Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.das Essen und die Speisen urtheilen will, -- und Genuß ohne Es ist längst gesagt, daß, wer ein Kunstwerk recht genie- das Eſſen und die Speiſen urtheilen will, — und Genuß ohne Es iſt laͤngſt geſagt, daß, wer ein Kunſtwerk recht genie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103" n="89"/> das Eſſen und die Speiſen urtheilen will, — und Genuß ohne<lb/> Urtheil iſt jedenfalls doch gar zu wenig — der muß zwar kein<lb/> Koch ſein, aber ſollte wiſſen, was Kochen heißt, er ſollte den<lb/> Geiſt der Kochkunſt erfaßt haben. Freilich urtheilen gerade die<lb/> Koͤche uͤber das Eſſen oft ſehr ſchief und einſeitig, namentlich<lb/> ſind ſie faſt ohne Ausnahme hartnaͤckig der Meinung, es muͤſſe<lb/> das, was ſie gekocht haben, jedem gut ſchmecken und behagen.<lb/> Man kann aber Niemand Kunſtkenntniß zuſchreiben, der nichts<lb/> vom Techniſchen des zu Beurtheilenden verſteht. Wie ſchoͤn<lb/> klingt’s, wenn man auch nur nachſagen kann: es iſt mit der<lb/> trocknen Nadel gearbeitet, im Papinianiſchen Topfe gekocht ꝛc.<lb/> Es laͤßt gar ſchoͤn, wenn einer eine Bildſaͤule anſchaut und ge-<lb/> wichtig ſagt: ſie iſt von Carariſchem Marmor, — ſo hat doch<lb/> gleich jeder ſein Urtheil uͤber den Urtheiler. <hi rendition="#g">Goethe</hi> ſchrieb an<lb/><hi rendition="#g">Oeſer</hi>: die Werkſtaͤtte eines großen Kuͤnſtlers entwickelt den<lb/> keimenden Dichter mehr, als der Hoͤrſaal des Kritikers. Sehr<lb/> wahr! aber die Kuͤche leiſtet das fuͤr den keimenden Eßkuͤnſtler<lb/> bei weitem nicht; im Gegentheil, es iſt oft ſehr gut, gar nicht<lb/> in die Kuͤche geſchaut zu haben, wenn man will, daß es einem<lb/> ſchmecken ſoll. Doch ich halte mich dabei nicht auf, ſondern<lb/> fahre fort:</p><lb/> <p>Es iſt laͤngſt geſagt, daß, wer ein Kunſtwerk recht genie-<lb/> ßen will, eine eigne ergaͤnzende Kraft mitzubringen habe. So<lb/> wahr dieſes auch iſt, ſo laͤßt ſich gleichwohl nicht laͤugnen, ſo-<lb/> wohl daß manche Kuͤnſtler dieſer ergaͤnzenden Kraft des Be-<lb/> ſchauers zu viel zumuthen und uͤberlaſſen, als auch, daß manche<lb/> Beſchauer ſo viel Ueberfluß davon conſumiren und dem Werke<lb/> uͤbertragen, daß ſie was ganz Anderes gegeſſen haben, als ge-<lb/> kocht worden war. Immer ſoll der Kochkuͤnſtler den Zaͤhnen<lb/> und der Verdauungskraft des Eßkuͤnſtlers zwar nicht zu viel<lb/> zumuthen, aber doch etwas uͤberlaſſen und aufzuloͤſen geben.<lb/> Blos kleinen Kindern ſtreicht man den ſimpeln Brei in den<lb/> Mund, und nur gedankenloſe Nationen erfreuen ſich daran, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [89/0103]
das Eſſen und die Speiſen urtheilen will, — und Genuß ohne
Urtheil iſt jedenfalls doch gar zu wenig — der muß zwar kein
Koch ſein, aber ſollte wiſſen, was Kochen heißt, er ſollte den
Geiſt der Kochkunſt erfaßt haben. Freilich urtheilen gerade die
Koͤche uͤber das Eſſen oft ſehr ſchief und einſeitig, namentlich
ſind ſie faſt ohne Ausnahme hartnaͤckig der Meinung, es muͤſſe
das, was ſie gekocht haben, jedem gut ſchmecken und behagen.
Man kann aber Niemand Kunſtkenntniß zuſchreiben, der nichts
vom Techniſchen des zu Beurtheilenden verſteht. Wie ſchoͤn
klingt’s, wenn man auch nur nachſagen kann: es iſt mit der
trocknen Nadel gearbeitet, im Papinianiſchen Topfe gekocht ꝛc.
Es laͤßt gar ſchoͤn, wenn einer eine Bildſaͤule anſchaut und ge-
wichtig ſagt: ſie iſt von Carariſchem Marmor, — ſo hat doch
gleich jeder ſein Urtheil uͤber den Urtheiler. Goethe ſchrieb an
Oeſer: die Werkſtaͤtte eines großen Kuͤnſtlers entwickelt den
keimenden Dichter mehr, als der Hoͤrſaal des Kritikers. Sehr
wahr! aber die Kuͤche leiſtet das fuͤr den keimenden Eßkuͤnſtler
bei weitem nicht; im Gegentheil, es iſt oft ſehr gut, gar nicht
in die Kuͤche geſchaut zu haben, wenn man will, daß es einem
ſchmecken ſoll. Doch ich halte mich dabei nicht auf, ſondern
fahre fort:
Es iſt laͤngſt geſagt, daß, wer ein Kunſtwerk recht genie-
ßen will, eine eigne ergaͤnzende Kraft mitzubringen habe. So
wahr dieſes auch iſt, ſo laͤßt ſich gleichwohl nicht laͤugnen, ſo-
wohl daß manche Kuͤnſtler dieſer ergaͤnzenden Kraft des Be-
ſchauers zu viel zumuthen und uͤberlaſſen, als auch, daß manche
Beſchauer ſo viel Ueberfluß davon conſumiren und dem Werke
uͤbertragen, daß ſie was ganz Anderes gegeſſen haben, als ge-
kocht worden war. Immer ſoll der Kochkuͤnſtler den Zaͤhnen
und der Verdauungskraft des Eßkuͤnſtlers zwar nicht zu viel
zumuthen, aber doch etwas uͤberlaſſen und aufzuloͤſen geben.
Blos kleinen Kindern ſtreicht man den ſimpeln Brei in den
Mund, und nur gedankenloſe Nationen erfreuen ſich daran, daß
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