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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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In einem Collegium über Archäologie war viel von
Winckelmann's "edler Einfalt und stiller Größe" als Kenn-
zeichen der Meisterwerke Griechischer Kunst, die Rede, was
nicht anders, als ansprechenden Eindruck machen konnte. Es
drängte sich die Reminiscenz an Milo von Kroton bei.

Aus der Experimentalphysik war zu merken, daß das Un-
gleiche sich anzieht und gleiche Pole sich abstoßen.

Die Optik, resp. Goethe'sche Farbenlehre gab die Grund-
sätze:

Gelb fordert Rothblau,
Blau fordert Rothgelb,
Purpur fordert Grün.

Gleich in der ersten Vorlesung über Symbolik wurde dar-
gethan, das Prinzip der Symbolik sei der Pragmatismus. --

Was ist denn nun das Prinzip der Eßkunst? --

Möge es mir gelingen, dieses Prinzip meinen sehr verehr-
ten Herrn Auditoren Sokratisch selbst finden zu lassen.

Variatio delectat, sprach bekanntlich der Teufel und fraß
den Salat mit der Ofengabel. -- Das ist's aber nicht.

Zwar hat man, freilich mehr ex post, als das Prinzip
der Kunst überhaupt: "Kraft, Mannigfaltigkeit und Harmonie"
bezeichnet, und es paßt auch wohl. Man gebe aber einem
Künstler Messer und Gabel, oder Pinsel und Palette in die
Hand und die drei Worte dazu, und er ist so klug wie vorher.

Man weiß überhaupt, wie's in der Philosophie und sonst
mit den Prinzipien hapert. "Ein allgiltiger Satz, der auch
allgemein gilt" ist schwer. Wie in andern Künsten und Wis-
senschaften hat man eben auch in der Eßkunst noch kein bestimm-
tes Prinzip. Ein Umstand, der besonders dadurch erklärlich
wird, daß die Welt bis auf gegenwärtige Vorlesungen eine
Eßkunst selber nicht hatte.

Der geistreiche Herr von Rumohr, dem wir ein so vor-
treffliches Prinzip der Kochkunst verdanken, hat gleichwohl

In einem Collegium uͤber Archaͤologie war viel von
Winckelmann’s „edler Einfalt und ſtiller Groͤße“ als Kenn-
zeichen der Meiſterwerke Griechiſcher Kunſt, die Rede, was
nicht anders, als anſprechenden Eindruck machen konnte. Es
draͤngte ſich die Reminiscenz an Milo von Kroton bei.

Aus der Experimentalphyſik war zu merken, daß das Un-
gleiche ſich anzieht und gleiche Pole ſich abſtoßen.

Die Optik, reſp. Goethe’ſche Farbenlehre gab die Grund-
ſaͤtze:

Gelb fordert Rothblau,
Blau fordert Rothgelb,
Purpur fordert Gruͤn.

Gleich in der erſten Vorleſung uͤber Symbolik wurde dar-
gethan, das Prinzip der Symbolik ſei der Pragmatismus. —

Was iſt denn nun das Prinzip der Eßkunſt? —

Moͤge es mir gelingen, dieſes Prinzip meinen ſehr verehr-
ten Herrn Auditoren Sokratiſch ſelbſt finden zu laſſen.

Variatio delectat, ſprach bekanntlich der Teufel und fraß
den Salat mit der Ofengabel. — Das iſt’s aber nicht.

Zwar hat man, freilich mehr ex post, als das Prinzip
der Kunſt uͤberhaupt: „Kraft, Mannigfaltigkeit und Harmonie“
bezeichnet, und es paßt auch wohl. Man gebe aber einem
Kuͤnſtler Meſſer und Gabel, oder Pinſel und Palette in die
Hand und die drei Worte dazu, und er iſt ſo klug wie vorher.

Man weiß uͤberhaupt, wie’s in der Philoſophie und ſonſt
mit den Prinzipien hapert. „Ein allgiltiger Satz, der auch
allgemein gilt“ iſt ſchwer. Wie in andern Kuͤnſten und Wiſ-
ſenſchaften hat man eben auch in der Eßkunſt noch kein beſtimm-
tes Prinzip. Ein Umſtand, der beſonders dadurch erklaͤrlich
wird, daß die Welt bis auf gegenwaͤrtige Vorleſungen eine
Eßkunſt ſelber nicht hatte.

Der geiſtreiche Herr von Rumohr, dem wir ein ſo vor-
treffliches Prinzip der Kochkunſt verdanken, hat gleichwohl

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[143/0157] In einem Collegium uͤber Archaͤologie war viel von Winckelmann’s „edler Einfalt und ſtiller Groͤße“ als Kenn- zeichen der Meiſterwerke Griechiſcher Kunſt, die Rede, was nicht anders, als anſprechenden Eindruck machen konnte. Es draͤngte ſich die Reminiscenz an Milo von Kroton bei. Aus der Experimentalphyſik war zu merken, daß das Un- gleiche ſich anzieht und gleiche Pole ſich abſtoßen. Die Optik, reſp. Goethe’ſche Farbenlehre gab die Grund- ſaͤtze: Gelb fordert Rothblau, Blau fordert Rothgelb, Purpur fordert Gruͤn. Gleich in der erſten Vorleſung uͤber Symbolik wurde dar- gethan, das Prinzip der Symbolik ſei der Pragmatismus. — Was iſt denn nun das Prinzip der Eßkunſt? — Moͤge es mir gelingen, dieſes Prinzip meinen ſehr verehr- ten Herrn Auditoren Sokratiſch ſelbſt finden zu laſſen. Variatio delectat, ſprach bekanntlich der Teufel und fraß den Salat mit der Ofengabel. — Das iſt’s aber nicht. Zwar hat man, freilich mehr ex post, als das Prinzip der Kunſt uͤberhaupt: „Kraft, Mannigfaltigkeit und Harmonie“ bezeichnet, und es paßt auch wohl. Man gebe aber einem Kuͤnſtler Meſſer und Gabel, oder Pinſel und Palette in die Hand und die drei Worte dazu, und er iſt ſo klug wie vorher. Man weiß uͤberhaupt, wie’s in der Philoſophie und ſonſt mit den Prinzipien hapert. „Ein allgiltiger Satz, der auch allgemein gilt“ iſt ſchwer. Wie in andern Kuͤnſten und Wiſ- ſenſchaften hat man eben auch in der Eßkunſt noch kein beſtimm- tes Prinzip. Ein Umſtand, der beſonders dadurch erklaͤrlich wird, daß die Welt bis auf gegenwaͤrtige Vorleſungen eine Eßkunſt ſelber nicht hatte. Der geiſtreiche Herr von Rumohr, dem wir ein ſo vor- treffliches Prinzip der Kochkunſt verdanken, hat gleichwohl

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/157>, abgerufen am 17.05.2024.