmeckt und hoͤrt. Wer ſeine Zunge ſchmecken und ſeine Ohren hoͤren laͤßt, und nicht ſelber ſchmeckt und hoͤrt, verſteht von Eßkunſt und Muſik gleich wenig. Es iſt das ein weſentlicher Punkt, der ja nicht uͤberſehen werden darf. Das Beleidigende, welches fuͤr den Eßkuͤnſtler in jener uͤbel gerath- nen Definition Montaigne’s, einem verungluͤckten Witze, liegt, wird ſich im Verlaufe der Vorleſungen von ſelbſt er- ledigen. Denkt man, aber nicht mit dem Gaumen, tiefer uͤber die Eßkunſt nach, ſo ergiebt ſie ſich ſubjektiv als die Geſchicklichkeit oder Fertigkeit vernuͤnftig-ſinnlicher Weſen, freie, nicht noth- wendige, geſchmackvolle Wirkungen zu ſetzen, und objektiv als

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/101>, abgerufen am 21.11.2024.