Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.porär zu entgehen sucht, als vielmehr durch blinden Naturtrieb Wo die Noth ist, ist das Schöne nicht, wo das Schöne Gewisse neuere Dichter holen allen ihren Stoff aus Noth, Wie widersprechend und dumm nimmt sich eine essende Wie trüb und unerfreulich ist selbst der göttliche Schiller, Weil die Wenigsten wissen, oder Muth, Resignation und poraͤr zu entgehen ſucht, als vielmehr durch blinden Naturtrieb Wo die Noth iſt, iſt das Schoͤne nicht, wo das Schoͤne Gewiſſe neuere Dichter holen allen ihren Stoff aus Noth, Wie widerſprechend und dumm nimmt ſich eine eſſende Wie truͤb und unerfreulich iſt ſelbſt der goͤttliche Schiller, Weil die Wenigſten wiſſen, oder Muth, Reſignation und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="70"/> poraͤr zu entgehen ſucht, als vielmehr durch blinden Naturtrieb<lb/> hebt der Torquirte den andern Fuß in die Hoͤhe. Es brennt<lb/> aber an dem Erſten ſo ſtark, daß auch dieſer ſich von dem un-<lb/> angenehmen Beruͤhrungspunkt zu entfernen ſucht. Unterdeſſen<lb/> uͤbernimmt der erſte Fuß wieder das Geſchaͤft. Am liebſten<lb/> ſtuͤnde der Menſch auf gar keinem Fuß. Da dieß nun aber<lb/> nicht angeht, ſo bleibt nichts uͤbrig, als fortwaͤhrendes Wech-<lb/> ſeln beider Fuͤße. Je heißer und gluͤhender nun die Eiſenplatte<lb/> wird, um ſo weniger lang haͤlt’s jeder Fuß aus, um ſo ſchnel-<lb/> ler wechſelt das auf Einem Fuß Stehen, um ſo hoͤher ſpringt<lb/> der Gemartete. Dieß iſt ein Indianiſcher Tanz, dem der fuͤrſt-<lb/> liche Hof mit ſehr viel Beifall zuſchaut. Kann hierin die Er-<lb/> findung der Tanzkunſt geſucht werden? So wenig als im<lb/> Hunger die der Eßkunſt.</p><lb/> <p>Wo die Noth iſt, iſt das Schoͤne nicht, wo das Schoͤne<lb/> iſt, iſt keine Noth. Das Schoͤne iſt das gerade Widerſpiel al-<lb/> ler Noth; ein Kunſtwerk, dem man Noth anſieht, iſt nicht ſchoͤn.</p><lb/> <p>Gewiſſe neuere Dichter holen allen ihren Stoff aus Noth,<lb/> Hunger, Elend, Krankheit, Mangel, Abſcheu, Ekel — pfui<lb/> Teufel! — die Waare wird auch darnach.</p><lb/> <p>Wie widerſprechend und dumm nimmt ſich eine eſſende<lb/> Trauerverſammlung aus! Wie widerlich iſt ein Todtenkopf<lb/> mit einem Blumenkranz! Wie unausſtehlich ein Kotzebueſcher<lb/> Ausbruch der Verzweiflung in Verſen!</p><lb/> <p>Wie truͤb und unerfreulich iſt ſelbſt der goͤttliche <hi rendition="#g">Schiller</hi>,<lb/> wo er jammert und z. B. ſeine Melancholie an Laura winſelt!<lb/> Wie kaum ertraͤglich wird der ſonſt ſo menſchlich ſchoͤne und<lb/> liebenswuͤrdige <hi rendition="#g">Jean Paul</hi>, wenn er einen Mann zwei Baͤnde<lb/> lang uͤber ſeinen bevorſtehenden Tod lamentiren laͤßt, und zu<lb/> wie vielen Mißgriffen haben ſolche falſche Molltoͤne erſt Andere<lb/> veranlaßt!</p><lb/> <p>Weil die Wenigſten wiſſen, oder Muth, Reſignation und<lb/> Kraft haben, zu begreifen, was Kunſt iſt, draͤngt ſich Alles<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0084]
poraͤr zu entgehen ſucht, als vielmehr durch blinden Naturtrieb
hebt der Torquirte den andern Fuß in die Hoͤhe. Es brennt
aber an dem Erſten ſo ſtark, daß auch dieſer ſich von dem un-
angenehmen Beruͤhrungspunkt zu entfernen ſucht. Unterdeſſen
uͤbernimmt der erſte Fuß wieder das Geſchaͤft. Am liebſten
ſtuͤnde der Menſch auf gar keinem Fuß. Da dieß nun aber
nicht angeht, ſo bleibt nichts uͤbrig, als fortwaͤhrendes Wech-
ſeln beider Fuͤße. Je heißer und gluͤhender nun die Eiſenplatte
wird, um ſo weniger lang haͤlt’s jeder Fuß aus, um ſo ſchnel-
ler wechſelt das auf Einem Fuß Stehen, um ſo hoͤher ſpringt
der Gemartete. Dieß iſt ein Indianiſcher Tanz, dem der fuͤrſt-
liche Hof mit ſehr viel Beifall zuſchaut. Kann hierin die Er-
findung der Tanzkunſt geſucht werden? So wenig als im
Hunger die der Eßkunſt.
Wo die Noth iſt, iſt das Schoͤne nicht, wo das Schoͤne
iſt, iſt keine Noth. Das Schoͤne iſt das gerade Widerſpiel al-
ler Noth; ein Kunſtwerk, dem man Noth anſieht, iſt nicht ſchoͤn.
Gewiſſe neuere Dichter holen allen ihren Stoff aus Noth,
Hunger, Elend, Krankheit, Mangel, Abſcheu, Ekel — pfui
Teufel! — die Waare wird auch darnach.
Wie widerſprechend und dumm nimmt ſich eine eſſende
Trauerverſammlung aus! Wie widerlich iſt ein Todtenkopf
mit einem Blumenkranz! Wie unausſtehlich ein Kotzebueſcher
Ausbruch der Verzweiflung in Verſen!
Wie truͤb und unerfreulich iſt ſelbſt der goͤttliche Schiller,
wo er jammert und z. B. ſeine Melancholie an Laura winſelt!
Wie kaum ertraͤglich wird der ſonſt ſo menſchlich ſchoͤne und
liebenswuͤrdige Jean Paul, wenn er einen Mann zwei Baͤnde
lang uͤber ſeinen bevorſtehenden Tod lamentiren laͤßt, und zu
wie vielen Mißgriffen haben ſolche falſche Molltoͤne erſt Andere
veranlaßt!
Weil die Wenigſten wiſſen, oder Muth, Reſignation und
Kraft haben, zu begreifen, was Kunſt iſt, draͤngt ſich Alles
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