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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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gar nichts Anderes sehe, als immer und immer nur christ-
liche Kunst, so möchte ich vor lauter Christlichkeit des Teufels
werden. Jeder Tropf hebt jetzt die Finger hoch in die Höhe
und schlägt sein Kreuz, und wo die Natur zum Künstler zu
kurz ist, legt man den Christen unter. Wie werden unsere
Nachkommen wieder zu restauriren bekommen, wenn sie die
über nackte Göttinnen gemalten Kutten wieder anschaffen müs-
sen, die wir weggeschafft haben und jetzt wieder drüber malen!
Mit Teufels Gewalt soll auf einmal Alles und Alles christlich
sein, und wahrscheinlich stimmen die armen Stillleben auch nicht
mit der christlichen Weltanschauung überein. Warum hat sich
doch der Farnesische Herkules die Unverschämtheit herausneh-
men können, dazusein, ehe Ihr ihn habt taufen können? oder
warum holt Ihr's nicht noch nach, und gebt ihm statt der
Keule ein Kreuz in die Hand? S'ist gegenwärtig die schönste
Zeit dazu!

Man sieht, der Eßkünstler kann auch in Eifer kommen.
Trotz dieses Eifers aber, oder vielmehr eben dieses Eifers für
die Sache wegen, ist ihm der bekannte garstige Künstlerneid
völlig fremd. Im Gefühl eigner Kraft beneidet er keinen auch
noch so reichbegabten Collegen, niemals verkleinert er die Ver-
dienste Anderer, läßt vielmehr jedem aufrichtig volle Gerechtig-
keit widerfahren. Das einzige Eigene hat er an sich, daß er
nicht gerne an Einem Tisch (namentlich wenn derselbe nicht
sehr vollständig besetzt ist) mit mehreren ausgezeichneten Eßvir-
tuosen zusammentrifft.

Wie viel Nachahmungswerthes in dem Gesagten liegt,
brauche ich nicht erst weiter darzuthun. Aber die bildenden
Künstler könnten auch vom Eßkünstler lernen, wie ein Mensch,
der irgend etwas darstellt, wieder dargestellt sein will. Nämlich
so, daß man sieht, dieß stellt dieser dargestellte Mensch dar,
nicht aber, dieß will er darstellen. Ich meine z. B., ich hab'
nichts gegen irgend einen muthwilligen Karl oder Fritz, der

gar nichts Anderes ſehe, als immer und immer nur chriſt-
liche Kunſt, ſo moͤchte ich vor lauter Chriſtlichkeit des Teufels
werden. Jeder Tropf hebt jetzt die Finger hoch in die Hoͤhe
und ſchlaͤgt ſein Kreuz, und wo die Natur zum Kuͤnſtler zu
kurz iſt, legt man den Chriſten unter. Wie werden unſere
Nachkommen wieder zu reſtauriren bekommen, wenn ſie die
uͤber nackte Goͤttinnen gemalten Kutten wieder anſchaffen muͤſ-
ſen, die wir weggeſchafft haben und jetzt wieder druͤber malen!
Mit Teufels Gewalt ſoll auf einmal Alles und Alles chriſtlich
ſein, und wahrſcheinlich ſtimmen die armen Stillleben auch nicht
mit der chriſtlichen Weltanſchauung uͤberein. Warum hat ſich
doch der Farneſiſche Herkules die Unverſchaͤmtheit herausneh-
men koͤnnen, dazuſein, ehe Ihr ihn habt taufen koͤnnen? oder
warum holt Ihr’s nicht noch nach, und gebt ihm ſtatt der
Keule ein Kreuz in die Hand? S’iſt gegenwaͤrtig die ſchoͤnſte
Zeit dazu!

Man ſieht, der Eßkuͤnſtler kann auch in Eifer kommen.
Trotz dieſes Eifers aber, oder vielmehr eben dieſes Eifers fuͤr
die Sache wegen, iſt ihm der bekannte garſtige Kuͤnſtlerneid
voͤllig fremd. Im Gefuͤhl eigner Kraft beneidet er keinen auch
noch ſo reichbegabten Collegen, niemals verkleinert er die Ver-
dienſte Anderer, laͤßt vielmehr jedem aufrichtig volle Gerechtig-
keit widerfahren. Das einzige Eigene hat er an ſich, daß er
nicht gerne an Einem Tiſch (namentlich wenn derſelbe nicht
ſehr vollſtaͤndig beſetzt iſt) mit mehreren ausgezeichneten Eßvir-
tuoſen zuſammentrifft.

Wie viel Nachahmungswerthes in dem Geſagten liegt,
brauche ich nicht erſt weiter darzuthun. Aber die bildenden
Kuͤnſtler koͤnnten auch vom Eßkuͤnſtler lernen, wie ein Menſch,
der irgend etwas darſtellt, wieder dargeſtellt ſein will. Naͤmlich
ſo, daß man ſieht, dieß ſtellt dieſer dargeſtellte Menſch dar,
nicht aber, dieß will er darſtellen. Ich meine z. B., ich hab’
nichts gegen irgend einen muthwilligen Karl oder Fritz, der

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[75/0089] gar nichts Anderes ſehe, als immer und immer nur chriſt- liche Kunſt, ſo moͤchte ich vor lauter Chriſtlichkeit des Teufels werden. Jeder Tropf hebt jetzt die Finger hoch in die Hoͤhe und ſchlaͤgt ſein Kreuz, und wo die Natur zum Kuͤnſtler zu kurz iſt, legt man den Chriſten unter. Wie werden unſere Nachkommen wieder zu reſtauriren bekommen, wenn ſie die uͤber nackte Goͤttinnen gemalten Kutten wieder anſchaffen muͤſ- ſen, die wir weggeſchafft haben und jetzt wieder druͤber malen! Mit Teufels Gewalt ſoll auf einmal Alles und Alles chriſtlich ſein, und wahrſcheinlich ſtimmen die armen Stillleben auch nicht mit der chriſtlichen Weltanſchauung uͤberein. Warum hat ſich doch der Farneſiſche Herkules die Unverſchaͤmtheit herausneh- men koͤnnen, dazuſein, ehe Ihr ihn habt taufen koͤnnen? oder warum holt Ihr’s nicht noch nach, und gebt ihm ſtatt der Keule ein Kreuz in die Hand? S’iſt gegenwaͤrtig die ſchoͤnſte Zeit dazu! Man ſieht, der Eßkuͤnſtler kann auch in Eifer kommen. Trotz dieſes Eifers aber, oder vielmehr eben dieſes Eifers fuͤr die Sache wegen, iſt ihm der bekannte garſtige Kuͤnſtlerneid voͤllig fremd. Im Gefuͤhl eigner Kraft beneidet er keinen auch noch ſo reichbegabten Collegen, niemals verkleinert er die Ver- dienſte Anderer, laͤßt vielmehr jedem aufrichtig volle Gerechtig- keit widerfahren. Das einzige Eigene hat er an ſich, daß er nicht gerne an Einem Tiſch (namentlich wenn derſelbe nicht ſehr vollſtaͤndig beſetzt iſt) mit mehreren ausgezeichneten Eßvir- tuoſen zuſammentrifft. Wie viel Nachahmungswerthes in dem Geſagten liegt, brauche ich nicht erſt weiter darzuthun. Aber die bildenden Kuͤnſtler koͤnnten auch vom Eßkuͤnſtler lernen, wie ein Menſch, der irgend etwas darſtellt, wieder dargeſtellt ſein will. Naͤmlich ſo, daß man ſieht, dieß ſtellt dieſer dargeſtellte Menſch dar, nicht aber, dieß will er darſtellen. Ich meine z. B., ich hab’ nichts gegen irgend einen muthwilligen Karl oder Fritz, der

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/89>, abgerufen am 17.05.2024.