wird am natürlichsten und ungezwungensten zu essen scheinen, ja er wird schön essen, ohne es zu wissen und zu wollen. Das ist Gipfel und Blüthe der Eßkunst. Wohlgemerkt, gilt das Gesagte vom Eßvirtuosen; denn kein Künstler ist in größerer Gefahr, in's Uebertriebene und Unschöne zu fallen, als der Eß- künstler.
Um nun auf die einzelnen Künste zu kommen, so hat sich keine andere Kunst mit der Eßkunst so innig zu verschwistern gesucht, als die Musik, was schon das Wort: "Tafelmusik" be- zeugt. Wir haben zwar faktisch auch eine Tafelpoesie; aber der Name ist noch nicht üblich.
Diese Tafelmusiken sind uralt. Homer, der die Sache verstand, sagt, daß die Harfe dem Mahle zur Freundin die Götter gegeben. Nun kommen die lieben Ausleger und erwei- sen, es habe bei den Gastmählern der alten Helden häufig Prü- gel gegeben, und deßhalb, -- nämlich um dem vorzubeugen und die durch Wein aufgeregten Gemüther zu besänftigen, zu beschwichtigen, mild zu stimmen, so daß sie nicht an's Raufen und Schlagen dächten, oder entstehende leichtere Zerwürfnisse, Rippenstöße und dergleichen abzuleiten oder zu versöhnen (ut ea, quae a liberaliori compotatione obvenire solent, incommoda averterent) und nicht zur Lust und Ergötzung (non animi causa et ad fovendas voluptates) -- deßhalb haben die Alten Tafelmusik gemacht. Dieß sagt Albrecht in seiner 1734 zu Leipzig erschienenen Abhandlung über die Wirkungen der Mu- sik auf den beseelten Körper, und sagt, daß dieß Plutarch ge- sagt habe, welcher sagt, daß dieß Aristoxenus gesagt habe.
Der erhabene Platon hat eine ähnliche schwärmerische Idee von der Musik überhaupt, indem er meint, nicht zur sinn- lichen Lust sei die Musik gegeben, sondern um die Menschen in gesellige Zustände zu bannen, zu zähmen, und vor Verirrun- gen, Leidenschaften und Exzessen zu bewahren. Das ist ganz die Poesie eines Polizeidieners. Der klare Sirach ist hier viel
wird am natuͤrlichſten und ungezwungenſten zu eſſen ſcheinen, ja er wird ſchoͤn eſſen, ohne es zu wiſſen und zu wollen. Das iſt Gipfel und Bluͤthe der Eßkunſt. Wohlgemerkt, gilt das Geſagte vom Eßvirtuoſen; denn kein Kuͤnſtler iſt in groͤßerer Gefahr, in’s Uebertriebene und Unſchoͤne zu fallen, als der Eß- kuͤnſtler.
Um nun auf die einzelnen Kuͤnſte zu kommen, ſo hat ſich keine andere Kunſt mit der Eßkunſt ſo innig zu verſchwiſtern geſucht, als die Muſik, was ſchon das Wort: „Tafelmuſik“ be- zeugt. Wir haben zwar faktiſch auch eine Tafelpoeſie; aber der Name iſt noch nicht uͤblich.
Dieſe Tafelmuſiken ſind uralt. Homer, der die Sache verſtand, ſagt, daß die Harfe dem Mahle zur Freundin die Goͤtter gegeben. Nun kommen die lieben Ausleger und erwei- ſen, es habe bei den Gaſtmaͤhlern der alten Helden haͤufig Pruͤ- gel gegeben, und deßhalb, — naͤmlich um dem vorzubeugen und die durch Wein aufgeregten Gemuͤther zu beſaͤnftigen, zu beſchwichtigen, mild zu ſtimmen, ſo daß ſie nicht an’s Raufen und Schlagen daͤchten, oder entſtehende leichtere Zerwuͤrfniſſe, Rippenſtoͤße und dergleichen abzuleiten oder zu verſoͤhnen (ut ea, quae a liberaliori compotatione obvenire solent, incommoda averterent) und nicht zur Luſt und Ergoͤtzung (non animi causa et ad fovendas voluptates) — deßhalb haben die Alten Tafelmuſik gemacht. Dieß ſagt Albrecht in ſeiner 1734 zu Leipzig erſchienenen Abhandlung uͤber die Wirkungen der Mu- ſik auf den beſeelten Koͤrper, und ſagt, daß dieß Plutarch ge- ſagt habe, welcher ſagt, daß dieß Ariſtoxenus geſagt habe.
Der erhabene Platon hat eine aͤhnliche ſchwaͤrmeriſche Idee von der Muſik uͤberhaupt, indem er meint, nicht zur ſinn- lichen Luſt ſei die Muſik gegeben, ſondern um die Menſchen in geſellige Zuſtaͤnde zu bannen, zu zaͤhmen, und vor Verirrun- gen, Leidenſchaften und Exzeſſen zu bewahren. Das iſt ganz die Poeſie eines Polizeidieners. Der klare Sirach iſt hier viel
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wird am natuͤrlichſten und ungezwungenſten zu eſſen ſcheinen,
ja er wird ſchoͤn eſſen, ohne es zu wiſſen und zu wollen. Das
iſt Gipfel und Bluͤthe der Eßkunſt. Wohlgemerkt, gilt das
Geſagte vom Eßvirtuoſen; denn kein Kuͤnſtler iſt in groͤßerer
Gefahr, in’s Uebertriebene und Unſchoͤne zu fallen, als der Eß-
kuͤnſtler.
Um nun auf die einzelnen Kuͤnſte zu kommen, ſo hat ſich
keine andere Kunſt mit der Eßkunſt ſo innig zu verſchwiſtern
geſucht, als die Muſik, was ſchon das Wort: „Tafelmuſik“ be-
zeugt. Wir haben zwar faktiſch auch eine Tafelpoeſie; aber
der Name iſt noch nicht uͤblich.
Dieſe Tafelmuſiken ſind uralt. Homer, der die Sache
verſtand, ſagt, daß die Harfe dem Mahle zur Freundin die
Goͤtter gegeben. Nun kommen die lieben Ausleger und erwei-
ſen, es habe bei den Gaſtmaͤhlern der alten Helden haͤufig Pruͤ-
gel gegeben, und deßhalb, — naͤmlich um dem vorzubeugen
und die durch Wein aufgeregten Gemuͤther zu beſaͤnftigen, zu
beſchwichtigen, mild zu ſtimmen, ſo daß ſie nicht an’s Raufen
und Schlagen daͤchten, oder entſtehende leichtere Zerwuͤrfniſſe,
Rippenſtoͤße und dergleichen abzuleiten oder zu verſoͤhnen (ut ea,
quae a liberaliori compotatione obvenire solent, incommoda
averterent) und nicht zur Luſt und Ergoͤtzung (non animi
causa et ad fovendas voluptates) — deßhalb haben die Alten
Tafelmuſik gemacht. Dieß ſagt Albrecht in ſeiner 1734 zu
Leipzig erſchienenen Abhandlung uͤber die Wirkungen der Mu-
ſik auf den beſeelten Koͤrper, und ſagt, daß dieß Plutarch ge-
ſagt habe, welcher ſagt, daß dieß Ariſtoxenus geſagt habe.
Der erhabene Platon hat eine aͤhnliche ſchwaͤrmeriſche
Idee von der Muſik uͤberhaupt, indem er meint, nicht zur ſinn-
lichen Luſt ſei die Muſik gegeben, ſondern um die Menſchen in
geſellige Zuſtaͤnde zu bannen, zu zaͤhmen, und vor Verirrun-
gen, Leidenſchaften und Exzeſſen zu bewahren. Das iſt ganz
die Poeſie eines Polizeidieners. Der klare Sirach iſt hier viel
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/91>, abgerufen am 16.02.2025.
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