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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Eßkünstler geradezu lächerlich erscheint. Die guten Brodesser
denken überhaupt gar nicht daran, daß, je mehr sie Brod essen,
sie sich um so mehr der Capazität für andere Speisen be-
rauben.

Wird ferner Brod zu Braten, Käse etc. gegessen, so ist dieß
zwar, wie die vorige Vorlesung im Princip richtig, aber meistens
in der Ausführung falsch. Durch das zugleich Kauen von
Brod und irgend einer Speise geht nämlich der spezifische Ge-
schmack der Speise großentheils verloren; man kaue also ab-
wechselnd je die Speise allein und das Brod allein etc. Auch
dieß habe ich schon bemerkt, wiederhole es aber als wichtig,
und weil gerade hiergegen allermeist verstoßen wird, geflissent-
lich. Ich kenne alte Leute, welche zwar wissen, wie eine ge-
wisse Mischung von Brod und Käse, aber nicht wie Käse selbst
schmeckt, da sie, so oft sie auch dergleichen aßen, doch jedesmal
von vornherein so viel Brod in den Mund stopften und damit
continuirten, daß sie hinter den eigentlichen, reinen Käsege-
schmack, hinter den Käse schlechthin, gar nicht kamen.

Nicht selten bemerkt man vorzugsweise Herbivoren, die
sich so ausschließlich an die Gemüse halten, daß sie aufliegende
Cotelettes etc. gar nicht nehmen. Sie sollten sich hüten, so viele
Einseitigkeit zur Schau zu tragen. Das Gemüse ist ja blos
der geforderte vegetabilische Gegensatz, das Accessorium, und
Accessorium sequitur suum principale, lehrt das Römische
Recht mit Recht.

Den Gebrauch der Nase anlangend, gilt als Grundsatz:
jede Prüfung einer Speise durch direktes Beriechen mittels
unzweideutiger Annäherung der Nase an den Gegenstand, ist
als unschicklich, roh, und Andere im höchsten Grade störend auf
das Bestimmteste zu mißbilligen.

Ferner ist der Jugend einzuschärfen, daß von dem, was
man einmal der Schüssel oder dem Präsentirteller entnommen
und auf seinen eignen Teller gebracht, niemals etwas auf jenen

Eßkuͤnſtler geradezu laͤcherlich erſcheint. Die guten Brodeſſer
denken uͤberhaupt gar nicht daran, daß, je mehr ſie Brod eſſen,
ſie ſich um ſo mehr der Capazitaͤt fuͤr andere Speiſen be-
rauben.

Wird ferner Brod zu Braten, Kaͤſe ꝛc. gegeſſen, ſo iſt dieß
zwar, wie die vorige Vorleſung im Princip richtig, aber meiſtens
in der Ausfuͤhrung falſch. Durch das zugleich Kauen von
Brod und irgend einer Speiſe geht naͤmlich der ſpezifiſche Ge-
ſchmack der Speiſe großentheils verloren; man kaue alſo ab-
wechſelnd je die Speiſe allein und das Brod allein ꝛc. Auch
dieß habe ich ſchon bemerkt, wiederhole es aber als wichtig,
und weil gerade hiergegen allermeiſt verſtoßen wird, gefliſſent-
lich. Ich kenne alte Leute, welche zwar wiſſen, wie eine ge-
wiſſe Miſchung von Brod und Kaͤſe, aber nicht wie Kaͤſe ſelbſt
ſchmeckt, da ſie, ſo oft ſie auch dergleichen aßen, doch jedesmal
von vornherein ſo viel Brod in den Mund ſtopften und damit
continuirten, daß ſie hinter den eigentlichen, reinen Kaͤſege-
ſchmack, hinter den Kaͤſe ſchlechthin, gar nicht kamen.

Nicht ſelten bemerkt man vorzugsweiſe Herbivoren, die
ſich ſo ausſchließlich an die Gemuͤſe halten, daß ſie aufliegende
Cotelettes ꝛc. gar nicht nehmen. Sie ſollten ſich huͤten, ſo viele
Einſeitigkeit zur Schau zu tragen. Das Gemuͤſe iſt ja blos
der geforderte vegetabiliſche Gegenſatz, das Accessorium, und
Accessorium sequitur suum principale, lehrt das Roͤmiſche
Recht mit Recht.

Den Gebrauch der Naſe anlangend, gilt als Grundſatz:
jede Pruͤfung einer Speiſe durch direktes Beriechen mittels
unzweideutiger Annaͤherung der Naſe an den Gegenſtand, iſt
als unſchicklich, roh, und Andere im hoͤchſten Grade ſtoͤrend auf
das Beſtimmteſte zu mißbilligen.

Ferner iſt der Jugend einzuſchaͤrfen, daß von dem, was
man einmal der Schuͤſſel oder dem Praͤſentirteller entnommen
und auf ſeinen eignen Teller gebracht, niemals etwas auf jenen

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[181/0195] Eßkuͤnſtler geradezu laͤcherlich erſcheint. Die guten Brodeſſer denken uͤberhaupt gar nicht daran, daß, je mehr ſie Brod eſſen, ſie ſich um ſo mehr der Capazitaͤt fuͤr andere Speiſen be- rauben. Wird ferner Brod zu Braten, Kaͤſe ꝛc. gegeſſen, ſo iſt dieß zwar, wie die vorige Vorleſung im Princip richtig, aber meiſtens in der Ausfuͤhrung falſch. Durch das zugleich Kauen von Brod und irgend einer Speiſe geht naͤmlich der ſpezifiſche Ge- ſchmack der Speiſe großentheils verloren; man kaue alſo ab- wechſelnd je die Speiſe allein und das Brod allein ꝛc. Auch dieß habe ich ſchon bemerkt, wiederhole es aber als wichtig, und weil gerade hiergegen allermeiſt verſtoßen wird, gefliſſent- lich. Ich kenne alte Leute, welche zwar wiſſen, wie eine ge- wiſſe Miſchung von Brod und Kaͤſe, aber nicht wie Kaͤſe ſelbſt ſchmeckt, da ſie, ſo oft ſie auch dergleichen aßen, doch jedesmal von vornherein ſo viel Brod in den Mund ſtopften und damit continuirten, daß ſie hinter den eigentlichen, reinen Kaͤſege- ſchmack, hinter den Kaͤſe ſchlechthin, gar nicht kamen. Nicht ſelten bemerkt man vorzugsweiſe Herbivoren, die ſich ſo ausſchließlich an die Gemuͤſe halten, daß ſie aufliegende Cotelettes ꝛc. gar nicht nehmen. Sie ſollten ſich huͤten, ſo viele Einſeitigkeit zur Schau zu tragen. Das Gemuͤſe iſt ja blos der geforderte vegetabiliſche Gegenſatz, das Accessorium, und Accessorium sequitur suum principale, lehrt das Roͤmiſche Recht mit Recht. Den Gebrauch der Naſe anlangend, gilt als Grundſatz: jede Pruͤfung einer Speiſe durch direktes Beriechen mittels unzweideutiger Annaͤherung der Naſe an den Gegenſtand, iſt als unſchicklich, roh, und Andere im hoͤchſten Grade ſtoͤrend auf das Beſtimmteſte zu mißbilligen. Ferner iſt der Jugend einzuſchaͤrfen, daß von dem, was man einmal der Schuͤſſel oder dem Praͤſentirteller entnommen und auf ſeinen eignen Teller gebracht, niemals etwas auf jenen

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/195>, abgerufen am 24.11.2024.