Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.alle Rücksicht auf Diätetik. Mit Vergnügen liest er aber bei Es ist eine diätetische, der Physiologie entnommene, Grund- alle Ruͤckſicht auf Diaͤtetik. Mit Vergnuͤgen lieſt er aber bei Es iſt eine diaͤtetiſche, der Phyſiologie entnommene, Grund- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="119"/> alle Ruͤckſicht auf Diaͤtetik. Mit Vergnuͤgen lieſt er aber bei<lb/><hi rendition="#g">Hippocrates</hi> die Schilderungen der gefaͤhrlichen Folgen der-<lb/> ſelben und den Ausſpruch des <hi rendition="#g">Celſus</hi>: Zweimal zu eſſen ſei<lb/> beſſer, als einmal, und mehr zutraͤglicher als zu wenig.</p><lb/> <p>Es iſt eine diaͤtetiſche, der Phyſiologie entnommene, Grund-<lb/> regel, dem Magen nichts zu uͤberantworten, was die Zunge<lb/> nicht hinlaͤnglich geſchmeckt und die Zaͤhne nicht gehoͤrig gekaut<lb/> haben. Nichts waͤre dem Eßkuͤnſtler unangenehmer als ſich im<lb/> Schmecken und Kauen verkuͤrzt zu ſehen. Er ſchmeckt und kaut<lb/> aber nicht deßhalb, um den Speicheldruͤſen Zeit zu goͤnnen,<lb/> dem Gekauten ihren gedeihlichen Zuſchuß zu geben, und um<lb/> dem Magen gehoͤrig Mazerirtes und Vorbereitetes zu uͤberliefern.<lb/> Aber indem er weiß, wie geſund und zutraͤglich, wie wiſſen-<lb/> ſchaftlich geheiſcht und geboten zugleich dasjenige Verfahren<lb/> iſt, wobei er als Kuͤnſtler ſo ſehr ſeine Rechnung findet, uͤbt er<lb/> es mit Bewußtſein noch einmal ſo gerne und mit doppelter<lb/> Luſt. So las ich als junger Menſch ſehr gerne <hi rendition="#g">Callot-Hoff-<lb/> mann’s</hi> Maͤhrlein vom Koͤnig <hi rendition="#g">Daucus Carota</hi>, und die<lb/> gelben Ruͤben gleiches Namens, ſo wie Scorzonera, Peterſilie,<lb/> Koͤrbelkraut ꝛc. genoß ich mit Luſt, aber ohne Urtheil, wie die<lb/> Maͤhrlein auch. Seitdem ich aber daruͤber nachgedacht, wie<lb/> ich in den genannten ſchmackhaften und wuͤrzigen Vegetabilien,<lb/> ſo wie in den zarten Spargelkoͤpfchen, den ſanften jungen<lb/> Bohnen, den ſuͤßen gruͤnen Erbſen, dem milden Blumenkohl<lb/> ꝛc. gleichſam den ganzen lieben Fruͤhling mir aneigne, wie mein<lb/> melancholiſches Blut dadurch erfriſcht und ermuntert, erquickt<lb/> und verſuͤßt wird, genieße ich’s mit wahrer Wolluſt. Dabei<lb/> iſt nicht zu uͤberſehen, wie durch dieſe Glaubensfreudigkeit aller-<lb/> dings das Gedeihliche der genannten lieben Speiſen erhoͤht und<lb/> vermehrt wird. Aber ich errege in mir keine abſichtliche Freude,<lb/> um jenen Zweck zu erreichen; meine Freude hat jene Gedeihlich-<lb/> keit von ſelbſt zur Folge, wie ich auch uͤber und nicht uͤber<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [119/0133]
alle Ruͤckſicht auf Diaͤtetik. Mit Vergnuͤgen lieſt er aber bei
Hippocrates die Schilderungen der gefaͤhrlichen Folgen der-
ſelben und den Ausſpruch des Celſus: Zweimal zu eſſen ſei
beſſer, als einmal, und mehr zutraͤglicher als zu wenig.
Es iſt eine diaͤtetiſche, der Phyſiologie entnommene, Grund-
regel, dem Magen nichts zu uͤberantworten, was die Zunge
nicht hinlaͤnglich geſchmeckt und die Zaͤhne nicht gehoͤrig gekaut
haben. Nichts waͤre dem Eßkuͤnſtler unangenehmer als ſich im
Schmecken und Kauen verkuͤrzt zu ſehen. Er ſchmeckt und kaut
aber nicht deßhalb, um den Speicheldruͤſen Zeit zu goͤnnen,
dem Gekauten ihren gedeihlichen Zuſchuß zu geben, und um
dem Magen gehoͤrig Mazerirtes und Vorbereitetes zu uͤberliefern.
Aber indem er weiß, wie geſund und zutraͤglich, wie wiſſen-
ſchaftlich geheiſcht und geboten zugleich dasjenige Verfahren
iſt, wobei er als Kuͤnſtler ſo ſehr ſeine Rechnung findet, uͤbt er
es mit Bewußtſein noch einmal ſo gerne und mit doppelter
Luſt. So las ich als junger Menſch ſehr gerne Callot-Hoff-
mann’s Maͤhrlein vom Koͤnig Daucus Carota, und die
gelben Ruͤben gleiches Namens, ſo wie Scorzonera, Peterſilie,
Koͤrbelkraut ꝛc. genoß ich mit Luſt, aber ohne Urtheil, wie die
Maͤhrlein auch. Seitdem ich aber daruͤber nachgedacht, wie
ich in den genannten ſchmackhaften und wuͤrzigen Vegetabilien,
ſo wie in den zarten Spargelkoͤpfchen, den ſanften jungen
Bohnen, den ſuͤßen gruͤnen Erbſen, dem milden Blumenkohl
ꝛc. gleichſam den ganzen lieben Fruͤhling mir aneigne, wie mein
melancholiſches Blut dadurch erfriſcht und ermuntert, erquickt
und verſuͤßt wird, genieße ich’s mit wahrer Wolluſt. Dabei
iſt nicht zu uͤberſehen, wie durch dieſe Glaubensfreudigkeit aller-
dings das Gedeihliche der genannten lieben Speiſen erhoͤht und
vermehrt wird. Aber ich errege in mir keine abſichtliche Freude,
um jenen Zweck zu erreichen; meine Freude hat jene Gedeihlich-
keit von ſelbſt zur Folge, wie ich auch uͤber und nicht uͤber
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