Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Nicht übel wär's, über was Gutes gut, und über was Uebrigens lasse sich der wahre Eßkünstler durch die Kunst- Es giebt Kunstkenner und Menschen von wirklich feinem Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt- Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0107" n="93"/> <p>Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was<lb/> Geſcheidtes geſcheidt zu urtheilen; letzteres natuͤrlich mit Zu-<lb/> ruͤckhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unſchoͤne<lb/> mit ſchoͤnen Worten zu uͤberkleiſtern, das Dumme mit dem<lb/> Gemuͤth zu bedecken, das Unerwuͤnſchte zu laͤugnen ſei. Salz<lb/> und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunſt-<lb/> richter wird ſeine Urtheile dadurch ſchmackhafter und eindring-<lb/> licher machen, vorausgeſetzt, daß weder uͤberſalzen noch uͤber-<lb/> pfeffert wird.</p><lb/> <p>Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt-<lb/> richter nicht irrefuͤhren, und ſuche ſich’s am Beſten ſelber zu<lb/> Danke zu machen; denn wer koͤnnte es denn beſſer verſtehen,<lb/> als er ſelber, oder wen haͤtte denn <hi rendition="#g">Mozart</hi> ſollen um Rath<lb/> fragen? —</p><lb/> <p>Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem<lb/> Geſchmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil-<lb/> nahme ermangeln, womit der Kunſtſinnige, der Kunſtfreund<lb/> beſeelt iſt. Jenen wird ſich aber das innere Leben und Weſen<lb/> der Kunſt in ſeiner Urluſt und Grundbedeutung niemals er-<lb/> ſchließen. Wie wahr iſt’s, wenn es heißt: „Es iſt nicht zu be-<lb/> rechnen, wie tief ein Liebender ſchaut (und ſchmeckt), waͤhrend<lb/> ein Gleichgiltiger nichts ſchaut. — [Aber zu große Liebe macht<lb/> blind.] — Man kann wohl ſagen, die Sinne, die Wahrneh-<lb/> mungsgabe ſeien eigentlich die Intereſſen, ja das Geſchmack-<lb/> volle, das Schmackhafte beſteht in der Auffaſſung, Aneignung.<lb/> Uebrigens vergeſſe man nicht, daß bei Kunſturtheilen gar viel<lb/> darauf ankommt, was der Urtheilende ſchon Alles gegeſſen,<lb/> was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge-<lb/> wohnt iſt, was er idioſynkratiſch liebt und nicht liebt, — und<lb/> rechne darauf, daß, was ihm im Leben beſonders geſchmeckt,<lb/> was er unter eigenthuͤmlich guͤnſtigen und erfreulichen Gelegen-<lb/> heiten genoſſen, „oder was ihm einmal uͤbel bekam, modifizi-<lb/> rend in ſein Urtheil ſich eindraͤngen wird.“ —</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [93/0107]
Nicht uͤbel waͤr’s, uͤber was Gutes gut, und uͤber was
Geſcheidtes geſcheidt zu urtheilen; letzteres natuͤrlich mit Zu-
ruͤckhaltung. Daraus folgt keineswegs, daß das Unſchoͤne
mit ſchoͤnen Worten zu uͤberkleiſtern, das Dumme mit dem
Gemuͤth zu bedecken, das Unerwuͤnſchte zu laͤugnen ſei. Salz
und Pfeffer kann der Koch nicht entbehren. Auch der Kunſt-
richter wird ſeine Urtheile dadurch ſchmackhafter und eindring-
licher machen, vorausgeſetzt, daß weder uͤberſalzen noch uͤber-
pfeffert wird.
Uebrigens laſſe ſich der wahre Eßkuͤnſtler durch die Kunſt-
richter nicht irrefuͤhren, und ſuche ſich’s am Beſten ſelber zu
Danke zu machen; denn wer koͤnnte es denn beſſer verſtehen,
als er ſelber, oder wen haͤtte denn Mozart ſollen um Rath
fragen? —
Es giebt Kunſtkenner und Menſchen von wirklich feinem
Geſchmack, die gleichwohl der warmen und lebendigen Theil-
nahme ermangeln, womit der Kunſtſinnige, der Kunſtfreund
beſeelt iſt. Jenen wird ſich aber das innere Leben und Weſen
der Kunſt in ſeiner Urluſt und Grundbedeutung niemals er-
ſchließen. Wie wahr iſt’s, wenn es heißt: „Es iſt nicht zu be-
rechnen, wie tief ein Liebender ſchaut (und ſchmeckt), waͤhrend
ein Gleichgiltiger nichts ſchaut. — [Aber zu große Liebe macht
blind.] — Man kann wohl ſagen, die Sinne, die Wahrneh-
mungsgabe ſeien eigentlich die Intereſſen, ja das Geſchmack-
volle, das Schmackhafte beſteht in der Auffaſſung, Aneignung.
Uebrigens vergeſſe man nicht, daß bei Kunſturtheilen gar viel
darauf ankommt, was der Urtheilende ſchon Alles gegeſſen,
was er weiß und nicht weiß, was er gewohnt und nicht ge-
wohnt iſt, was er idioſynkratiſch liebt und nicht liebt, — und
rechne darauf, daß, was ihm im Leben beſonders geſchmeckt,
was er unter eigenthuͤmlich guͤnſtigen und erfreulichen Gelegen-
heiten genoſſen, „oder was ihm einmal uͤbel bekam, modifizi-
rend in ſein Urtheil ſich eindraͤngen wird.“ —
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