Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.voll kräftiger Jugendlust springt und klettert, weil's ganz natür- Diesen Fehler findet man nie bei'm wahren Eßkünstler. voll kraͤftiger Jugendluſt ſpringt und klettert, weil’s ganz natuͤr- Dieſen Fehler findet man nie bei’m wahren Eßkuͤnſtler. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0090" n="76"/> voll kraͤftiger Jugendluſt ſpringt und klettert, weil’s ganz natuͤr-<lb/> lich iſt. Wenn dieſer muthwillige Karl aber weiß, daß er muthwil-<lb/> lig iſt, und es iſt, und mich fragt: bin ich nicht der allerliebſte<lb/> muthwillige Karl, ſo moͤcht’ ich dem Buͤrſchlein einen Naſen-<lb/> ſtuͤber geben. Es gefaͤllt mir gar wohl, wenn ich einen Herku-<lb/> les im kraͤftigen Zorn die Wucht ſeiner Keule ſchwingen ſehe.<lb/> Wenn mich aber deſſen Augen fragen: bin ich nicht ein tuͤchti-<lb/> ger Herkules, deſſen Keule zwei Zentner Bairiſch Gewicht ſchwer<lb/> iſt, und ſchwing’ ich ſie nicht mit Kraft und Anſtand? — ſo<lb/> lach’ ich dem Kerl in’s Geſicht und geh’ meines Wegs. Da<lb/> iſt ein Gemaͤlde des beruͤhmten <hi rendition="#g">G<hi rendition="#aq">é</hi>rard</hi> (<hi rendition="#aq">Psyche recevant<lb/> le premier baiser de l’Amour</hi>), uͤber das die Franzoſen und<lb/> andere Leute in Entzuͤcken geriethen. Es iſt doch weiter nichts,<lb/> als ein Page, der auf Befehl Sr. Majeſtaͤt des Koͤnigs von<lb/> Frankreich <hi rendition="#g">Charles</hi> <hi rendition="#aq">X</hi> Angeſichts des ganzen Hofes einer<lb/> Prinzeſſin einen Kuß giebt. Man ſieht’s ihm an, daß er weiß,<lb/> wer ihm zuſchaut, und wie er an die Tanzmeiſter-Pas denkt,<lb/> die er am anſtaͤndigſten dazu zu machen hat. Aehnliches wird<lb/> man in den meiſten Gemaͤlden und Bildwerken der Franzoſen<lb/> finden. Wie ſie ſelbſt bei jedem, was ſie thun, vor Allem, oft<lb/> ganz allein, daran denken, wie ſie ſich dabei ausnehmen, ſo<lb/> muͤſſen das auch Goͤtter und Helden ſo machen. Da iſt auch<lb/> das charakteriſtiſche franzoͤſiſche <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">se plaire,</hi></hi> und es gehoͤrt gegen-<lb/> waͤrtig auch in Deutſchland zum guten Ton, daß jeder Menſch<lb/> von einiger Diſtinktion, wenn er ein Geck iſt, ſagt, nicht: es<lb/> habe ihm dort gefallen, ſondern: er habe ſich dort gefallen.<lb/> „Meine Frau gefaͤllt ſich recht wohl in Baden!“ — kann ſein,<lb/> lieber Gedankenloſer, Andern auch.</p><lb/> <p>Dieſen Fehler findet man nie bei’m wahren Eßkuͤnſtler.<lb/> Niemals wird er irgend zeigen, er wiſſe und gebe zu bedenken,<lb/> wie ſchoͤn er eſſe. Je groͤßer die Virtuoſitaͤt, um ſo weniger<lb/> merkt man Abſicht, je geſicherter die Leichtigkeit, um ſo weni-<lb/> ger denkt man an die Schwierigkeit. Der groͤßte Eßkuͤnſtler<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [76/0090]
voll kraͤftiger Jugendluſt ſpringt und klettert, weil’s ganz natuͤr-
lich iſt. Wenn dieſer muthwillige Karl aber weiß, daß er muthwil-
lig iſt, und es iſt, und mich fragt: bin ich nicht der allerliebſte
muthwillige Karl, ſo moͤcht’ ich dem Buͤrſchlein einen Naſen-
ſtuͤber geben. Es gefaͤllt mir gar wohl, wenn ich einen Herku-
les im kraͤftigen Zorn die Wucht ſeiner Keule ſchwingen ſehe.
Wenn mich aber deſſen Augen fragen: bin ich nicht ein tuͤchti-
ger Herkules, deſſen Keule zwei Zentner Bairiſch Gewicht ſchwer
iſt, und ſchwing’ ich ſie nicht mit Kraft und Anſtand? — ſo
lach’ ich dem Kerl in’s Geſicht und geh’ meines Wegs. Da
iſt ein Gemaͤlde des beruͤhmten Gérard (Psyche recevant
le premier baiser de l’Amour), uͤber das die Franzoſen und
andere Leute in Entzuͤcken geriethen. Es iſt doch weiter nichts,
als ein Page, der auf Befehl Sr. Majeſtaͤt des Koͤnigs von
Frankreich Charles X Angeſichts des ganzen Hofes einer
Prinzeſſin einen Kuß giebt. Man ſieht’s ihm an, daß er weiß,
wer ihm zuſchaut, und wie er an die Tanzmeiſter-Pas denkt,
die er am anſtaͤndigſten dazu zu machen hat. Aehnliches wird
man in den meiſten Gemaͤlden und Bildwerken der Franzoſen
finden. Wie ſie ſelbſt bei jedem, was ſie thun, vor Allem, oft
ganz allein, daran denken, wie ſie ſich dabei ausnehmen, ſo
muͤſſen das auch Goͤtter und Helden ſo machen. Da iſt auch
das charakteriſtiſche franzoͤſiſche se plaire, und es gehoͤrt gegen-
waͤrtig auch in Deutſchland zum guten Ton, daß jeder Menſch
von einiger Diſtinktion, wenn er ein Geck iſt, ſagt, nicht: es
habe ihm dort gefallen, ſondern: er habe ſich dort gefallen.
„Meine Frau gefaͤllt ſich recht wohl in Baden!“ — kann ſein,
lieber Gedankenloſer, Andern auch.
Dieſen Fehler findet man nie bei’m wahren Eßkuͤnſtler.
Niemals wird er irgend zeigen, er wiſſe und gebe zu bedenken,
wie ſchoͤn er eſſe. Je groͤßer die Virtuoſitaͤt, um ſo weniger
merkt man Abſicht, je geſicherter die Leichtigkeit, um ſo weni-
ger denkt man an die Schwierigkeit. Der groͤßte Eßkuͤnſtler
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