Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.nehm? was hat das Recht, angenehm zu schmecken? wer hat In Erwägung, daß nur die wenigsten Speisen im Natur- nehm? was hat das Recht, angenehm zu ſchmecken? wer hat In Erwaͤgung, daß nur die wenigſten Speiſen im Natur- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="15"/> nehm? was hat das Recht, angenehm zu ſchmecken? wer hat<lb/> Geſchmack? wer hat Recht, wenn er ſagt: ich habe Geſchmack?</p><lb/> <p>In Erwaͤgung, daß nur die wenigſten Speiſen im Natur-<lb/> zuſtande eßbar ſind; in Erwaͤgung, daß der gehaͤſſige Ausſpruch<lb/> des menſchenfreundlichen Miſanthrop <hi rendition="#g">Rouſſeau</hi>: <hi rendition="#aq">„Tout est<lb/> bien, sortant des mains de l’auteur des choses: tout dégé-<lb/> nère entre les mains de l’homme“</hi> — wie er uͤberhaupt nichts<lb/> gilt, ſo am allerwenigſten fuͤr die in Rede ſtehende Beziehung<lb/> in Anwendung kommen kann; in Erwaͤgung endlich, daß gerade<lb/> unſere Aufgabe darin beſteht, das Eſſen der inſtinktiſchen be-<lb/> wußtloſen Naturrohheit zu entreißen und der Kunſt zu vindizi-<lb/> ren, es als Eßkunſt zu conſtruiren, — mußte die Definition<lb/> der Eßkunſt nothwendig der Kochkunſt gedenken (die uͤbrigens<lb/> beſſer Bratkunſt genannt werden ſollte), auf welcher ſie, als ihrer<lb/> Baſis ruht; denn der Eßkuͤnſtler verhaͤlt ſich zum Kochkuͤnſtler<lb/> wie der Schauſpieler zum dramatiſchen Dichter. Wer Vorle-<lb/> ſungen uͤber Eßkunſt haͤlt, verhaͤlt ſich wie der Dramaturg.<lb/> Daß dem wirklich ſo ſei, wird ſpaͤter zur Evidenz klar werden.<lb/> Aber ſelbſt wenn ſich der Eſſer zum Kocher nur verhielte wie<lb/> der Beſchauer eines Bildes zum Mahler deſſelben, waͤren Re-<lb/> geln unerlaͤßlich. Leider, daß wir noch keine Seh- und Hoͤr-<lb/> kunſt beſitzen! Eine Anleitung: Kunſtprodukte vernuͤnftigerweiſe<lb/> zu Leibe zu nehmen oder, wie man auch ſagt, ſich zu Gemuͤthe<lb/> zu ziehen, iſt nothwendiger, als eine, ſie hervorzubringen. Keine<lb/> Theorie iſt im Stande, einen <hi rendition="#g">Raffael</hi>, einen <hi rendition="#g">Michel Angelo</hi>,<lb/> einen <hi rendition="#g">Mozart</hi> zu bilden; wohl aber kann ſie jedem empfaͤng-<lb/> lichen Menſchen Luſt und Sinn zu deren Genuß und Verſtaͤnd-<lb/> niß aufſchließen. Uebrigens kann auch der Dummſte, ohne den<lb/> Anſtand zu verletzen, eine fuͤrſtliche Gemaͤldeſammlung anſchauen,<lb/> wenn er zu ſchweigen, oder ein paar auf Alles paſſende Phraſen<lb/> weiß. Man ſetze ihn aber an die fuͤrſtliche Tafel, und bemerke,<lb/> welche Verſtoͤße ein Menſch ohne einige Kenntniſſe der Eßkunſt<lb/><supplied>v</supplied>erſchuldet. Schon hieraus wird allen Eltern und Erziehern,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [15/0029]
nehm? was hat das Recht, angenehm zu ſchmecken? wer hat
Geſchmack? wer hat Recht, wenn er ſagt: ich habe Geſchmack?
In Erwaͤgung, daß nur die wenigſten Speiſen im Natur-
zuſtande eßbar ſind; in Erwaͤgung, daß der gehaͤſſige Ausſpruch
des menſchenfreundlichen Miſanthrop Rouſſeau: „Tout est
bien, sortant des mains de l’auteur des choses: tout dégé-
nère entre les mains de l’homme“ — wie er uͤberhaupt nichts
gilt, ſo am allerwenigſten fuͤr die in Rede ſtehende Beziehung
in Anwendung kommen kann; in Erwaͤgung endlich, daß gerade
unſere Aufgabe darin beſteht, das Eſſen der inſtinktiſchen be-
wußtloſen Naturrohheit zu entreißen und der Kunſt zu vindizi-
ren, es als Eßkunſt zu conſtruiren, — mußte die Definition
der Eßkunſt nothwendig der Kochkunſt gedenken (die uͤbrigens
beſſer Bratkunſt genannt werden ſollte), auf welcher ſie, als ihrer
Baſis ruht; denn der Eßkuͤnſtler verhaͤlt ſich zum Kochkuͤnſtler
wie der Schauſpieler zum dramatiſchen Dichter. Wer Vorle-
ſungen uͤber Eßkunſt haͤlt, verhaͤlt ſich wie der Dramaturg.
Daß dem wirklich ſo ſei, wird ſpaͤter zur Evidenz klar werden.
Aber ſelbſt wenn ſich der Eſſer zum Kocher nur verhielte wie
der Beſchauer eines Bildes zum Mahler deſſelben, waͤren Re-
geln unerlaͤßlich. Leider, daß wir noch keine Seh- und Hoͤr-
kunſt beſitzen! Eine Anleitung: Kunſtprodukte vernuͤnftigerweiſe
zu Leibe zu nehmen oder, wie man auch ſagt, ſich zu Gemuͤthe
zu ziehen, iſt nothwendiger, als eine, ſie hervorzubringen. Keine
Theorie iſt im Stande, einen Raffael, einen Michel Angelo,
einen Mozart zu bilden; wohl aber kann ſie jedem empfaͤng-
lichen Menſchen Luſt und Sinn zu deren Genuß und Verſtaͤnd-
niß aufſchließen. Uebrigens kann auch der Dummſte, ohne den
Anſtand zu verletzen, eine fuͤrſtliche Gemaͤldeſammlung anſchauen,
wenn er zu ſchweigen, oder ein paar auf Alles paſſende Phraſen
weiß. Man ſetze ihn aber an die fuͤrſtliche Tafel, und bemerke,
welche Verſtoͤße ein Menſch ohne einige Kenntniſſe der Eßkunſt
verſchuldet. Schon hieraus wird allen Eltern und Erziehern,
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