Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Tiedemann sagt aber; "es darf als Grundsatz aufgestellt Was folgt daraus? -- Wem's schmeckt und wohl be- Ich berücksichtige absichtlich Diätetiker bei dieser Frage, Es ist ein chemischer Grundsatz, daß trockne, spröde Körper Die Salernitaner sagen über diesen Gegenstand: die Wahr- Tiedemann ſagt aber; „es darf als Grundſatz aufgeſtellt Was folgt daraus? — Wem’s ſchmeckt und wohl be- Ich beruͤckſichtige abſichtlich Diaͤtetiker bei dieſer Frage, Es iſt ein chemiſcher Grundſatz, daß trockne, ſproͤde Koͤrper Die Salernitaner ſagen uͤber dieſen Gegenſtand: die Wahr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0259" n="245"/> <p><hi rendition="#g">Tiedemann</hi> ſagt aber; „es darf als Grundſatz aufgeſtellt<lb/> werden, daß Perſonen, welche von der Aufnahme von Getraͤn-<lb/> ken bei dem Mahle keine nachtheiligen Wirkungen ſpuͤren, wohl<lb/> thun, ſich des Trinkens nicht ganz zu enthalten, denn der<lb/> Genuß ſehr trockner, zaͤher, geſalzner und gewuͤrzter Speiſen<lb/> verurſacht Durſt, und wenn er nicht befriedigt wird, ſo ent-<lb/> ſteht dadurch das Gefuͤhl von Voͤlle, Spannen und Druck im<lb/> Magen.“</p><lb/> <p>Was folgt daraus? — Wem’s ſchmeckt und wohl be-<lb/> kommt, der ſoll trinken, aber eingedenk der einfachen Wahrheit,<lb/> daß bei’m Eſſen das Eſſen die Hauptſache bleibt.</p><lb/> <p>Ich beruͤckſichtige abſichtlich Diaͤtetiker bei dieſer Frage,<lb/> weil ſich die Antwort von dem kuͤnſtleriſchen Geſichtspunkt aus<lb/> zu Gunſten des Trinkens, als poetiſcher Verſtaͤrkung, eben ſo<lb/> von ſelbſt ergiebt, als nach unſerem Prinzip, da der Wein nicht<lb/> nur den ſchoͤnſten fluͤſſigen Gegenſatz des Feſten, ſondern zugleich<lb/> die edelſte vegetabiliſch fluͤſſige Gegenſaͤtzlichkeit uͤberhaupt re-<lb/> praͤſentirt. Doch will ich der Unterſuchung nicht vorgreifen.</p><lb/> <p>Es iſt ein chemiſcher Grundſatz, daß trockne, ſproͤde Koͤrper<lb/> niemals ſich innig verbinden und durchdringen, ja gar nicht<lb/> auf einander wirken, es muͤßte denn rein abſtoßend ſein (<hi rendition="#aq">cor-<lb/> pora non agunt nisi fluida</hi>). Die Application liegt auf der<lb/> Hand. Doch ſorgen die Koͤche durch gehoͤrige Tunken und<lb/> Bruͤhen, und der Hauptkoch, der Magen, vor Allem, ſelbſt<lb/> ſchon fuͤr das noͤthigſte Verfluͤſſigende.</p><lb/> <p>Die Salernitaner ſagen uͤber dieſen Gegenſtand: die Wahr-<lb/> heit liegt in der Mitte. Das heißt einmal lehren ſie: man ſolle<lb/> oft, aber nicht viel <hi rendition="#aq">(inter prandendum sit saepe parumque<lb/> bibendum),</hi> das andere Mal: man ſolle gar nicht uͤber Tiſch<lb/> trinken (<hi rendition="#aq">ut minus aegrotes, non inter fercula potes</hi>). Man<lb/> kann hieraus im Vorbeigehen lernen, wie klug die in der Mitte<lb/> ſind. Wenn auch einige Einfaͤltige meinen, es ſei charakterlos<lb/> und abſurd: ja und nein zugleich zu ſagen, ſo iſt doch leicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [245/0259]
Tiedemann ſagt aber; „es darf als Grundſatz aufgeſtellt
werden, daß Perſonen, welche von der Aufnahme von Getraͤn-
ken bei dem Mahle keine nachtheiligen Wirkungen ſpuͤren, wohl
thun, ſich des Trinkens nicht ganz zu enthalten, denn der
Genuß ſehr trockner, zaͤher, geſalzner und gewuͤrzter Speiſen
verurſacht Durſt, und wenn er nicht befriedigt wird, ſo ent-
ſteht dadurch das Gefuͤhl von Voͤlle, Spannen und Druck im
Magen.“
Was folgt daraus? — Wem’s ſchmeckt und wohl be-
kommt, der ſoll trinken, aber eingedenk der einfachen Wahrheit,
daß bei’m Eſſen das Eſſen die Hauptſache bleibt.
Ich beruͤckſichtige abſichtlich Diaͤtetiker bei dieſer Frage,
weil ſich die Antwort von dem kuͤnſtleriſchen Geſichtspunkt aus
zu Gunſten des Trinkens, als poetiſcher Verſtaͤrkung, eben ſo
von ſelbſt ergiebt, als nach unſerem Prinzip, da der Wein nicht
nur den ſchoͤnſten fluͤſſigen Gegenſatz des Feſten, ſondern zugleich
die edelſte vegetabiliſch fluͤſſige Gegenſaͤtzlichkeit uͤberhaupt re-
praͤſentirt. Doch will ich der Unterſuchung nicht vorgreifen.
Es iſt ein chemiſcher Grundſatz, daß trockne, ſproͤde Koͤrper
niemals ſich innig verbinden und durchdringen, ja gar nicht
auf einander wirken, es muͤßte denn rein abſtoßend ſein (cor-
pora non agunt nisi fluida). Die Application liegt auf der
Hand. Doch ſorgen die Koͤche durch gehoͤrige Tunken und
Bruͤhen, und der Hauptkoch, der Magen, vor Allem, ſelbſt
ſchon fuͤr das noͤthigſte Verfluͤſſigende.
Die Salernitaner ſagen uͤber dieſen Gegenſtand: die Wahr-
heit liegt in der Mitte. Das heißt einmal lehren ſie: man ſolle
oft, aber nicht viel (inter prandendum sit saepe parumque
bibendum), das andere Mal: man ſolle gar nicht uͤber Tiſch
trinken (ut minus aegrotes, non inter fercula potes). Man
kann hieraus im Vorbeigehen lernen, wie klug die in der Mitte
ſind. Wenn auch einige Einfaͤltige meinen, es ſei charakterlos
und abſurd: ja und nein zugleich zu ſagen, ſo iſt doch leicht
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