Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

steigert die unheimliche Erwartung. Pause. -- Wieder ein-
zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hörer in Absätzen, wie bei
der Hinrichtung durch's Rad, beigebracht, machen die Sache
immer peinlicher. Neue Pause. -- Nun meint man kommt
was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden sämmt-
liche Instrumente von plötzlich ausbrechender heftigster Tobsucht
ergriffen, ein wahnsinniges Furioso prestissimo fortissimo
raset los, und es vergeht einem vernünftigen Menschen Hören
und Sehen. Man hofft immer auf's Ende. Der Componist
neckt aber mit den immer scheinbar genäherten und wieder ent-
zogenen, immer wiederkehrenden Schlußsätzen den unglücklichen
Hörer, wie ein barbarischer Krieger den Wehrlosen mit dem
letzten Todesstoß, oder ein naseweiser Junge seinen Pudel mit
der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne gerückten heißersehnten
Bratwurst.

Mit dergleichen sollte man zum Tode verurtheilte arme
Sünder martern und sie, wenn sie die Musik überstanden ha-
ben, begnadigen; aber jeden unschuldigen Menschen, oder wenig-
stens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verschonen.

In Summa: Will man anders Tafelmusik, so wähle
man, um des Himmels willen, keine Zahnschmerz erregende
Blechmusik im Zimmer, keine ernsten Posaunen, keinen Trom-
mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenschmettern, keinen
Janitscharenlärm; eben so wenig aber Herz- und Schmerz-
stücke, Sehnsuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und
Adagio, sondern leichte tändelnde Allegro, kleinere Andante-
Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D-
dur.
Oboen, Klarinetten, Flöten, Hörner, Fagotts, mit Dis-
cretion geblasen, genügen, und sind wohl am schicklichsten.
Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey-
nolds
gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den
Hauptgegenstand und vernachlässigte absichtlich die Neben- und
Beiwerke, um die Aufmerksamkeit nicht von jenem abzulenken.

ſteigert die unheimliche Erwartung. Pauſe. — Wieder ein-
zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hoͤrer in Abſaͤtzen, wie bei
der Hinrichtung durch’s Rad, beigebracht, machen die Sache
immer peinlicher. Neue Pauſe. — Nun meint man kommt
was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden ſaͤmmt-
liche Inſtrumente von ploͤtzlich ausbrechender heftigſter Tobſucht
ergriffen, ein wahnſinniges Furioso prestissimo fortissimo
raſet los, und es vergeht einem vernuͤnftigen Menſchen Hoͤren
und Sehen. Man hofft immer auf’s Ende. Der Componiſt
neckt aber mit den immer ſcheinbar genaͤherten und wieder ent-
zogenen, immer wiederkehrenden Schlußſaͤtzen den ungluͤcklichen
Hoͤrer, wie ein barbariſcher Krieger den Wehrloſen mit dem
letzten Todesſtoß, oder ein naſeweiſer Junge ſeinen Pudel mit
der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geruͤckten heißerſehnten
Bratwurſt.

Mit dergleichen ſollte man zum Tode verurtheilte arme
Suͤnder martern und ſie, wenn ſie die Muſik uͤberſtanden ha-
ben, begnadigen; aber jeden unſchuldigen Menſchen, oder wenig-
ſtens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verſchonen.

In Summa: Will man anders Tafelmuſik, ſo waͤhle
man, um des Himmels willen, keine Zahnſchmerz erregende
Blechmuſik im Zimmer, keine ernſten Poſaunen, keinen Trom-
mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenſchmettern, keinen
Janitſcharenlaͤrm; eben ſo wenig aber Herz- und Schmerz-
ſtuͤcke, Sehnſuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und
Adagio, ſondern leichte taͤndelnde Allegro, kleinere Andante-
Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D-
dur.
Oboen, Klarinetten, Floͤten, Hoͤrner, Fagotts, mit Dis-
cretion geblaſen, genuͤgen, und ſind wohl am ſchicklichſten.
Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey-
nolds
gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den
Hauptgegenſtand und vernachlaͤſſigte abſichtlich die Neben- und
Beiwerke, um die Aufmerkſamkeit nicht von jenem abzulenken.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0094" n="80"/>
&#x017F;teigert die unheimliche Erwartung. Pau&#x017F;e. &#x2014; Wieder ein-<lb/>
zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Ho&#x0364;rer in Ab&#x017F;a&#x0364;tzen, wie bei<lb/>
der Hinrichtung durch&#x2019;s Rad, beigebracht, machen die Sache<lb/>
immer peinlicher. Neue Pau&#x017F;e. &#x2014; Nun meint man kommt<lb/>
was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden &#x017F;a&#x0364;mmt-<lb/>
liche In&#x017F;trumente von plo&#x0364;tzlich ausbrechender heftig&#x017F;ter Tob&#x017F;ucht<lb/>
ergriffen, ein wahn&#x017F;inniges <hi rendition="#aq">Furioso prestissimo fortissimo</hi><lb/>
ra&#x017F;et los, und es vergeht einem vernu&#x0364;nftigen Men&#x017F;chen Ho&#x0364;ren<lb/>
und Sehen. Man hofft immer auf&#x2019;s Ende. Der Componi&#x017F;t<lb/>
neckt aber mit den immer &#x017F;cheinbar gena&#x0364;herten und wieder ent-<lb/>
zogenen, immer wiederkehrenden Schluß&#x017F;a&#x0364;tzen den unglu&#x0364;cklichen<lb/>
Ho&#x0364;rer, wie ein barbari&#x017F;cher Krieger den Wehrlo&#x017F;en mit dem<lb/>
letzten Todes&#x017F;toß, oder ein na&#x017F;ewei&#x017F;er Junge &#x017F;einen Pudel mit<lb/>
der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geru&#x0364;ckten heißer&#x017F;ehnten<lb/>
Bratwur&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Mit dergleichen &#x017F;ollte man zum Tode verurtheilte arme<lb/>
Su&#x0364;nder martern und &#x017F;ie, wenn &#x017F;ie die Mu&#x017F;ik u&#x0364;ber&#x017F;tanden ha-<lb/>
ben, begnadigen; aber jeden un&#x017F;chuldigen Men&#x017F;chen, oder wenig-<lb/>
&#x017F;tens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig ver&#x017F;chonen.</p><lb/>
        <p>In Summa: Will man anders Tafelmu&#x017F;ik, &#x017F;o wa&#x0364;hle<lb/>
man, um des Himmels willen, keine Zahn&#x017F;chmerz erregende<lb/>
Blechmu&#x017F;ik im Zimmer, keine ern&#x017F;ten Po&#x017F;aunen, keinen Trom-<lb/>
mel- und Paucken-Donner, kein Trompeten&#x017F;chmettern, keinen<lb/>
Janit&#x017F;charenla&#x0364;rm; eben &#x017F;o wenig aber Herz- und Schmerz-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;cke, Sehn&#x017F;uchtswalzer und Molltonarten, keine <hi rendition="#aq">Largo</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">Adagio,</hi> &#x017F;ondern leichte ta&#x0364;ndelnde <hi rendition="#aq">Allegro,</hi> kleinere <hi rendition="#aq">Andante-</hi><lb/>
Symphonieen, <hi rendition="#aq">Rondo, Pastorale etc.</hi> einfach aus <hi rendition="#aq">C-</hi> oder <hi rendition="#aq">D-<lb/>
dur.</hi> Oboen, Klarinetten, Flo&#x0364;ten, Ho&#x0364;rner, Fagotts, mit Dis-<lb/>
cretion gebla&#x017F;en, genu&#x0364;gen, und &#x017F;ind wohl am &#x017F;chicklich&#x017F;ten.<lb/>
Das Verfahren des wackeren Portraitmalers <hi rendition="#aq">Joshua Rey-<lb/>
nolds</hi> gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den<lb/>
Hauptgegen&#x017F;tand und vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igte ab&#x017F;ichtlich die Neben- und<lb/>
Beiwerke, um die Aufmerk&#x017F;amkeit nicht von jenem abzulenken.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[80/0094] ſteigert die unheimliche Erwartung. Pauſe. — Wieder ein- zelne pizzicato Baß-Achtel, dem Hoͤrer in Abſaͤtzen, wie bei der Hinrichtung durch’s Rad, beigebracht, machen die Sache immer peinlicher. Neue Pauſe. — Nun meint man kommt was. Auf einmal, man weiß gar nicht warum, werden ſaͤmmt- liche Inſtrumente von ploͤtzlich ausbrechender heftigſter Tobſucht ergriffen, ein wahnſinniges Furioso prestissimo fortissimo raſet los, und es vergeht einem vernuͤnftigen Menſchen Hoͤren und Sehen. Man hofft immer auf’s Ende. Der Componiſt neckt aber mit den immer ſcheinbar genaͤherten und wieder ent- zogenen, immer wiederkehrenden Schlußſaͤtzen den ungluͤcklichen Hoͤrer, wie ein barbariſcher Krieger den Wehrloſen mit dem letzten Todesſtoß, oder ein naſeweiſer Junge ſeinen Pudel mit der vorgehaltenen, bald nahe bald ferne geruͤckten heißerſehnten Bratwurſt. Mit dergleichen ſollte man zum Tode verurtheilte arme Suͤnder martern und ſie, wenn ſie die Muſik uͤberſtanden ha- ben, begnadigen; aber jeden unſchuldigen Menſchen, oder wenig- ſtens wer nichts recht Schweres verbrochen, billig verſchonen. In Summa: Will man anders Tafelmuſik, ſo waͤhle man, um des Himmels willen, keine Zahnſchmerz erregende Blechmuſik im Zimmer, keine ernſten Poſaunen, keinen Trom- mel- und Paucken-Donner, kein Trompetenſchmettern, keinen Janitſcharenlaͤrm; eben ſo wenig aber Herz- und Schmerz- ſtuͤcke, Sehnſuchtswalzer und Molltonarten, keine Largo und Adagio, ſondern leichte taͤndelnde Allegro, kleinere Andante- Symphonieen, Rondo, Pastorale etc. einfach aus C- oder D- dur. Oboen, Klarinetten, Floͤten, Hoͤrner, Fagotts, mit Dis- cretion geblaſen, genuͤgen, und ſind wohl am ſchicklichſten. Das Verfahren des wackeren Portraitmalers Joshua Rey- nolds gilt als Grundregel. Er wandte allen Fleiß auf den Hauptgegenſtand und vernachlaͤſſigte abſichtlich die Neben- und Beiwerke, um die Aufmerkſamkeit nicht von jenem abzulenken.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/94
Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/94>, abgerufen am 17.05.2024.