Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden Viele Moralisten geben den Rath, man solle aufhören, Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Essen, tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren, Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0118" n="104"/> tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden<lb/> ſpaͤter machte ſich ein ergiebiges Vesperbrod noͤthig. Nach dem<lb/> nun folgenden Abendmahl ſchloß noch unmittelbar vor Schla-<lb/> fengehen ein ſiebentes Mahl die Muͤhen des Tages. Zu jeder<lb/> dieſer Reſtaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich.<lb/> Dabei war der Mann munter, geſund und, ſo weit die Zeit<lb/> zureichte, ſehr geſchaͤftsthaͤtig, und ſtudirte und verdaute gleich<lb/> gut. Etwas <hi rendition="#aq">gê</hi>nant war’s jedoch, daß er, zur Vermeidung<lb/> unnoͤthiger Appetitaufregungen, Bewegung in friſcher Luft und<lb/> Spazierengehen ſorgfaͤltig vermeiden mußte.</p><lb/> <p>Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren,<lb/> wenn’s einem am beſten ſchmeckt. Aber wie weiß man dieß?<lb/> Man koͤnnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt-<lb/> lung dieſes Moments — <hi rendition="#aq">Experimentum est periculosum</hi> —<lb/> ſchon viel zu viel gegeſſen haben, bis man dahinter gekommen<lb/> waͤre. Und gleich am Anfang, wo’s einem am allerbeſten<lb/> ſchmeckt, ſoll man doch nicht ſchon wieder aufhoͤren? — Man<lb/> kann hieraus ſehen, welch’ eben ſo unuͤberlegte als unausfuͤhr-<lb/> bare Lebensregeln moraliſche Eiferer in die Welt hinausſchreien<lb/> und fuͤr nichts und wieder nichts die Gewiſſen der Menſchen<lb/> verwirren. Es erſcheint zweckmaͤßiger zu ſagen: eſſe, ſo lang<lb/> es Dir ſchmeckt, und hoͤre auf, wenn es Dir nicht mehr ſchmeckt,<lb/> oder: eſſe nicht bis zur Ueberſaͤttigung.</p><lb/> <p>Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen,<lb/> welches man — mit Erlaubniß der Zartſinnigen! — kurzweg<lb/> auch Freſſen nennt, nahe verwandt iſt das Eſſen von Ungenieß-<lb/> barem. Leider wird deſſen nur zu viel gekocht, womit ſich Lieb-<lb/> haber, phyſiſch, moraliſch und aͤſthetiſch, Geſchmack und Ver-<lb/> dauung verderben. Koͤnnte man Vorſtellungsobjekte im Hirn,<lb/> und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man<lb/> wuͤrde bei manchem Leſer ein aͤhnliches Reſultat finden, wie in<lb/> dem Magen des Galeerenſklaven <hi rendition="#g">Bazile</hi>, der im Marineſpital<lb/> zu Breſt ſtarb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0118]
tags, wie billig, das eigentliche Mittagsmahl. Vier Stunden
ſpaͤter machte ſich ein ergiebiges Vesperbrod noͤthig. Nach dem
nun folgenden Abendmahl ſchloß noch unmittelbar vor Schla-
fengehen ein ſiebentes Mahl die Muͤhen des Tages. Zu jeder
dieſer Reſtaurationen war etwa eine gute Stunde erforderlich.
Dabei war der Mann munter, geſund und, ſo weit die Zeit
zureichte, ſehr geſchaͤftsthaͤtig, und ſtudirte und verdaute gleich
gut. Etwas gênant war’s jedoch, daß er, zur Vermeidung
unnoͤthiger Appetitaufregungen, Bewegung in friſcher Luft und
Spazierengehen ſorgfaͤltig vermeiden mußte.
Viele Moraliſten geben den Rath, man ſolle aufhoͤren,
wenn’s einem am beſten ſchmeckt. Aber wie weiß man dieß?
Man koͤnnte ja, auf dem Wege des Experiments zur Ermitt-
lung dieſes Moments — Experimentum est periculosum —
ſchon viel zu viel gegeſſen haben, bis man dahinter gekommen
waͤre. Und gleich am Anfang, wo’s einem am allerbeſten
ſchmeckt, ſoll man doch nicht ſchon wieder aufhoͤren? — Man
kann hieraus ſehen, welch’ eben ſo unuͤberlegte als unausfuͤhr-
bare Lebensregeln moraliſche Eiferer in die Welt hinausſchreien
und fuͤr nichts und wieder nichts die Gewiſſen der Menſchen
verwirren. Es erſcheint zweckmaͤßiger zu ſagen: eſſe, ſo lang
es Dir ſchmeckt, und hoͤre auf, wenn es Dir nicht mehr ſchmeckt,
oder: eſſe nicht bis zur Ueberſaͤttigung.
Mit dem entweder rohen oder krankhaften zu viel Eſſen,
welches man — mit Erlaubniß der Zartſinnigen! — kurzweg
auch Freſſen nennt, nahe verwandt iſt das Eſſen von Ungenieß-
barem. Leider wird deſſen nur zu viel gekocht, womit ſich Lieb-
haber, phyſiſch, moraliſch und aͤſthetiſch, Geſchmack und Ver-
dauung verderben. Koͤnnte man Vorſtellungsobjekte im Hirn,
und Appetite im Herzen durch die Sektion ermitteln, man
wuͤrde bei manchem Leſer ein aͤhnliches Reſultat finden, wie in
dem Magen des Galeerenſklaven Bazile, der im Marineſpital
zu Breſt ſtarb. Der Sektionsbericht glich einem Inventarium
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