zeigt in seinen einzelnen Theilen wieder verschiedenen Geschmack, sei es nun von Natur aus, oder sei es, daß dieser oder jener Theil im Braten besser gerathen ist. Auch dem umsichtigsten Künstler kann es nun begegnen, -- z. B. wenn ein Stück auf der verunglückten Seite liegt und eine gleißende Oberfläche dar- bietet -- daß er ein ihm nicht zusagendes Stück gewählt. Er wird es, obschon mit Ueberwindung, doch aus Zartgefühl auf- essen, um ein anderes zu erproben. Es ist klar, wie dieß Alles durch kleinere Stückchen erleichtert wird, durch welche überhaupt jedem einzelnen Gaste eine viel größere Mannigfal- tigkeit dargeboten ist. Geniert sich ein oder der andere Gast bei kleineren Stücken mehrere entweder auf einmal oder nach ein- ander zu nehmen, so ist es seine eigene Schuld, und nicht die des Vorschneiders, welcher sich dadurch nicht abhalten lassen wird, nach der Theorie der kleineren Bissen zu verfahren.
Wird in kleinere Stücke zerlegter Braten etc. präsentirt, so haben manche Gäste, deren Schüchternheit doch einigermaßen von ihrer Eßlust übertroffen wird, um nicht wiederholt nehmen zu müssen, den Gebrauch, unter dem Schein der Zerstreuung oder irgend einem andern Prätext mit der Gabel so tief zu stechen, daß zugleich mit dem direkt und unmittelbar gemeinten Bissen noch ein oder der andere, welcher unter jenem oder dem- selben sonst nahe liegt, ebenfalls angestochen, und so auf ihren Teller gebracht wird. Sie bedienen sich zu diesem Zwecke des Manövers, mit scheinbarer Leichtigkeit, aber tiefdringendem raschen Gabeldruck den ersten Bissen etwas seitlich anzustechen.
Diese Encheirese belächelt der wahre Eßkünstler, nicht so- wohl deßhalb, weil sie unschicklich ist und von Mangel an Ge- radheit und Offenheit zeugt, sondern weil man dadurch un- wissenschaftlich und blindlings in den Besitz ganz unerwünsch- ter Theile kommen kann, welche eben durch jenes erst ange- stochene Stück gedeckt sein können.
zeigt in ſeinen einzelnen Theilen wieder verſchiedenen Geſchmack, ſei es nun von Natur aus, oder ſei es, daß dieſer oder jener Theil im Braten beſſer gerathen iſt. Auch dem umſichtigſten Kuͤnſtler kann es nun begegnen, — z. B. wenn ein Stuͤck auf der verungluͤckten Seite liegt und eine gleißende Oberflaͤche dar- bietet — daß er ein ihm nicht zuſagendes Stuͤck gewaͤhlt. Er wird es, obſchon mit Ueberwindung, doch aus Zartgefuͤhl auf- eſſen, um ein anderes zu erproben. Es iſt klar, wie dieß Alles durch kleinere Stuͤckchen erleichtert wird, durch welche uͤberhaupt jedem einzelnen Gaſte eine viel groͤßere Mannigfal- tigkeit dargeboten iſt. Geniert ſich ein oder der andere Gaſt bei kleineren Stuͤcken mehrere entweder auf einmal oder nach ein- ander zu nehmen, ſo iſt es ſeine eigene Schuld, und nicht die des Vorſchneiders, welcher ſich dadurch nicht abhalten laſſen wird, nach der Theorie der kleineren Biſſen zu verfahren.
Wird in kleinere Stuͤcke zerlegter Braten ꝛc. praͤſentirt, ſo haben manche Gaͤſte, deren Schuͤchternheit doch einigermaßen von ihrer Eßluſt uͤbertroffen wird, um nicht wiederholt nehmen zu muͤſſen, den Gebrauch, unter dem Schein der Zerſtreuung oder irgend einem andern Praͤtext mit der Gabel ſo tief zu ſtechen, daß zugleich mit dem direkt und unmittelbar gemeinten Biſſen noch ein oder der andere, welcher unter jenem oder dem- ſelben ſonſt nahe liegt, ebenfalls angeſtochen, und ſo auf ihren Teller gebracht wird. Sie bedienen ſich zu dieſem Zwecke des Manoͤvers, mit ſcheinbarer Leichtigkeit, aber tiefdringendem raſchen Gabeldruck den erſten Biſſen etwas ſeitlich anzuſtechen.
Dieſe Encheireſe belaͤchelt der wahre Eßkuͤnſtler, nicht ſo- wohl deßhalb, weil ſie unſchicklich iſt und von Mangel an Ge- radheit und Offenheit zeugt, ſondern weil man dadurch un- wiſſenſchaftlich und blindlings in den Beſitz ganz unerwuͤnſch- ter Theile kommen kann, welche eben durch jenes erſt ange- ſtochene Stuͤck gedeckt ſein koͤnnen.
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zeigt in ſeinen einzelnen Theilen wieder verſchiedenen Geſchmack,
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Theil im Braten beſſer gerathen iſt. Auch dem umſichtigſten
Kuͤnſtler kann es nun begegnen, — z. B. wenn ein Stuͤck auf
der verungluͤckten Seite liegt und eine gleißende Oberflaͤche dar-
bietet — daß er ein ihm nicht zuſagendes Stuͤck gewaͤhlt. Er
wird es, obſchon mit Ueberwindung, doch aus Zartgefuͤhl auf-
eſſen, um ein anderes zu erproben. Es iſt klar, wie dieß
Alles durch kleinere Stuͤckchen erleichtert wird, durch welche
uͤberhaupt jedem einzelnen Gaſte eine viel groͤßere Mannigfal-
tigkeit dargeboten iſt. Geniert ſich ein oder der andere Gaſt
bei kleineren Stuͤcken mehrere entweder auf einmal oder nach ein-
ander zu nehmen, ſo iſt es ſeine eigene Schuld, und nicht die
des Vorſchneiders, welcher ſich dadurch nicht abhalten laſſen
wird, nach der Theorie der kleineren Biſſen zu verfahren.
Wird in kleinere Stuͤcke zerlegter Braten ꝛc. praͤſentirt, ſo
haben manche Gaͤſte, deren Schuͤchternheit doch einigermaßen
von ihrer Eßluſt uͤbertroffen wird, um nicht wiederholt nehmen
zu muͤſſen, den Gebrauch, unter dem Schein der Zerſtreuung
oder irgend einem andern Praͤtext mit der Gabel ſo tief zu
ſtechen, daß zugleich mit dem direkt und unmittelbar gemeinten
Biſſen noch ein oder der andere, welcher unter jenem oder dem-
ſelben ſonſt nahe liegt, ebenfalls angeſtochen, und ſo auf ihren
Teller gebracht wird. Sie bedienen ſich zu dieſem Zwecke des
Manoͤvers, mit ſcheinbarer Leichtigkeit, aber tiefdringendem
raſchen Gabeldruck den erſten Biſſen etwas ſeitlich anzuſtechen.
Dieſe Encheireſe belaͤchelt der wahre Eßkuͤnſtler, nicht ſo-
wohl deßhalb, weil ſie unſchicklich iſt und von Mangel an Ge-
radheit und Offenheit zeugt, ſondern weil man dadurch un-
wiſſenſchaftlich und blindlings in den Beſitz ganz unerwuͤnſch-
ter Theile kommen kann, welche eben durch jenes erſt ange-
ſtochene Stuͤck gedeckt ſein koͤnnen.
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/213>, abgerufen am 16.02.2025.
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