auszeichnen. Es genügt ihm vollkommen, wenn er sich's sel- ber recht und zu Dank gemacht.
Der unglückliche Kunst- und Rangstreit ist ihm fremd. Nicht nur ordnet er sich bescheiden allen anderen Künstlern, selbst dem Tanz- und Fechtkünstler, unter, sondern er schätzt mit der humansten Toleranz alles Geschmackvolle, gehöre es nun dieser oder jener Kunstgattung an. Er weiß das Historische eines großen in Oel gemalten Friedensmalers von Sandrart eben so zu würdigen, als in der kleinsten radirten Skizze von Geßner mit Butterbrod, Milch und Käse das Idyllische. Er fühlt das Schöne der Hühner, Gänse und Enten eines Hondekoeter so lebhaft, wie das der Weintrauben eines van Aelst, und streitet nie darüber, ob Wildpret von Weeninx oder Früchte von Coo- semans gelungener seien. Mit gleicher Liebe betrachtet er Ka- ninchen von Koning, Rebhühner von Fyt und Schnepfen von Sintzenich. Indem er einen Haasen von Sneyders bewun- dert, findet er die einladende Reinlichkeit der blinkenden Kry- stall- und Perlmuttergefäße eines Kalf nicht minder schön. Selbst irgend ein Gurkenschild als einen Keimpunkt von Still- leben betrachtet er mit Antheil. Ueberhaupt verweilt er bei den Stillleben mit einiger Vorliebe, nur kann er die Todtenköpfe eines van Streeck nicht ausstehen, und er bedauert es sehr, daß diese lieblichen Stillleben gegenwärtig so wenig mehr gelten. Weniger als ein auf der Zerstörung von Jerusalem sitzender Jeremias, sagt er, macht auf uns gar keinen Eindruck mehr. Unsere dumme, zerrissene Zeit findet an dem friedlich unschuldig lieblichen Kunstzweig keinen Geschmack. Da forciren sich die Leute, die Qualen und Martern der Spanischen Schule schön zu finden, glauben widrige Kreuzabnahmen und pergamentar- tig ausgemergelte eckige altdeutsche Steckenmichel angaffen und loben zu müssen, und schauen den Stern einer angeschnittenen Citrone, wo die Kerne so zart und aufrichtig durch's saftige Fleisch schimmern, und ein schön geformtes lichtbeglänztes
auszeichnen. Es genuͤgt ihm vollkommen, wenn er ſich’s ſel- ber recht und zu Dank gemacht.
Der ungluͤckliche Kunſt- und Rangſtreit iſt ihm fremd. Nicht nur ordnet er ſich beſcheiden allen anderen Kuͤnſtlern, ſelbſt dem Tanz- und Fechtkuͤnſtler, unter, ſondern er ſchaͤtzt mit der humanſten Toleranz alles Geſchmackvolle, gehoͤre es nun dieſer oder jener Kunſtgattung an. Er weiß das Hiſtoriſche eines großen in Oel gemalten Friedensmalers von Sandrart eben ſo zu wuͤrdigen, als in der kleinſten radirten Skizze von Geßner mit Butterbrod, Milch und Kaͤſe das Idylliſche. Er fuͤhlt das Schoͤne der Huͤhner, Gaͤnſe und Enten eines Hondekoeter ſo lebhaft, wie das der Weintrauben eines van Aelſt, und ſtreitet nie daruͤber, ob Wildpret von Weeninx oder Fruͤchte von Coo- ſemans gelungener ſeien. Mit gleicher Liebe betrachtet er Ka- ninchen von Koning, Rebhuͤhner von Fyt und Schnepfen von Sintzenich. Indem er einen Haaſen von Sneyders bewun- dert, findet er die einladende Reinlichkeit der blinkenden Kry- ſtall- und Perlmuttergefaͤße eines Kalf nicht minder ſchoͤn. Selbſt irgend ein Gurkenſchild als einen Keimpunkt von Still- leben betrachtet er mit Antheil. Ueberhaupt verweilt er bei den Stillleben mit einiger Vorliebe, nur kann er die Todtenkoͤpfe eines van Streeck nicht ausſtehen, und er bedauert es ſehr, daß dieſe lieblichen Stillleben gegenwaͤrtig ſo wenig mehr gelten. Weniger als ein auf der Zerſtoͤrung von Jeruſalem ſitzender Jeremias, ſagt er, macht auf uns gar keinen Eindruck mehr. Unſere dumme, zerriſſene Zeit findet an dem friedlich unſchuldig lieblichen Kunſtzweig keinen Geſchmack. Da forciren ſich die Leute, die Qualen und Martern der Spaniſchen Schule ſchoͤn zu finden, glauben widrige Kreuzabnahmen und pergamentar- tig ausgemergelte eckige altdeutſche Steckenmichel angaffen und loben zu muͤſſen, und ſchauen den Stern einer angeſchnittenen Citrone, wo die Kerne ſo zart und aufrichtig durch’s ſaftige Fleiſch ſchimmern, und ein ſchoͤn geformtes lichtbeglaͤnztes
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Der ungluͤckliche Kunſt- und Rangſtreit iſt ihm fremd.
Nicht nur ordnet er ſich beſcheiden allen anderen Kuͤnſtlern, ſelbſt
dem Tanz- und Fechtkuͤnſtler, unter, ſondern er ſchaͤtzt mit der
humanſten Toleranz alles Geſchmackvolle, gehoͤre es nun dieſer
oder jener Kunſtgattung an. Er weiß das Hiſtoriſche eines
großen in Oel gemalten Friedensmalers von Sandrart eben ſo
zu wuͤrdigen, als in der kleinſten radirten Skizze von Geßner
mit Butterbrod, Milch und Kaͤſe das Idylliſche. Er fuͤhlt das
Schoͤne der Huͤhner, Gaͤnſe und Enten eines Hondekoeter ſo
lebhaft, wie das der Weintrauben eines van Aelſt, und ſtreitet
nie daruͤber, ob Wildpret von Weeninx oder Fruͤchte von Coo-
ſemans gelungener ſeien. Mit gleicher Liebe betrachtet er Ka-
ninchen von Koning, Rebhuͤhner von Fyt und Schnepfen von
Sintzenich. Indem er einen Haaſen von Sneyders bewun-
dert, findet er die einladende Reinlichkeit der blinkenden Kry-
ſtall- und Perlmuttergefaͤße eines Kalf nicht minder ſchoͤn.
Selbſt irgend ein Gurkenſchild als einen Keimpunkt von Still-
leben betrachtet er mit Antheil. Ueberhaupt verweilt er bei den
Stillleben mit einiger Vorliebe, nur kann er die Todtenkoͤpfe
eines van Streeck nicht ausſtehen, und er bedauert es ſehr, daß
dieſe lieblichen Stillleben gegenwaͤrtig ſo wenig mehr gelten.
Weniger als ein auf der Zerſtoͤrung von Jeruſalem ſitzender
Jeremias, ſagt er, macht auf uns gar keinen Eindruck mehr.
Unſere dumme, zerriſſene Zeit findet an dem friedlich unſchuldig
lieblichen Kunſtzweig keinen Geſchmack. Da forciren ſich die
Leute, die Qualen und Martern der Spaniſchen Schule ſchoͤn
zu finden, glauben widrige Kreuzabnahmen und pergamentar-
tig ausgemergelte eckige altdeutſche Steckenmichel angaffen und
loben zu muͤſſen, und ſchauen den Stern einer angeſchnittenen
Citrone, wo die Kerne ſo zart und aufrichtig durch’s ſaftige
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/87>, abgerufen am 16.02.2025.
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