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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Tisch gern lache, ohne damit eine Verdauungsbeförderung er-
zielen zu wollen.

Ich glaube mit den gegebenen wenigen Beispielen, welche
leicht in's Unzählige vervielfältigt werden könnten, das, was ich
sagen wollte, hinlänglich klar gemacht zu haben. Es wird sich
daraus auch ergeben, daß der Eßkünstler, der schön ißt, auch
gut ißt.

Was gut schmeckt, oder wie der Berliner sehr richtig sagt,
was schön schmeckt, ist in der Regel und namentlich für den
Eßkünstler wirklich gut und schön, und umgekehrt. Und zwar
mit vollem Recht, wie auch die Diätetik bestätigt. "Das An-
genehme ist gedeihlich" -- Suavia nutriunt -- sagt Hippo-
crates
. "Was wohl schmeckt, bekommt wohl" -- Quod sapit,
nutrit
-- lehrt Avicenna, und Heurnius commentirt und
bestätigt beides. -- Ich erlaube mir die philologische Bemerkung,
daß Sapientia von Sapio herkommt.

Es haben gar Viele, und noch dazu solche, die sich's recht
wohl schmecken ließen, über die Eßkünstler sich ironisch, saty-
risch, persiflirend vernehmen lassen, ja es ist der, in solchem
Sinne ausgesprochene, Rath gegeben worden, der Eßkünstler
dürfe an nichts denken, sein Beruf schließe das Denken aus.
Der Vorwurf fällt aber auf die selbst zurück, denen der Appetit
vergeht, wenn sie denken. Und dennoch machen die unglück-
lichen verzwickten "pauvres honteux" selbst gar große Ansprüche
auf's Denken, ohne, ob sie gleich so scheinen möchten, die auf's
Essen im geringsten selber hintanzusetzen. Doch ist schon öfter
davon die Rede gewesen.

Es ist sehr schön, wenn man schöne Zähne hat. Es ist
sehr gut, wenn man gute Zähne hat. Schöne Zähne sind sehr
gut, gute Zähne sind sehr schön. -- Wer sieht hier nicht die
innige Verwandtschaft des Guten und Schönen?

Sehr schön und wahr sagt Don Quirote: "Ein Mund
ohne Backenzähne ist wie eine Mühle ohne Mühlstein, und ein

Tiſch gern lache, ohne damit eine Verdauungsbefoͤrderung er-
zielen zu wollen.

Ich glaube mit den gegebenen wenigen Beiſpielen, welche
leicht in’s Unzaͤhlige vervielfaͤltigt werden koͤnnten, das, was ich
ſagen wollte, hinlaͤnglich klar gemacht zu haben. Es wird ſich
daraus auch ergeben, daß der Eßkuͤnſtler, der ſchoͤn ißt, auch
gut ißt.

Was gut ſchmeckt, oder wie der Berliner ſehr richtig ſagt,
was ſchoͤn ſchmeckt, iſt in der Regel und namentlich fuͤr den
Eßkuͤnſtler wirklich gut und ſchoͤn, und umgekehrt. Und zwar
mit vollem Recht, wie auch die Diaͤtetik beſtaͤtigt. „Das An-
genehme iſt gedeihlich“ — Suavia nutriunt — ſagt Hippo-
crates
. „Was wohl ſchmeckt, bekommt wohl“ — Quod sapit,
nutrit
— lehrt Avicenna, und Heurnius commentirt und
beſtaͤtigt beides. — Ich erlaube mir die philologiſche Bemerkung,
daß Sapientia von Sapio herkommt.

Es haben gar Viele, und noch dazu ſolche, die ſich’s recht
wohl ſchmecken ließen, uͤber die Eßkuͤnſtler ſich ironiſch, ſaty-
riſch, perſiflirend vernehmen laſſen, ja es iſt der, in ſolchem
Sinne ausgeſprochene, Rath gegeben worden, der Eßkuͤnſtler
duͤrfe an nichts denken, ſein Beruf ſchließe das Denken aus.
Der Vorwurf faͤllt aber auf die ſelbſt zuruͤck, denen der Appetit
vergeht, wenn ſie denken. Und dennoch machen die ungluͤck-
lichen verzwickten „pauvres honteux“ ſelbſt gar große Anſpruͤche
auf’s Denken, ohne, ob ſie gleich ſo ſcheinen moͤchten, die auf’s
Eſſen im geringſten ſelber hintanzuſetzen. Doch iſt ſchon oͤfter
davon die Rede geweſen.

Es iſt ſehr ſchoͤn, wenn man ſchoͤne Zaͤhne hat. Es iſt
ſehr gut, wenn man gute Zaͤhne hat. Schoͤne Zaͤhne ſind ſehr
gut, gute Zaͤhne ſind ſehr ſchoͤn. — Wer ſieht hier nicht die
innige Verwandtſchaft des Guten und Schoͤnen?

Sehr ſchoͤn und wahr ſagt Don Quirote: „Ein Mund
ohne Backenzaͤhne iſt wie eine Muͤhle ohne Muͤhlſtein, und ein

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[120/0134] Tiſch gern lache, ohne damit eine Verdauungsbefoͤrderung er- zielen zu wollen. Ich glaube mit den gegebenen wenigen Beiſpielen, welche leicht in’s Unzaͤhlige vervielfaͤltigt werden koͤnnten, das, was ich ſagen wollte, hinlaͤnglich klar gemacht zu haben. Es wird ſich daraus auch ergeben, daß der Eßkuͤnſtler, der ſchoͤn ißt, auch gut ißt. Was gut ſchmeckt, oder wie der Berliner ſehr richtig ſagt, was ſchoͤn ſchmeckt, iſt in der Regel und namentlich fuͤr den Eßkuͤnſtler wirklich gut und ſchoͤn, und umgekehrt. Und zwar mit vollem Recht, wie auch die Diaͤtetik beſtaͤtigt. „Das An- genehme iſt gedeihlich“ — Suavia nutriunt — ſagt Hippo- crates. „Was wohl ſchmeckt, bekommt wohl“ — Quod sapit, nutrit — lehrt Avicenna, und Heurnius commentirt und beſtaͤtigt beides. — Ich erlaube mir die philologiſche Bemerkung, daß Sapientia von Sapio herkommt. Es haben gar Viele, und noch dazu ſolche, die ſich’s recht wohl ſchmecken ließen, uͤber die Eßkuͤnſtler ſich ironiſch, ſaty- riſch, perſiflirend vernehmen laſſen, ja es iſt der, in ſolchem Sinne ausgeſprochene, Rath gegeben worden, der Eßkuͤnſtler duͤrfe an nichts denken, ſein Beruf ſchließe das Denken aus. Der Vorwurf faͤllt aber auf die ſelbſt zuruͤck, denen der Appetit vergeht, wenn ſie denken. Und dennoch machen die ungluͤck- lichen verzwickten „pauvres honteux“ ſelbſt gar große Anſpruͤche auf’s Denken, ohne, ob ſie gleich ſo ſcheinen moͤchten, die auf’s Eſſen im geringſten ſelber hintanzuſetzen. Doch iſt ſchon oͤfter davon die Rede geweſen. Es iſt ſehr ſchoͤn, wenn man ſchoͤne Zaͤhne hat. Es iſt ſehr gut, wenn man gute Zaͤhne hat. Schoͤne Zaͤhne ſind ſehr gut, gute Zaͤhne ſind ſehr ſchoͤn. — Wer ſieht hier nicht die innige Verwandtſchaft des Guten und Schoͤnen? Sehr ſchoͤn und wahr ſagt Don Quirote: „Ein Mund ohne Backenzaͤhne iſt wie eine Muͤhle ohne Muͤhlſtein, und ein

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/134>, abgerufen am 21.11.2024.