Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

brechen, wenn man nur daran denkt, was Alles hineingeworfen
wird. Stillstehendes Wasser ist überdem noch voller Würmer,
und das Seewasser ist gar salzig. Eben dergleichen Bedenk-
lichkeiten hatte er bei den Speisen, und weil ich ihm sagte, daß
alles das Kleinigkeiten wären, so ärgerte er sich dergestalt
darüber, daß er in ein hitziges Fieber verfiel und starb."

Ich werde in der nun zu unternehmenden Prüfung der
verschiedenen Tischgetränke hierauf gebührenden Bedacht nehmen.

Der Arzt Prießnitz in Gräfenberg, der zugleich ein
Bauer ist, welches man um so weniger auffallend finden sollte,
je öfter es überhaupt vorkommt, füllt seine Curgäste auch über
Tisch um so mehr mit Wasser, je weniger er ihnen etwas
Genießbares zu essen vorzusetzen weiß und im Stande ist.
Dieses Verfahren ist so widerlich, geschmacklos und ungeeignet,
daß es nur wegen seiner absoluten Dummheit Erwähnung
verdient; denn das Meiste auf der Welt ist nur so mittelmäßig,
relativ, bedingt, zurückhaltend, und schüchtern dumm oder ge-
scheidt, daß es kaum die Mühe lehrt, darüber zu reden.

Schiller bemerkt für den Schauspieler, der als Don
Carlos
zum Herzog Alba die Worte: "Sie sind ein großer
General" etc. zu sagen hat, daß dieß ohne Ironie gemeint und
zu sagen sei. Allerdings giebt's Schauspieler, Leser und Men-
schen, denen man wohl thut, zu sagen: dieß ist Spaß, dieß ist
Ernst. -- Für Letztere bemerke ich Letzteres. Dergleichen auf
flacher, platter Hand liegende Dinge aber erst nachweisen zu
sollen, ist am allerwenigsten meine Sache, auch abgesehen davon,
daß ich nicht gerne, wenigstens nicht mit Absicht, langweile.

Der Eßkünstler wird Leute, die über Tisch Wasser trinken,
für Alles eher als für Collegen halten. -- Ein frisches Glas
Wasser -- ein leeres Blatt Papier! -- unmittelbar vor Schla-
fengehen oder nach dem Aufstehen, oder für sich in Zwischen-
zeiten je nach Bedarf und Verhältniß, Sommer oder Winter etc.
ist etwas Erfrischendes, Zweckmäßiges; ein Krug Selterswasser

brechen, wenn man nur daran denkt, was Alles hineingeworfen
wird. Stillſtehendes Waſſer iſt uͤberdem noch voller Wuͤrmer,
und das Seewaſſer iſt gar ſalzig. Eben dergleichen Bedenk-
lichkeiten hatte er bei den Speiſen, und weil ich ihm ſagte, daß
alles das Kleinigkeiten waͤren, ſo aͤrgerte er ſich dergeſtalt
daruͤber, daß er in ein hitziges Fieber verfiel und ſtarb.“

Ich werde in der nun zu unternehmenden Pruͤfung der
verſchiedenen Tiſchgetraͤnke hierauf gebuͤhrenden Bedacht nehmen.

Der Arzt Prießnitz in Graͤfenberg, der zugleich ein
Bauer iſt, welches man um ſo weniger auffallend finden ſollte,
je oͤfter es uͤberhaupt vorkommt, fuͤllt ſeine Curgaͤſte auch uͤber
Tiſch um ſo mehr mit Waſſer, je weniger er ihnen etwas
Genießbares zu eſſen vorzuſetzen weiß und im Stande iſt.
Dieſes Verfahren iſt ſo widerlich, geſchmacklos und ungeeignet,
daß es nur wegen ſeiner abſoluten Dummheit Erwaͤhnung
verdient; denn das Meiſte auf der Welt iſt nur ſo mittelmaͤßig,
relativ, bedingt, zuruͤckhaltend, und ſchuͤchtern dumm oder ge-
ſcheidt, daß es kaum die Muͤhe lehrt, daruͤber zu reden.

Schiller bemerkt fuͤr den Schauſpieler, der als Don
Carlos
zum Herzog Alba die Worte: „Sie ſind ein großer
General“ ꝛc. zu ſagen hat, daß dieß ohne Ironie gemeint und
zu ſagen ſei. Allerdings giebt’s Schauſpieler, Leſer und Men-
ſchen, denen man wohl thut, zu ſagen: dieß iſt Spaß, dieß iſt
Ernſt. — Fuͤr Letztere bemerke ich Letzteres. Dergleichen auf
flacher, platter Hand liegende Dinge aber erſt nachweiſen zu
ſollen, iſt am allerwenigſten meine Sache, auch abgeſehen davon,
daß ich nicht gerne, wenigſtens nicht mit Abſicht, langweile.

Der Eßkuͤnſtler wird Leute, die uͤber Tiſch Waſſer trinken,
fuͤr Alles eher als fuͤr Collegen halten. — Ein friſches Glas
Waſſer — ein leeres Blatt Papier! — unmittelbar vor Schla-
fengehen oder nach dem Aufſtehen, oder fuͤr ſich in Zwiſchen-
zeiten je nach Bedarf und Verhaͤltniß, Sommer oder Winter ꝛc.
iſt etwas Erfriſchendes, Zweckmaͤßiges; ein Krug Selterswaſſer

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0261" n="247"/>
brechen, wenn man nur daran denkt, was Alles hineingeworfen<lb/>
wird. Still&#x017F;tehendes Wa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t u&#x0364;berdem noch voller Wu&#x0364;rmer,<lb/>
und das Seewa&#x017F;&#x017F;er i&#x017F;t gar &#x017F;alzig. Eben dergleichen Bedenk-<lb/>
lichkeiten hatte er bei den Spei&#x017F;en, und weil ich ihm &#x017F;agte, daß<lb/>
alles das Kleinigkeiten wa&#x0364;ren, &#x017F;o a&#x0364;rgerte er &#x017F;ich derge&#x017F;talt<lb/>
daru&#x0364;ber, daß er in ein hitziges Fieber verfiel und &#x017F;tarb.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ich werde in der nun zu unternehmenden Pru&#x0364;fung der<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Ti&#x017F;chgetra&#x0364;nke hierauf gebu&#x0364;hrenden Bedacht nehmen.</p><lb/>
        <p>Der Arzt <hi rendition="#g">Prießnitz</hi> in Gra&#x0364;fenberg, der zugleich ein<lb/>
Bauer i&#x017F;t, welches man um &#x017F;o weniger auffallend finden &#x017F;ollte,<lb/>
je o&#x0364;fter es u&#x0364;berhaupt vorkommt, fu&#x0364;llt &#x017F;eine Curga&#x0364;&#x017F;te auch u&#x0364;ber<lb/>
Ti&#x017F;ch um &#x017F;o mehr mit Wa&#x017F;&#x017F;er, je weniger er ihnen etwas<lb/>
Genießbares zu e&#x017F;&#x017F;en vorzu&#x017F;etzen weiß und im Stande i&#x017F;t.<lb/>
Die&#x017F;es Verfahren i&#x017F;t &#x017F;o widerlich, ge&#x017F;chmacklos und ungeeignet,<lb/>
daß es nur wegen &#x017F;einer ab&#x017F;oluten Dummheit Erwa&#x0364;hnung<lb/>
verdient; denn das Mei&#x017F;te auf der Welt i&#x017F;t nur &#x017F;o mittelma&#x0364;ßig,<lb/>
relativ, bedingt, zuru&#x0364;ckhaltend, und &#x017F;chu&#x0364;chtern dumm oder ge-<lb/>
&#x017F;cheidt, daß es kaum die Mu&#x0364;he lehrt, daru&#x0364;ber zu reden.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Schiller</hi> bemerkt fu&#x0364;r den Schau&#x017F;pieler, der als <hi rendition="#g">Don<lb/>
Carlos</hi> zum Herzog <hi rendition="#g">Alba</hi> die Worte: &#x201E;Sie &#x017F;ind ein großer<lb/>
General&#x201C; &#xA75B;c. zu &#x017F;agen hat, daß dieß ohne Ironie gemeint und<lb/>
zu &#x017F;agen &#x017F;ei. Allerdings giebt&#x2019;s Schau&#x017F;pieler, Le&#x017F;er und Men-<lb/>
&#x017F;chen, denen man wohl thut, zu &#x017F;agen: dieß i&#x017F;t Spaß, dieß i&#x017F;t<lb/>
Ern&#x017F;t. &#x2014; Fu&#x0364;r Letztere bemerke ich Letzteres. Dergleichen auf<lb/>
flacher, platter Hand liegende Dinge aber er&#x017F;t nachwei&#x017F;en zu<lb/>
&#x017F;ollen, i&#x017F;t am allerwenig&#x017F;ten meine Sache, auch abge&#x017F;ehen davon,<lb/>
daß ich nicht gerne, wenig&#x017F;tens nicht mit Ab&#x017F;icht, langweile.</p><lb/>
        <p>Der Eßku&#x0364;n&#x017F;tler wird Leute, die u&#x0364;ber Ti&#x017F;ch Wa&#x017F;&#x017F;er trinken,<lb/>
fu&#x0364;r Alles eher als fu&#x0364;r Collegen halten. &#x2014; Ein fri&#x017F;ches Glas<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er &#x2014; ein leeres Blatt Papier! &#x2014; unmittelbar vor Schla-<lb/>
fengehen oder nach dem Auf&#x017F;tehen, oder fu&#x0364;r &#x017F;ich in Zwi&#x017F;chen-<lb/>
zeiten je nach Bedarf und Verha&#x0364;ltniß, Sommer oder Winter &#xA75B;c.<lb/>
i&#x017F;t etwas Erfri&#x017F;chendes, Zweckma&#x0364;ßiges; ein Krug Selterswa&#x017F;&#x017F;er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0261] brechen, wenn man nur daran denkt, was Alles hineingeworfen wird. Stillſtehendes Waſſer iſt uͤberdem noch voller Wuͤrmer, und das Seewaſſer iſt gar ſalzig. Eben dergleichen Bedenk- lichkeiten hatte er bei den Speiſen, und weil ich ihm ſagte, daß alles das Kleinigkeiten waͤren, ſo aͤrgerte er ſich dergeſtalt daruͤber, daß er in ein hitziges Fieber verfiel und ſtarb.“ Ich werde in der nun zu unternehmenden Pruͤfung der verſchiedenen Tiſchgetraͤnke hierauf gebuͤhrenden Bedacht nehmen. Der Arzt Prießnitz in Graͤfenberg, der zugleich ein Bauer iſt, welches man um ſo weniger auffallend finden ſollte, je oͤfter es uͤberhaupt vorkommt, fuͤllt ſeine Curgaͤſte auch uͤber Tiſch um ſo mehr mit Waſſer, je weniger er ihnen etwas Genießbares zu eſſen vorzuſetzen weiß und im Stande iſt. Dieſes Verfahren iſt ſo widerlich, geſchmacklos und ungeeignet, daß es nur wegen ſeiner abſoluten Dummheit Erwaͤhnung verdient; denn das Meiſte auf der Welt iſt nur ſo mittelmaͤßig, relativ, bedingt, zuruͤckhaltend, und ſchuͤchtern dumm oder ge- ſcheidt, daß es kaum die Muͤhe lehrt, daruͤber zu reden. Schiller bemerkt fuͤr den Schauſpieler, der als Don Carlos zum Herzog Alba die Worte: „Sie ſind ein großer General“ ꝛc. zu ſagen hat, daß dieß ohne Ironie gemeint und zu ſagen ſei. Allerdings giebt’s Schauſpieler, Leſer und Men- ſchen, denen man wohl thut, zu ſagen: dieß iſt Spaß, dieß iſt Ernſt. — Fuͤr Letztere bemerke ich Letzteres. Dergleichen auf flacher, platter Hand liegende Dinge aber erſt nachweiſen zu ſollen, iſt am allerwenigſten meine Sache, auch abgeſehen davon, daß ich nicht gerne, wenigſtens nicht mit Abſicht, langweile. Der Eßkuͤnſtler wird Leute, die uͤber Tiſch Waſſer trinken, fuͤr Alles eher als fuͤr Collegen halten. — Ein friſches Glas Waſſer — ein leeres Blatt Papier! — unmittelbar vor Schla- fengehen oder nach dem Aufſtehen, oder fuͤr ſich in Zwiſchen- zeiten je nach Bedarf und Verhaͤltniß, Sommer oder Winter ꝛc. iſt etwas Erfriſchendes, Zweckmaͤßiges; ein Krug Selterswaſſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/261
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/261>, abgerufen am 21.11.2024.