Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebente Vorlesung.
Prinzip der Eßkunst
.

Als ich noch keine Vorlesungen hielt, sondern hörte, hatte ich
kein bestimmtes Prinzip, und hörte alles Mögliche mit- und
durcheinander. Schelling's Methode des akademischen Stu-
dium war damals noch nicht erschienen, auch Goethe's Me-
phistopheles hatte sich noch nicht hierüber vernehmen lassen, und
so blieb nichts übrig, als durch Schaden klug zu werden;
Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Ersteres folgte. Ich
glaubte, ehe ich mich für eine bestimmte Fakultät oder einzelne
Abtheilung einer Fakultät entschied, erst sämmtliche prüfen zu
müssen; wobei jedoch eine zu große Hörbegierde eher hinderlich
als förderlich war. Ich erwähne nun zuvörderst, was mir aus
jenen verschiedenen Vorlesungen auf die Eßkunst Bezügliches
gerade beifällt.

Die philosophischen Collegia überhaupt schienen mir wenig
genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein-
mal in der Aesthetik, der Geschmackslehre, war von Eßkunst
die Rede. Sonderbar kam mir's vor, Moral hören zu sollen.
Das wußte ich alles so unmittelbar und besser in mir selber,
als mir es irgend ein Fremder sagen konnte. Als ich aber vor
meinem Abgang auf die Universität in meiner Vaterstadt einer
alten sehr werthgeschätzten Frau Base eine gebührende über
Gebühr rührende Abschiedsvisite gemacht, übermachte mir die
Gütige mehrere Stücke liebenswürdig blinkender Ducaten, mit
dem Ansinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu

Siebente Vorleſung.
Prinzip der Eßkunst
.

Als ich noch keine Vorleſungen hielt, ſondern hoͤrte, hatte ich
kein beſtimmtes Prinzip, und hoͤrte alles Moͤgliche mit- und
durcheinander. Schelling’s Methode des akademiſchen Stu-
dium war damals noch nicht erſchienen, auch Goethe’s Me-
phiſtopheles hatte ſich noch nicht hieruͤber vernehmen laſſen, und
ſo blieb nichts uͤbrig, als durch Schaden klug zu werden;
Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Erſteres folgte. Ich
glaubte, ehe ich mich fuͤr eine beſtimmte Fakultaͤt oder einzelne
Abtheilung einer Fakultaͤt entſchied, erſt ſaͤmmtliche pruͤfen zu
muͤſſen; wobei jedoch eine zu große Hoͤrbegierde eher hinderlich
als foͤrderlich war. Ich erwaͤhne nun zuvoͤrderſt, was mir aus
jenen verſchiedenen Vorleſungen auf die Eßkunſt Bezuͤgliches
gerade beifaͤllt.

Die philoſophiſchen Collegia uͤberhaupt ſchienen mir wenig
genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein-
mal in der Aeſthetik, der Geſchmackslehre, war von Eßkunſt
die Rede. Sonderbar kam mir’s vor, Moral hoͤren zu ſollen.
Das wußte ich alles ſo unmittelbar und beſſer in mir ſelber,
als mir es irgend ein Fremder ſagen konnte. Als ich aber vor
meinem Abgang auf die Univerſitaͤt in meiner Vaterſtadt einer
alten ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe eine gebuͤhrende uͤber
Gebuͤhr ruͤhrende Abſchiedsviſite gemacht, uͤbermachte mir die
Guͤtige mehrere Stuͤcke liebenswuͤrdig blinkender Ducaten, mit
dem Anſinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0153" n="[139]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#g"><hi rendition="#b">Siebente Vorle&#x017F;ung.</hi><lb/>
Prinzip der Eßkunst</hi>.</head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">A</hi>ls ich noch keine Vorle&#x017F;ungen hielt, &#x017F;ondern ho&#x0364;rte, hatte ich<lb/>
kein be&#x017F;timmtes Prinzip, und ho&#x0364;rte alles Mo&#x0364;gliche mit- und<lb/>
durcheinander. <hi rendition="#g">Schelling</hi>&#x2019;s Methode des akademi&#x017F;chen Stu-<lb/>
dium war damals noch nicht er&#x017F;chienen, auch <hi rendition="#g">Goethe</hi>&#x2019;s Me-<lb/>
phi&#x017F;topheles hatte &#x017F;ich noch nicht hieru&#x0364;ber vernehmen la&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
&#x017F;o blieb nichts u&#x0364;brig, als durch Schaden klug zu werden;<lb/>
Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Er&#x017F;teres folgte. Ich<lb/>
glaubte, ehe ich mich fu&#x0364;r eine be&#x017F;timmte Fakulta&#x0364;t oder einzelne<lb/>
Abtheilung einer Fakulta&#x0364;t ent&#x017F;chied, er&#x017F;t &#x017F;a&#x0364;mmtliche pru&#x0364;fen zu<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en; wobei jedoch eine zu große Ho&#x0364;rbegierde eher hinderlich<lb/>
als fo&#x0364;rderlich war. Ich erwa&#x0364;hne nun zuvo&#x0364;rder&#x017F;t, was mir aus<lb/>
jenen ver&#x017F;chiedenen Vorle&#x017F;ungen auf die Eßkun&#x017F;t Bezu&#x0364;gliches<lb/>
gerade beifa&#x0364;llt.</p><lb/>
        <p>Die philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Collegia u&#x0364;berhaupt &#x017F;chienen mir wenig<lb/>
genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein-<lb/>
mal in der Ae&#x017F;thetik, der Ge&#x017F;chmackslehre, war von Eßkun&#x017F;t<lb/>
die Rede. Sonderbar kam mir&#x2019;s vor, Moral ho&#x0364;ren zu &#x017F;ollen.<lb/>
Das wußte ich alles &#x017F;o unmittelbar und be&#x017F;&#x017F;er in mir &#x017F;elber,<lb/>
als mir es irgend ein Fremder &#x017F;agen konnte. Als ich aber vor<lb/>
meinem Abgang auf die Univer&#x017F;ita&#x0364;t in meiner Vater&#x017F;tadt einer<lb/>
alten &#x017F;ehr werthge&#x017F;cha&#x0364;tzten Frau Ba&#x017F;e eine gebu&#x0364;hrende u&#x0364;ber<lb/>
Gebu&#x0364;hr ru&#x0364;hrende Ab&#x017F;chiedsvi&#x017F;ite gemacht, u&#x0364;bermachte mir die<lb/>
Gu&#x0364;tige mehrere Stu&#x0364;cke liebenswu&#x0364;rdig blinkender Ducaten, mit<lb/>
dem An&#x017F;innen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[139]/0153] Siebente Vorleſung. Prinzip der Eßkunst. Als ich noch keine Vorleſungen hielt, ſondern hoͤrte, hatte ich kein beſtimmtes Prinzip, und hoͤrte alles Moͤgliche mit- und durcheinander. Schelling’s Methode des akademiſchen Stu- dium war damals noch nicht erſchienen, auch Goethe’s Me- phiſtopheles hatte ſich noch nicht hieruͤber vernehmen laſſen, und ſo blieb nichts uͤbrig, als durch Schaden klug zu werden; Schade nur, daß Letzteres nicht immer auf Erſteres folgte. Ich glaubte, ehe ich mich fuͤr eine beſtimmte Fakultaͤt oder einzelne Abtheilung einer Fakultaͤt entſchied, erſt ſaͤmmtliche pruͤfen zu muͤſſen; wobei jedoch eine zu große Hoͤrbegierde eher hinderlich als foͤrderlich war. Ich erwaͤhne nun zuvoͤrderſt, was mir aus jenen verſchiedenen Vorleſungen auf die Eßkunſt Bezuͤgliches gerade beifaͤllt. Die philoſophiſchen Collegia uͤberhaupt ſchienen mir wenig genießbar, und ergaben eine rein negative Ausbeute; nicht ein- mal in der Aeſthetik, der Geſchmackslehre, war von Eßkunſt die Rede. Sonderbar kam mir’s vor, Moral hoͤren zu ſollen. Das wußte ich alles ſo unmittelbar und beſſer in mir ſelber, als mir es irgend ein Fremder ſagen konnte. Als ich aber vor meinem Abgang auf die Univerſitaͤt in meiner Vaterſtadt einer alten ſehr werthgeſchaͤtzten Frau Baſe eine gebuͤhrende uͤber Gebuͤhr ruͤhrende Abſchiedsviſite gemacht, uͤbermachte mir die Guͤtige mehrere Stuͤcke liebenswuͤrdig blinkender Ducaten, mit dem Anſinnen, Sonntags nach der Kirche ein Glas Wein zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/153
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [139]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/153>, abgerufen am 22.11.2024.