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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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preßt worden wäre, so wäre er besser. Ein Anderer kaut mit
vieler Anstrengung den harten Teig einer Straßburger Gänse-
leberpastete, und meint, er äße was. Leute, welche sich anma-
ßen, transchiren zu können, ermangeln der ersten Grundbegriffe,
und schneiden das Fleisch parallel mit der Faser. Der spricht
bei einem Gansbauch wehmüthig von dem Tod seiner Frau
und von der Vergänglichkeit alles Irdischen, jener hält jedes
Wort für einen verlornen Bissen, und verschlingt, düster kauend,
Fünferlei zugleich.

So sieht man denn selbst sogenannte Gebildete, -- subjektiv
stumpf, objektiv peinigend -- ganz ohne Bewußtsein, ohne
Sinn, Gefühl, Plan und Gedanken, ja selbst ohne Behagen die
lieblichsten, durch die Natur vorgebildeten, durch die Kochkunst
veredelten Produkte naturalistisch und roh sich aneignen. In
Anerkennung dieser Thatsachen begegnen sich selbst die, sonst
durchaus und entschieden verschiedenen, Charaktere Börne und
Rumohr in der bestimmtesten, um so gewichtigeren, Ueberein-
stimmung.

Und doch verhält sich keine willkührliche Thätigkeit des
Menschen Sein und Art des Seins so unmittelbar bedingend
und modifizirend. Wie aber Millionen nicht Blinde sterben,
ohne sehen gelernt zu haben, also auch ißt eine gleiche Legion,
ohne zu schmecken, bis sie nicht mehr ißt. "Ach, er ißt nicht
mehr" sagt man mit menschlicher Wehmuth, wenn ein Mensch
aufgehört hat zu essen, d. h. zu sein. Diese, nahe an Itendität
streifende Verschmelzung des Bedingenden mit dem Bedingten
hat auch die scharf klare Römische Sprache längst erkannt, und
deßhalb auch Ein Wort für Sein und Essen, welches letztere
denn buchstäblich der Deutschen Zunge sich einverleibte.

Hunger und Liebe hält nach Schiller die Welt zusammen,
und Goethe sagt in seiner Künstler-Apotheose bedeutungsvoll
"So lang er kau'n und küssen kann."

Somit und auch durch die Allgemeinheit der unbedingten

preßt worden waͤre, ſo waͤre er beſſer. Ein Anderer kaut mit
vieler Anſtrengung den harten Teig einer Straßburger Gaͤnſe-
leberpaſtete, und meint, er aͤße was. Leute, welche ſich anma-
ßen, tranſchiren zu koͤnnen, ermangeln der erſten Grundbegriffe,
und ſchneiden das Fleiſch parallel mit der Faſer. Der ſpricht
bei einem Gansbauch wehmuͤthig von dem Tod ſeiner Frau
und von der Vergaͤnglichkeit alles Irdiſchen, jener haͤlt jedes
Wort fuͤr einen verlornen Biſſen, und verſchlingt, duͤſter kauend,
Fuͤnferlei zugleich.

So ſieht man denn ſelbſt ſogenannte Gebildete, — ſubjektiv
ſtumpf, objektiv peinigend — ganz ohne Bewußtſein, ohne
Sinn, Gefuͤhl, Plan und Gedanken, ja ſelbſt ohne Behagen die
lieblichſten, durch die Natur vorgebildeten, durch die Kochkunſt
veredelten Produkte naturaliſtiſch und roh ſich aneignen. In
Anerkennung dieſer Thatſachen begegnen ſich ſelbſt die, ſonſt
durchaus und entſchieden verſchiedenen, Charaktere Boͤrne und
Rumohr in der beſtimmteſten, um ſo gewichtigeren, Ueberein-
ſtimmung.

Und doch verhaͤlt ſich keine willkuͤhrliche Thaͤtigkeit des
Menſchen Sein und Art des Seins ſo unmittelbar bedingend
und modifizirend. Wie aber Millionen nicht Blinde ſterben,
ohne ſehen gelernt zu haben, alſo auch ißt eine gleiche Legion,
ohne zu ſchmecken, bis ſie nicht mehr ißt. „Ach, er ißt nicht
mehr“ ſagt man mit menſchlicher Wehmuth, wenn ein Menſch
aufgehoͤrt hat zu eſſen, d. h. zu ſein. Dieſe, nahe an Itenditaͤt
ſtreifende Verſchmelzung des Bedingenden mit dem Bedingten
hat auch die ſcharf klare Roͤmiſche Sprache laͤngſt erkannt, und
deßhalb auch Ein Wort fuͤr Sein und Eſſen, welches letztere
denn buchſtaͤblich der Deutſchen Zunge ſich einverleibte.

Hunger und Liebe haͤlt nach Schiller die Welt zuſammen,
und Goethe ſagt in ſeiner Kuͤnſtler-Apotheoſe bedeutungsvoll
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[2/0016] preßt worden waͤre, ſo waͤre er beſſer. Ein Anderer kaut mit vieler Anſtrengung den harten Teig einer Straßburger Gaͤnſe- leberpaſtete, und meint, er aͤße was. Leute, welche ſich anma- ßen, tranſchiren zu koͤnnen, ermangeln der erſten Grundbegriffe, und ſchneiden das Fleiſch parallel mit der Faſer. Der ſpricht bei einem Gansbauch wehmuͤthig von dem Tod ſeiner Frau und von der Vergaͤnglichkeit alles Irdiſchen, jener haͤlt jedes Wort fuͤr einen verlornen Biſſen, und verſchlingt, duͤſter kauend, Fuͤnferlei zugleich. So ſieht man denn ſelbſt ſogenannte Gebildete, — ſubjektiv ſtumpf, objektiv peinigend — ganz ohne Bewußtſein, ohne Sinn, Gefuͤhl, Plan und Gedanken, ja ſelbſt ohne Behagen die lieblichſten, durch die Natur vorgebildeten, durch die Kochkunſt veredelten Produkte naturaliſtiſch und roh ſich aneignen. In Anerkennung dieſer Thatſachen begegnen ſich ſelbſt die, ſonſt durchaus und entſchieden verſchiedenen, Charaktere Boͤrne und Rumohr in der beſtimmteſten, um ſo gewichtigeren, Ueberein- ſtimmung. Und doch verhaͤlt ſich keine willkuͤhrliche Thaͤtigkeit des Menſchen Sein und Art des Seins ſo unmittelbar bedingend und modifizirend. Wie aber Millionen nicht Blinde ſterben, ohne ſehen gelernt zu haben, alſo auch ißt eine gleiche Legion, ohne zu ſchmecken, bis ſie nicht mehr ißt. „Ach, er ißt nicht mehr“ ſagt man mit menſchlicher Wehmuth, wenn ein Menſch aufgehoͤrt hat zu eſſen, d. h. zu ſein. Dieſe, nahe an Itenditaͤt ſtreifende Verſchmelzung des Bedingenden mit dem Bedingten hat auch die ſcharf klare Roͤmiſche Sprache laͤngſt erkannt, und deßhalb auch Ein Wort fuͤr Sein und Eſſen, welches letztere denn buchſtaͤblich der Deutſchen Zunge ſich einverleibte. Hunger und Liebe haͤlt nach Schiller die Welt zuſammen, und Goethe ſagt in ſeiner Kuͤnſtler-Apotheoſe bedeutungsvoll „So lang er kau’n und kuͤſſen kann.“ Somit und auch durch die Allgemeinheit der unbedingten

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/16>, abgerufen am 21.11.2024.