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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Neunte Vorlesung.
Höhere Kunstregeln
.

Während der exotorische Lehrling mit einem aus banger
Erwartung, Freudenschauer und gläubigem Ernst, Demuth und
Stolz gemischten Gefühle die geheimnißverhüllenden Vorhänge
aufrauschen sieht und zum ersten Mal in's Innerste des Tem-
pels tritt, lächelt der bereits eingeweihte Esoteriker, -- wohl
wissend, wie wenig jener erfährt, was er nicht schon vorher selbst
gewußt, oder doch hätte wissen können.

Erfreut, früherer kleinlicher und lästiger Obliegenheiten ent-
bunden zu sein, vergißt der Losgesprochene, daß mit gewonne-
nen größeren Rechten nothwendig auch zugleich umfassendere
Pflichten übernommen werden, wie er doch in vielen Lehrbü-
chern des Naturrechts sowohl, als der Ethik längst gedruckt hätte
lesen können.

Wenn der Rekrute bei'm Exerziren nicht mehr: eins, zwei,
drei! zu zählen braucht, meint er, jetzt wäre er fertig. Es
kommt aber erst das Schwerste, die Schwenkungen, das Abbre-
chen, Rottenfeuer, Maneuvriren, Tirailliren. Es war Manches
in der Elementar-Erziehung nöthig, welches der Weitergekom-
mene für überflüssig halten zu dürfen glaubt, ohne welches er
aber eben kaum oder gar nicht weiter gekommen wäre. Mit
Manchem muß man sich freilich für nichts und wieder nichts
placken. So wird denn auch ein Rückblick auf die vorige Vor-
lesung dem Gereifteren manches Läppische und Unhaltbare erge-
ben. Mag auch der höhere Eßkünstler über viele der mitge-
theilten Eßregeln lächeln, und sich nicht weiter daran binden.

Neunte Vorleſung.
Hoͤhere Kunstregeln
.

Waͤhrend der exotoriſche Lehrling mit einem aus banger
Erwartung, Freudenſchauer und glaͤubigem Ernſt, Demuth und
Stolz gemiſchten Gefuͤhle die geheimnißverhuͤllenden Vorhaͤnge
aufrauſchen ſieht und zum erſten Mal in’s Innerſte des Tem-
pels tritt, laͤchelt der bereits eingeweihte Eſoteriker, — wohl
wiſſend, wie wenig jener erfaͤhrt, was er nicht ſchon vorher ſelbſt
gewußt, oder doch haͤtte wiſſen koͤnnen.

Erfreut, fruͤherer kleinlicher und laͤſtiger Obliegenheiten ent-
bunden zu ſein, vergißt der Losgeſprochene, daß mit gewonne-
nen groͤßeren Rechten nothwendig auch zugleich umfaſſendere
Pflichten uͤbernommen werden, wie er doch in vielen Lehrbuͤ-
chern des Naturrechts ſowohl, als der Ethik laͤngſt gedruckt haͤtte
leſen koͤnnen.

Wenn der Rekrute bei’m Exerziren nicht mehr: eins, zwei,
drei! zu zaͤhlen braucht, meint er, jetzt waͤre er fertig. Es
kommt aber erſt das Schwerſte, die Schwenkungen, das Abbre-
chen, Rottenfeuer, Maneuvriren, Tirailliren. Es war Manches
in der Elementar-Erziehung noͤthig, welches der Weitergekom-
mene fuͤr uͤberfluͤſſig halten zu duͤrfen glaubt, ohne welches er
aber eben kaum oder gar nicht weiter gekommen waͤre. Mit
Manchem muß man ſich freilich fuͤr nichts und wieder nichts
placken. So wird denn auch ein Ruͤckblick auf die vorige Vor-
leſung dem Gereifteren manches Laͤppiſche und Unhaltbare erge-
ben. Mag auch der hoͤhere Eßkuͤnſtler uͤber viele der mitge-
theilten Eßregeln laͤcheln, und ſich nicht weiter daran binden.

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[[191]/0205] Neunte Vorleſung. Hoͤhere Kunstregeln. Waͤhrend der exotoriſche Lehrling mit einem aus banger Erwartung, Freudenſchauer und glaͤubigem Ernſt, Demuth und Stolz gemiſchten Gefuͤhle die geheimnißverhuͤllenden Vorhaͤnge aufrauſchen ſieht und zum erſten Mal in’s Innerſte des Tem- pels tritt, laͤchelt der bereits eingeweihte Eſoteriker, — wohl wiſſend, wie wenig jener erfaͤhrt, was er nicht ſchon vorher ſelbſt gewußt, oder doch haͤtte wiſſen koͤnnen. Erfreut, fruͤherer kleinlicher und laͤſtiger Obliegenheiten ent- bunden zu ſein, vergißt der Losgeſprochene, daß mit gewonne- nen groͤßeren Rechten nothwendig auch zugleich umfaſſendere Pflichten uͤbernommen werden, wie er doch in vielen Lehrbuͤ- chern des Naturrechts ſowohl, als der Ethik laͤngſt gedruckt haͤtte leſen koͤnnen. Wenn der Rekrute bei’m Exerziren nicht mehr: eins, zwei, drei! zu zaͤhlen braucht, meint er, jetzt waͤre er fertig. Es kommt aber erſt das Schwerſte, die Schwenkungen, das Abbre- chen, Rottenfeuer, Maneuvriren, Tirailliren. Es war Manches in der Elementar-Erziehung noͤthig, welches der Weitergekom- mene fuͤr uͤberfluͤſſig halten zu duͤrfen glaubt, ohne welches er aber eben kaum oder gar nicht weiter gekommen waͤre. Mit Manchem muß man ſich freilich fuͤr nichts und wieder nichts placken. So wird denn auch ein Ruͤckblick auf die vorige Vor- leſung dem Gereifteren manches Laͤppiſche und Unhaltbare erge- ben. Mag auch der hoͤhere Eßkuͤnſtler uͤber viele der mitge- theilten Eßregeln laͤcheln, und ſich nicht weiter daran binden.

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [191]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/205>, abgerufen am 21.11.2024.