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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Mittelstraße irgendwo, so ist's allerdings bei'm Essen, nament-
lich in Beziehung auf's Quantum, wobei nur zu wünschen
bleibt, daß das Quale nicht zu mittelmäßig sein möge.

Es ist schwer zu sagen, was zu viel und zu wenig ist,
auch wenn man weiß, daß die Wahrheit in der Mitte liegt.
Ein Mensch kann bei einer Portion mäßig heißen, die einem
Andern schon Indigestion verursacht. Es kommt viel auf die
Mägen und dergleichen an. Ein Michel Angelo hat einen ganz
andern Magen als ein Franz Mieris. Die Pariser Schuster-
frau Katharina Bonsergent trank täglich zwei bis vier Ei-
mer Wasser; ein einziges Glas Wein aber zog ihr Ohnmachten
zu. Ein sehr belehrendes Beispiel!

Der Jesuit Lessius setzte für jeden Menschen täglich zwölf
Unzen Speise und vierzehn Unzen Getränk fest. II ne faut pas
trop regner.
Er mochte immer festsetzen. Niemand merkt
darauf, und wenn auch eine ganze Heerde Tölpel sich darnach
gerichtet hätte, so würde die Sache dadurch um nichts gescheid-
ter, sondern höchst wahrscheinlich dümmer.

Es läßt sich eher sagen, wer zu viel, als wer nicht zu viel
ißt. Aber auch jenes ist nicht so leicht. Cochrane berichtet
von einem Jakuten (im Asiatischen Rußland), der innerhalb
vierundzwanzig Stunden ein Viertel von einem großen Ochsen,
zwanzig Pfund Fett, und dazu als Getränk eine tüchtige Por-
tion geschmolzener Butter verzehrte. Zum Dessert folgte ein
zarter Reispudding von achtundzwanzig Pfund. -- Es scheint
dieß allerdings einigermaßen über die Schnur gehauen. Wer
aber getraut sich, die subjektive Eßzurechnungsfähigkeit dieses
Menschen zu bestimmen, um zu behaupten, es sei wirklich für
ihn zu viel?

Renaud de Beaune, Erzbischoff zu Bourges, mußte
Nachts, wenn er kaum vier Stunden geschlafen hatte, aufstehen,
um zu essen. Um vier Uhr Morgens hielt er die zweite Mahl-
zeit. Um acht Uhr folgte das eigentliche Frühstück und Mit-

Mittelſtraße irgendwo, ſo iſt’s allerdings bei’m Eſſen, nament-
lich in Beziehung auf’s Quantum, wobei nur zu wuͤnſchen
bleibt, daß das Quale nicht zu mittelmaͤßig ſein moͤge.

Es iſt ſchwer zu ſagen, was zu viel und zu wenig iſt,
auch wenn man weiß, daß die Wahrheit in der Mitte liegt.
Ein Menſch kann bei einer Portion maͤßig heißen, die einem
Andern ſchon Indigeſtion verurſacht. Es kommt viel auf die
Maͤgen und dergleichen an. Ein Michel Angelo hat einen ganz
andern Magen als ein Franz Mieris. Die Pariſer Schuſter-
frau Katharina Bonſergent trank taͤglich zwei bis vier Ei-
mer Waſſer; ein einziges Glas Wein aber zog ihr Ohnmachten
zu. Ein ſehr belehrendes Beiſpiel!

Der Jeſuit Leſſius ſetzte fuͤr jeden Menſchen taͤglich zwoͤlf
Unzen Speiſe und vierzehn Unzen Getraͤnk feſt. II ne faut pas
trop regner.
Er mochte immer feſtſetzen. Niemand merkt
darauf, und wenn auch eine ganze Heerde Toͤlpel ſich darnach
gerichtet haͤtte, ſo wuͤrde die Sache dadurch um nichts geſcheid-
ter, ſondern hoͤchſt wahrſcheinlich duͤmmer.

Es laͤßt ſich eher ſagen, wer zu viel, als wer nicht zu viel
ißt. Aber auch jenes iſt nicht ſo leicht. Cochrane berichtet
von einem Jakuten (im Aſiatiſchen Rußland), der innerhalb
vierundzwanzig Stunden ein Viertel von einem großen Ochſen,
zwanzig Pfund Fett, und dazu als Getraͤnk eine tuͤchtige Por-
tion geſchmolzener Butter verzehrte. Zum Deſſert folgte ein
zarter Reispudding von achtundzwanzig Pfund. — Es ſcheint
dieß allerdings einigermaßen uͤber die Schnur gehauen. Wer
aber getraut ſich, die ſubjektive Eßzurechnungsfaͤhigkeit dieſes
Menſchen zu beſtimmen, um zu behaupten, es ſei wirklich fuͤr
ihn zu viel?

Renaud de Beaune, Erzbiſchoff zu Bourges, mußte
Nachts, wenn er kaum vier Stunden geſchlafen hatte, aufſtehen,
um zu eſſen. Um vier Uhr Morgens hielt er die zweite Mahl-
zeit. Um acht Uhr folgte das eigentliche Fruͤhſtuͤck und Mit-

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[103/0117] Mittelſtraße irgendwo, ſo iſt’s allerdings bei’m Eſſen, nament- lich in Beziehung auf’s Quantum, wobei nur zu wuͤnſchen bleibt, daß das Quale nicht zu mittelmaͤßig ſein moͤge. Es iſt ſchwer zu ſagen, was zu viel und zu wenig iſt, auch wenn man weiß, daß die Wahrheit in der Mitte liegt. Ein Menſch kann bei einer Portion maͤßig heißen, die einem Andern ſchon Indigeſtion verurſacht. Es kommt viel auf die Maͤgen und dergleichen an. Ein Michel Angelo hat einen ganz andern Magen als ein Franz Mieris. Die Pariſer Schuſter- frau Katharina Bonſergent trank taͤglich zwei bis vier Ei- mer Waſſer; ein einziges Glas Wein aber zog ihr Ohnmachten zu. Ein ſehr belehrendes Beiſpiel! Der Jeſuit Leſſius ſetzte fuͤr jeden Menſchen taͤglich zwoͤlf Unzen Speiſe und vierzehn Unzen Getraͤnk feſt. II ne faut pas trop regner. Er mochte immer feſtſetzen. Niemand merkt darauf, und wenn auch eine ganze Heerde Toͤlpel ſich darnach gerichtet haͤtte, ſo wuͤrde die Sache dadurch um nichts geſcheid- ter, ſondern hoͤchſt wahrſcheinlich duͤmmer. Es laͤßt ſich eher ſagen, wer zu viel, als wer nicht zu viel ißt. Aber auch jenes iſt nicht ſo leicht. Cochrane berichtet von einem Jakuten (im Aſiatiſchen Rußland), der innerhalb vierundzwanzig Stunden ein Viertel von einem großen Ochſen, zwanzig Pfund Fett, und dazu als Getraͤnk eine tuͤchtige Por- tion geſchmolzener Butter verzehrte. Zum Deſſert folgte ein zarter Reispudding von achtundzwanzig Pfund. — Es ſcheint dieß allerdings einigermaßen uͤber die Schnur gehauen. Wer aber getraut ſich, die ſubjektive Eßzurechnungsfaͤhigkeit dieſes Menſchen zu beſtimmen, um zu behaupten, es ſei wirklich fuͤr ihn zu viel? Renaud de Beaune, Erzbiſchoff zu Bourges, mußte Nachts, wenn er kaum vier Stunden geſchlafen hatte, aufſtehen, um zu eſſen. Um vier Uhr Morgens hielt er die zweite Mahl- zeit. Um acht Uhr folgte das eigentliche Fruͤhſtuͤck und Mit-

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/117>, abgerufen am 21.11.2024.