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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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helfen. Aber selbst ein ganz und gar vernagelter Mensch wird
das Gute und Zweckmäßige der linken Gabelhandführung zu-
gestehen müssen. Auch ist mir kein politisches und religiöses
Bedenken bekannt, welches sich diesem vernünftigen Verfahren
in den Weg stellen könnte. Es bleibt also nur Gewohnheit,
Trägheit und Gedankenlosigkeit zu beseitigen übrig. Freilich
immer noch genug. -- Wenn aber der Träge überzeugt würde,
daß gerade die linke Gabelführung die mühlosere, bequemere,
leichtere ist, wenn der Gewohnheitsmensch bei der Ambition
gepackt wird, und spitzzahnige Eitelkeit die unnachdenkliche Ge-
wohnheit in die dicken Waden beißt, so geht's doch wohl. Die
Gedankenlosigkeit muß überhaupt verschwinden, so wie diese
Vorlesungen Verbreitung finden. Zu dem Allen nun gütigst
mitzuwirken, bitte ich meine sehr verehrten Herrn Zuhörer auf
das Eindringlichste.

Freilich scheint die Sache Anfangs einige Schwierigkeiten
zu haben; -- aber gleich wie das Morgenblatt ein Klopstocki-
sches
Motto vom "Reiz des Schweren" an der Stirne trägt,
ohne deßhalb im geringsten weniger leicht zu sein, also ist auch
das Schwierige der linken Gabelführung nur vorn am Anfang.
Später ist's eine wahre Kinderei.

Ich selbst war noch als Jüngling und Bengel von vierund-
zwanzig Jahren gewohnt, die Gabel rechts zu führen, als der Anblick
eines links und schön essenden Mannes mich für immer Englisch
links determinirte. Allerdings ist's nicht rätlich, die neuen
Exerzitien mit fein und kurz geschnittenem Endivien- und Kraut-
salat, mit Rapunzeln und Kresse etc. zu beginnen. Aber mit
Beharrlichkeit nur kurze Zeit fortgesetzt, wird diese Uebung bald
auch jene etwas schwerbegreiflicheren und anstechbaren Objekte
mit Leichtigkeit zu überwinden ermächtigt haben.

Ich habe selbst sehr fertige Violin- und Guitarrespieler
und andere Virtuosen, welche mit der linken Hand die schwie-
rigsten Passagen mit der höchsten Leichtigkeit ausführten, dennoch

helfen. Aber ſelbſt ein ganz und gar vernagelter Menſch wird
das Gute und Zweckmaͤßige der linken Gabelhandfuͤhrung zu-
geſtehen muͤſſen. Auch iſt mir kein politiſches und religioͤſes
Bedenken bekannt, welches ſich dieſem vernuͤnftigen Verfahren
in den Weg ſtellen koͤnnte. Es bleibt alſo nur Gewohnheit,
Traͤgheit und Gedankenloſigkeit zu beſeitigen uͤbrig. Freilich
immer noch genug. — Wenn aber der Traͤge uͤberzeugt wuͤrde,
daß gerade die linke Gabelfuͤhrung die muͤhloſere, bequemere,
leichtere iſt, wenn der Gewohnheitsmenſch bei der Ambition
gepackt wird, und ſpitzzahnige Eitelkeit die unnachdenkliche Ge-
wohnheit in die dicken Waden beißt, ſo geht’s doch wohl. Die
Gedankenloſigkeit muß uͤberhaupt verſchwinden, ſo wie dieſe
Vorleſungen Verbreitung finden. Zu dem Allen nun guͤtigſt
mitzuwirken, bitte ich meine ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrer auf
das Eindringlichſte.

Freilich ſcheint die Sache Anfangs einige Schwierigkeiten
zu haben; — aber gleich wie das Morgenblatt ein Klopſtocki-
ſches
Motto vom „Reiz des Schweren“ an der Stirne traͤgt,
ohne deßhalb im geringſten weniger leicht zu ſein, alſo iſt auch
das Schwierige der linken Gabelfuͤhrung nur vorn am Anfang.
Spaͤter iſt’s eine wahre Kinderei.

Ich ſelbſt war noch als Juͤngling und Bengel von vierund-
zwanzig Jahren gewohnt, die Gabel rechts zu fuͤhren, als der Anblick
eines links und ſchoͤn eſſenden Mannes mich fuͤr immer Engliſch
links determinirte. Allerdings iſt’s nicht raͤtlich, die neuen
Exerzitien mit fein und kurz geſchnittenem Endivien- und Kraut-
ſalat, mit Rapunzeln und Kreſſe ꝛc. zu beginnen. Aber mit
Beharrlichkeit nur kurze Zeit fortgeſetzt, wird dieſe Uebung bald
auch jene etwas ſchwerbegreiflicheren und anſtechbaren Objekte
mit Leichtigkeit zu uͤberwinden ermaͤchtigt haben.

Ich habe ſelbſt ſehr fertige Violin- und Guitarreſpieler
und andere Virtuoſen, welche mit der linken Hand die ſchwie-
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[169/0183] helfen. Aber ſelbſt ein ganz und gar vernagelter Menſch wird das Gute und Zweckmaͤßige der linken Gabelhandfuͤhrung zu- geſtehen muͤſſen. Auch iſt mir kein politiſches und religioͤſes Bedenken bekannt, welches ſich dieſem vernuͤnftigen Verfahren in den Weg ſtellen koͤnnte. Es bleibt alſo nur Gewohnheit, Traͤgheit und Gedankenloſigkeit zu beſeitigen uͤbrig. Freilich immer noch genug. — Wenn aber der Traͤge uͤberzeugt wuͤrde, daß gerade die linke Gabelfuͤhrung die muͤhloſere, bequemere, leichtere iſt, wenn der Gewohnheitsmenſch bei der Ambition gepackt wird, und ſpitzzahnige Eitelkeit die unnachdenkliche Ge- wohnheit in die dicken Waden beißt, ſo geht’s doch wohl. Die Gedankenloſigkeit muß uͤberhaupt verſchwinden, ſo wie dieſe Vorleſungen Verbreitung finden. Zu dem Allen nun guͤtigſt mitzuwirken, bitte ich meine ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrer auf das Eindringlichſte. Freilich ſcheint die Sache Anfangs einige Schwierigkeiten zu haben; — aber gleich wie das Morgenblatt ein Klopſtocki- ſches Motto vom „Reiz des Schweren“ an der Stirne traͤgt, ohne deßhalb im geringſten weniger leicht zu ſein, alſo iſt auch das Schwierige der linken Gabelfuͤhrung nur vorn am Anfang. Spaͤter iſt’s eine wahre Kinderei. Ich ſelbſt war noch als Juͤngling und Bengel von vierund- zwanzig Jahren gewohnt, die Gabel rechts zu fuͤhren, als der Anblick eines links und ſchoͤn eſſenden Mannes mich fuͤr immer Engliſch links determinirte. Allerdings iſt’s nicht raͤtlich, die neuen Exerzitien mit fein und kurz geſchnittenem Endivien- und Kraut- ſalat, mit Rapunzeln und Kreſſe ꝛc. zu beginnen. Aber mit Beharrlichkeit nur kurze Zeit fortgeſetzt, wird dieſe Uebung bald auch jene etwas ſchwerbegreiflicheren und anſtechbaren Objekte mit Leichtigkeit zu uͤberwinden ermaͤchtigt haben. Ich habe ſelbſt ſehr fertige Violin- und Guitarreſpieler und andere Virtuoſen, welche mit der linken Hand die ſchwie- rigſten Paſſagen mit der hoͤchſten Leichtigkeit ausfuͤhrten, dennoch

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/183>, abgerufen am 24.11.2024.