Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.zum Schmerz und glaubt etwas zu sein, wenn's auch mitla- Wie liebenswürdig und küssenswerth steht, oder sitzt viel- Wie Wenige der neueren Künstler überhaupt können auf zum Schmerz und glaubt etwas zu ſein, wenn’s auch mitla- Wie liebenswuͤrdig und kuͤſſenswerth ſteht, oder ſitzt viel- Wie Wenige der neueren Kuͤnſtler uͤberhaupt koͤnnen auf <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0085" n="71"/> zum Schmerz und glaubt etwas zu ſein, wenn’s auch mitla-<lb/> mentirt. Wer Bauchweh hat, macht ein lyriſches Gedicht. Dar-<lb/> um unſere hundert nicht auszuhaltende Trauerſpiele, und kein<lb/> Dutzend gute Luſtſpiele, ja ſogar die Miſ<hi rendition="#aq">è</hi>re ſentimentaler,<lb/> auf Thraͤnen berechneter Komoͤdien! Darum ſtatt Verherrli-<lb/> chung, Verklaͤrung, Vollendung der Natur: deren Herabwuͤrdi-<lb/> gung, Entſtellung, Verfratzung! Darum ſtatt Ernſt, Erhe-<lb/> bung, Reinigung, Heiterkeit, Klarheit des Gedankens, Freude<lb/> am Schoͤnen, ſeeligem Genießen: gegentheils nur Schmerzver-<lb/> zerrung, Niedergedruͤcktſein, Gemeinheit, Dumpfſinn, Wider-<lb/> ſpruch, Zweifelsqual, Lebenszwieſpalt und Ueberdruß, und trotz<lb/> alle dem noch dazu die dummſtolze Einbildung: das waͤre<lb/> was. — Um ſo deutlicher muß man’s ruͤgen. Das iſt ja gar<lb/> nichts. Jede Naͤhterin und Waͤſcherin ſchreibt ja auch von ih-<lb/> ren Schmerzen und gebrochnem Herzen. Das iſt keine Kunſt,<lb/> traurig zu ſein in unſerer Zeit. Es iſt eine Kunſt, luſtig zu<lb/> ſein. Das verſucht, oder haͤngt Euch auf, wenn Ihr ſonſt<lb/> nichts gelernt habt und zu thun wißt, als Euren unſchuldigen<lb/> Mitmenſchen mit Eurer und der allgemeinen Miſ<hi rendition="#aq">è</hi>re beſchwer-<lb/> lich zu fallen.</p><lb/> <p>Wie liebenswuͤrdig und kuͤſſenswerth ſteht, oder ſitzt viel-<lb/> mehr, der Eßkuͤnſtler Euch gegenuͤber! Nicht nur er ſelbſt iſt<lb/> ſeelig in Ausuͤbung ſeiner Kunſt; er erfreut und erquickt durch<lb/> ſeine Darſtellungen jeden Beſchauer. Welch milder Ernſt,<lb/> welche ſchoͤne Heiterkeit, welche klaſſiſche Ruhe, welch ſeeliges<lb/> Genuͤgen umſchwebt ihn! Und einen ſolchen Mann wagen<lb/> dieſe ewig naſſen zerriſſenen Thraͤnenhaͤderlein uͤber die Achſeln<lb/> anzuſehen!</p><lb/> <p>Wie Wenige der neueren Kuͤnſtler uͤberhaupt koͤnnen auf<lb/> ihre kleine Subjektivitaͤt reſigniren und das Objektive in ſeiner<lb/> Reinheit und Urbedeutung erfaſſen. Wie ſchauen uͤberall die<lb/> langhaarigen, weißbekragten, ſchwarzberockten Deutſchen Juͤng-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [71/0085]
zum Schmerz und glaubt etwas zu ſein, wenn’s auch mitla-
mentirt. Wer Bauchweh hat, macht ein lyriſches Gedicht. Dar-
um unſere hundert nicht auszuhaltende Trauerſpiele, und kein
Dutzend gute Luſtſpiele, ja ſogar die Miſère ſentimentaler,
auf Thraͤnen berechneter Komoͤdien! Darum ſtatt Verherrli-
chung, Verklaͤrung, Vollendung der Natur: deren Herabwuͤrdi-
gung, Entſtellung, Verfratzung! Darum ſtatt Ernſt, Erhe-
bung, Reinigung, Heiterkeit, Klarheit des Gedankens, Freude
am Schoͤnen, ſeeligem Genießen: gegentheils nur Schmerzver-
zerrung, Niedergedruͤcktſein, Gemeinheit, Dumpfſinn, Wider-
ſpruch, Zweifelsqual, Lebenszwieſpalt und Ueberdruß, und trotz
alle dem noch dazu die dummſtolze Einbildung: das waͤre
was. — Um ſo deutlicher muß man’s ruͤgen. Das iſt ja gar
nichts. Jede Naͤhterin und Waͤſcherin ſchreibt ja auch von ih-
ren Schmerzen und gebrochnem Herzen. Das iſt keine Kunſt,
traurig zu ſein in unſerer Zeit. Es iſt eine Kunſt, luſtig zu
ſein. Das verſucht, oder haͤngt Euch auf, wenn Ihr ſonſt
nichts gelernt habt und zu thun wißt, als Euren unſchuldigen
Mitmenſchen mit Eurer und der allgemeinen Miſère beſchwer-
lich zu fallen.
Wie liebenswuͤrdig und kuͤſſenswerth ſteht, oder ſitzt viel-
mehr, der Eßkuͤnſtler Euch gegenuͤber! Nicht nur er ſelbſt iſt
ſeelig in Ausuͤbung ſeiner Kunſt; er erfreut und erquickt durch
ſeine Darſtellungen jeden Beſchauer. Welch milder Ernſt,
welche ſchoͤne Heiterkeit, welche klaſſiſche Ruhe, welch ſeeliges
Genuͤgen umſchwebt ihn! Und einen ſolchen Mann wagen
dieſe ewig naſſen zerriſſenen Thraͤnenhaͤderlein uͤber die Achſeln
anzuſehen!
Wie Wenige der neueren Kuͤnſtler uͤberhaupt koͤnnen auf
ihre kleine Subjektivitaͤt reſigniren und das Objektive in ſeiner
Reinheit und Urbedeutung erfaſſen. Wie ſchauen uͤberall die
langhaarigen, weißbekragten, ſchwarzberockten Deutſchen Juͤng-
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