Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

eigens vom Magen gehandelt, sondern das Behagliche je am
geeigneten Orte vorgetragen werden. Maaßregeln, wie z. B. die
Magengegend mit Flanell zu reiben u. a., verachtet der gesunde
Eßkünstler vorzüglich deßhalb, weil er sie nicht braucht.

Von der Auswahl der Speisen, ihrer Verbindung und
ihren Eigenschaften wird in den nächsten Vorlesungen noch
mehrfach die Rede sein.

Was man in jeder einzelnen Jahreszeit essen soll, versteht
sich von selbst, nämlich was sie bringt, und zwar das Beste
davon. Und gerade dieß ist auch das Gedeihlichste, so wie das,
was in jeder Jahreszeit am besten schmeckt. Jedem wird kalter
Schinken im Sommer; -- warmer Schweinsbraten, oder ge-
kochtes Schweinfleisch mit Sauerkraut dagegen im Winter
besser behagen, auch wenn er nicht weiß, daß er hier ganz der
Meinung des Avicenna beipflichtet.

Die Tageszeiten betreffend, so ist ohne eine ordentliche
bestimmte Zeit ein ordentliches Essen gar nicht möglich. Gewiß
wäre auch für uns es am schönsten und passendsten, nach Art
der alten Römer und heutigen Franzosen und Engländer, etwa
um zehn oder eilf Uhr Vormittags ein ergiebiges Frühstück,
Dejeune a la fourchette, Prandium, -- und eine Haupt-
mahlzeit, Deine, Coena, um fünf oder sechs Uhr Abends zu
halten, was natürlich einige leichtere Prä- und Interludien und
Fermaten nicht ausschließt, wie ja die Römischen Bezeich-
nungen: Jentaculum, Commissatio und Merenda andeuten.
-- Es ist aber zu beklagen, daß unsere Deutsche Tagesein-
theilung nach Arbeits- und Bureaux-Stunden etc. der allge-
meinen Einführung dieser eben so zweckmäßigen als angeneh-
men Eßzeiten entgegensteht.

Ueber klimatische und geographische Verhältnisse hat die
dritte Vorlesung schon Einiges erwähnt. In Beziehung auf
Acclimatisirung, so wie auf Aenderung des früher Gewohnten
überhaupt, weiß der Eßkünstler am besten, daß man nirgends

9

eigens vom Magen gehandelt, ſondern das Behagliche je am
geeigneten Orte vorgetragen werden. Maaßregeln, wie z. B. die
Magengegend mit Flanell zu reiben u. a., verachtet der geſunde
Eßkuͤnſtler vorzuͤglich deßhalb, weil er ſie nicht braucht.

Von der Auswahl der Speiſen, ihrer Verbindung und
ihren Eigenſchaften wird in den naͤchſten Vorleſungen noch
mehrfach die Rede ſein.

Was man in jeder einzelnen Jahreszeit eſſen ſoll, verſteht
ſich von ſelbſt, naͤmlich was ſie bringt, und zwar das Beſte
davon. Und gerade dieß iſt auch das Gedeihlichſte, ſo wie das,
was in jeder Jahreszeit am beſten ſchmeckt. Jedem wird kalter
Schinken im Sommer; — warmer Schweinsbraten, oder ge-
kochtes Schweinfleiſch mit Sauerkraut dagegen im Winter
beſſer behagen, auch wenn er nicht weiß, daß er hier ganz der
Meinung des Avicenna beipflichtet.

Die Tageszeiten betreffend, ſo iſt ohne eine ordentliche
beſtimmte Zeit ein ordentliches Eſſen gar nicht moͤglich. Gewiß
waͤre auch fuͤr uns es am ſchoͤnſten und paſſendſten, nach Art
der alten Roͤmer und heutigen Franzoſen und Englaͤnder, etwa
um zehn oder eilf Uhr Vormittags ein ergiebiges Fruͤhſtuͤck,
Déjêuné à la fourchette, Prandium, — und eine Haupt-
mahlzeit, Dîné, Coena, um fuͤnf oder ſechs Uhr Abends zu
halten, was natuͤrlich einige leichtere Praͤ- und Interludien und
Fermaten nicht ausſchließt, wie ja die Roͤmiſchen Bezeich-
nungen: Jentaculum, Commissatio und Merenda andeuten.
— Es iſt aber zu beklagen, daß unſere Deutſche Tagesein-
theilung nach Arbeits- und Bureaux-Stunden ꝛc. der allge-
meinen Einfuͤhrung dieſer eben ſo zweckmaͤßigen als angeneh-
men Eßzeiten entgegenſteht.

Ueber klimatiſche und geographiſche Verhaͤltniſſe hat die
dritte Vorleſung ſchon Einiges erwaͤhnt. In Beziehung auf
Acclimatiſirung, ſo wie auf Aenderung des fruͤher Gewohnten
uͤberhaupt, weiß der Eßkuͤnſtler am beſten, daß man nirgends

9
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0143" n="129"/>
eigens vom Magen gehandelt, &#x017F;ondern das Behagliche je am<lb/>
geeigneten Orte vorgetragen werden. Maaßregeln, wie z. B. die<lb/>
Magengegend mit Flanell zu reiben u. a., verachtet der ge&#x017F;unde<lb/>
Eßku&#x0364;n&#x017F;tler vorzu&#x0364;glich deßhalb, weil er &#x017F;ie nicht braucht.</p><lb/>
        <p>Von der Auswahl der Spei&#x017F;en, ihrer Verbindung und<lb/>
ihren Eigen&#x017F;chaften wird in den na&#x0364;ch&#x017F;ten Vorle&#x017F;ungen noch<lb/>
mehrfach die Rede &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Was man in jeder einzelnen Jahreszeit e&#x017F;&#x017F;en &#x017F;oll, ver&#x017F;teht<lb/>
&#x017F;ich von &#x017F;elb&#x017F;t, na&#x0364;mlich was &#x017F;ie bringt, und zwar das Be&#x017F;te<lb/>
davon. Und gerade dieß i&#x017F;t auch das Gedeihlich&#x017F;te, &#x017F;o wie das,<lb/>
was in jeder Jahreszeit am be&#x017F;ten &#x017F;chmeckt. Jedem wird kalter<lb/>
Schinken im Sommer; &#x2014; warmer Schweinsbraten, oder ge-<lb/>
kochtes Schweinflei&#x017F;ch mit Sauerkraut dagegen im Winter<lb/>
be&#x017F;&#x017F;er behagen, auch wenn er nicht weiß, daß er hier ganz der<lb/>
Meinung des <hi rendition="#g">Avicenna</hi> beipflichtet.</p><lb/>
        <p>Die Tageszeiten betreffend, &#x017F;o i&#x017F;t ohne eine ordentliche<lb/>
be&#x017F;timmte Zeit ein ordentliches E&#x017F;&#x017F;en gar nicht mo&#x0364;glich. Gewiß<lb/>
wa&#x0364;re auch fu&#x0364;r uns es am &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten und pa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;ten, nach Art<lb/>
der alten Ro&#x0364;mer und heutigen Franzo&#x017F;en und Engla&#x0364;nder, etwa<lb/>
um zehn oder eilf Uhr Vormittags ein ergiebiges Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck,<lb/><hi rendition="#aq">Déjêuné à la fourchette, Prandium,</hi> &#x2014; und eine Haupt-<lb/>
mahlzeit, <hi rendition="#aq">Dîné, Coena,</hi> um fu&#x0364;nf oder &#x017F;echs Uhr Abends zu<lb/>
halten, was natu&#x0364;rlich einige leichtere Pra&#x0364;- und Interludien und<lb/>
Fermaten nicht aus&#x017F;chließt, wie ja die Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Bezeich-<lb/>
nungen: <hi rendition="#aq">Jentaculum, Commissatio</hi> und <hi rendition="#aq">Merenda</hi> andeuten.<lb/>
&#x2014; Es i&#x017F;t aber zu beklagen, daß un&#x017F;ere Deut&#x017F;che Tagesein-<lb/>
theilung nach Arbeits- und Bureaux-Stunden &#xA75B;c. der allge-<lb/>
meinen Einfu&#x0364;hrung die&#x017F;er eben &#x017F;o zweckma&#x0364;ßigen als angeneh-<lb/>
men Eßzeiten entgegen&#x017F;teht.</p><lb/>
        <p>Ueber klimati&#x017F;che und geographi&#x017F;che Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e hat die<lb/>
dritte Vorle&#x017F;ung &#x017F;chon Einiges erwa&#x0364;hnt. In Beziehung auf<lb/>
Acclimati&#x017F;irung, &#x017F;o wie auf Aenderung des fru&#x0364;her Gewohnten<lb/>
u&#x0364;berhaupt, weiß der Eßku&#x0364;n&#x017F;tler am be&#x017F;ten, daß man nirgends<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0143] eigens vom Magen gehandelt, ſondern das Behagliche je am geeigneten Orte vorgetragen werden. Maaßregeln, wie z. B. die Magengegend mit Flanell zu reiben u. a., verachtet der geſunde Eßkuͤnſtler vorzuͤglich deßhalb, weil er ſie nicht braucht. Von der Auswahl der Speiſen, ihrer Verbindung und ihren Eigenſchaften wird in den naͤchſten Vorleſungen noch mehrfach die Rede ſein. Was man in jeder einzelnen Jahreszeit eſſen ſoll, verſteht ſich von ſelbſt, naͤmlich was ſie bringt, und zwar das Beſte davon. Und gerade dieß iſt auch das Gedeihlichſte, ſo wie das, was in jeder Jahreszeit am beſten ſchmeckt. Jedem wird kalter Schinken im Sommer; — warmer Schweinsbraten, oder ge- kochtes Schweinfleiſch mit Sauerkraut dagegen im Winter beſſer behagen, auch wenn er nicht weiß, daß er hier ganz der Meinung des Avicenna beipflichtet. Die Tageszeiten betreffend, ſo iſt ohne eine ordentliche beſtimmte Zeit ein ordentliches Eſſen gar nicht moͤglich. Gewiß waͤre auch fuͤr uns es am ſchoͤnſten und paſſendſten, nach Art der alten Roͤmer und heutigen Franzoſen und Englaͤnder, etwa um zehn oder eilf Uhr Vormittags ein ergiebiges Fruͤhſtuͤck, Déjêuné à la fourchette, Prandium, — und eine Haupt- mahlzeit, Dîné, Coena, um fuͤnf oder ſechs Uhr Abends zu halten, was natuͤrlich einige leichtere Praͤ- und Interludien und Fermaten nicht ausſchließt, wie ja die Roͤmiſchen Bezeich- nungen: Jentaculum, Commissatio und Merenda andeuten. — Es iſt aber zu beklagen, daß unſere Deutſche Tagesein- theilung nach Arbeits- und Bureaux-Stunden ꝛc. der allge- meinen Einfuͤhrung dieſer eben ſo zweckmaͤßigen als angeneh- men Eßzeiten entgegenſteht. Ueber klimatiſche und geographiſche Verhaͤltniſſe hat die dritte Vorleſung ſchon Einiges erwaͤhnt. In Beziehung auf Acclimatiſirung, ſo wie auf Aenderung des fruͤher Gewohnten uͤberhaupt, weiß der Eßkuͤnſtler am beſten, daß man nirgends 9

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/143
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/143>, abgerufen am 21.11.2024.