Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen- Eine verbreitete höhere Eßkunst müßte freilich auch die Dieses Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkünstler Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen- Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0088" n="74"/> Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen-<lb/> den Meſſers, den ſchoͤnen Uebergang der weißen feinen Haaſen-<lb/> haare am Bauch in die braͤunlichen des Ruͤckens, ein paar zartbe-<lb/> fiederte Rebhuͤhner daneben, kaum an. Ich will, faͤhrt er fort,<lb/> zwei hundert Maler im Nu zuſammen haben, die Schlachtſtuͤcke<lb/> malen, wozu <hi rendition="#g">Eduard Collow</hi> im vorjaͤhrigen Kunſtblatt ein<lb/> ſo ergoͤtzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Maͤuler und<lb/> Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen<lb/> im Stande ſind, welches das Anſchauen verlohnte.</p><lb/> <p>Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die<lb/> Kochkunſt heben und beſſern. Geſcheidter waͤr’s aber, die Ver-<lb/> beſſerung der Eßkunſt ginge von denen aus, die kochen.</p><lb/> <p>Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler<lb/> keineswegs, die in der erſten Vorleſung ausgeſprochene Freß-<lb/> tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, ſagt<lb/> er, in der Natur muß ich gelten laſſen, was da iſt und<lb/> wie es da iſt, und mag es ſo befremdend, ſchauerlich und<lb/> ungeheuerlich ſein als es will, — wobei mir es immer noch<lb/> freiſteht, die appetitlichſte Seite hervorzuheben — in der Kunſt<lb/> will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes,<lb/> makelloſes Sein, lediglich das Schoͤne und gar nichts An-<lb/> deres, als allein das Schoͤne, und nur das Schoͤne. Aller-<lb/> dings iſt mir eine fluͤchtige Skizze lieber als ein noch ſo ausge-<lb/> fuͤhrtes gelecktes Gemaͤlde, wenn jene geſchmackvoll und geſcheidt,<lb/> und dieſes es nicht iſt. Es bedeutet aber Alles etwas und<lb/> dem, der denkt, kann Alles Symbol ſein; das blos Bedeutende<lb/> jedoch, wenn es nicht ſchoͤn iſt, gehoͤrt wo anders hin, als in<lb/> die Kunſt. Dreiecke und Hieroglyphen ſind keine Kunſtwerke.<lb/> Bornitur aber iſt der Kunſt und Natur zu enge. Ich habe,<lb/> verſichert er, nicht das Mindeſte gegen chriſtliche Kunſt und bin<lb/> ein Chriſt wie irgend ein anderer auch, — aber wenn ich, wo<lb/> ich auch hinſchauen mag, oben und unten, links und rechts,<lb/> hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [74/0088]
Stengelglas, den zierlichen Perlmuttergriff eines dabei liegen-
den Meſſers, den ſchoͤnen Uebergang der weißen feinen Haaſen-
haare am Bauch in die braͤunlichen des Ruͤckens, ein paar zartbe-
fiederte Rebhuͤhner daneben, kaum an. Ich will, faͤhrt er fort,
zwei hundert Maler im Nu zuſammen haben, die Schlachtſtuͤcke
malen, wozu Eduard Collow im vorjaͤhrigen Kunſtblatt ein
ſo ergoͤtzliches Rezept mitgetheilt, daß die Leute Maͤuler und
Augen aufreißen; keine zwanzig aber, die ein Stillleben zu malen
im Stande ſind, welches das Anſchauen verlohnte.
Eine verbreitete hoͤhere Eßkunſt muͤßte freilich auch die
Kochkunſt heben und beſſern. Geſcheidter waͤr’s aber, die Ver-
beſſerung der Eßkunſt ginge von denen aus, die kochen.
Dieſes Lob der zarten Stillleben hindert den Eßkuͤnſtler
keineswegs, die in der erſten Vorleſung ausgeſprochene Freß-
tendenz der Natur als wirklich anzuerkennen. Denn, ſagt
er, in der Natur muß ich gelten laſſen, was da iſt und
wie es da iſt, und mag es ſo befremdend, ſchauerlich und
ungeheuerlich ſein als es will, — wobei mir es immer noch
freiſteht, die appetitlichſte Seite hervorzuheben — in der Kunſt
will ich gar nichts Anderes, als vollkommenes, vollendetes,
makelloſes Sein, lediglich das Schoͤne und gar nichts An-
deres, als allein das Schoͤne, und nur das Schoͤne. Aller-
dings iſt mir eine fluͤchtige Skizze lieber als ein noch ſo ausge-
fuͤhrtes gelecktes Gemaͤlde, wenn jene geſchmackvoll und geſcheidt,
und dieſes es nicht iſt. Es bedeutet aber Alles etwas und
dem, der denkt, kann Alles Symbol ſein; das blos Bedeutende
jedoch, wenn es nicht ſchoͤn iſt, gehoͤrt wo anders hin, als in
die Kunſt. Dreiecke und Hieroglyphen ſind keine Kunſtwerke.
Bornitur aber iſt der Kunſt und Natur zu enge. Ich habe,
verſichert er, nicht das Mindeſte gegen chriſtliche Kunſt und bin
ein Chriſt wie irgend ein anderer auch, — aber wenn ich, wo
ich auch hinſchauen mag, oben und unten, links und rechts,
hinten und vorn, in der Mitte und an allen Seiten nichts weiter,
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