Gesang von wirklichen Sängern oder gar Sängerinnen wäre viel zu gut zur Tafelmusik.
Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang- same Tempi passen nicht. Nun bringt aber muntere, schnell fortschreitende Musik in dem Hörer unwillkührliche entsprechen- de rasche Bewegungen hervor und könnten also selbst einen sonst taktfesten Esser aus der Mensur bringen und Anlaß zum zu schnell Essen geben. Es ist also am gerathensten, mit Tafelmu- sik zunächst die Zwischenpausen, in denen nicht gegessen wird, die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht aufgetragen ist, auszufüllen, auch wohl das Dessert damit accompagniren zu lassen. Musik nach dem Essen ist eigentlich keine Tafelmusik mehr.
Die Malerei und höhere Plastik kann und soll unmittel- bar zum Essen nichts contribuiren. Hören und Essen zugleich geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speisen, beeinträchtigt das Essen auf ungebührliche Weise. Höchstens möchten gemalte Blumenvasen passiren. Fein gedacht ist der Rath des Herrn von Rumohr: Alabastervasen mit meist ge- ruchlosen Blumen auf die Tafel zu stellen. Uebrigens reichte hier wohl die Plastik der Zuckerbäcker aus. Aber diese Kunst verfehlt ganz ihren Zweck, wenn sie etwas bildet, was man nicht essen kann. Eben so geht sie zu weit, wenn sie so schön und zierlich bildet, daß es dem ästhetischen Gewissen des Essers Ueberwindung kostet, so schöne Formen zu zerstören. Noch verfehlter ist's, wenn sie Bildungen darstellt, die man aus Zorn zerbeißen möchte. Ich habe einen spannlangen Straßburger Münster von Zucker gesehen. Ein glänzender Beweis, in wel- chem Maaße die Deutsche Kunst und der große Erwin von Steinbach immer lebendigere Anerkennung findet.
Mehr als die Bildhauerkunst hat die Baukunst zu leisten. Im Sommer kühle, große, luftige Marmorsäle, im Winter hinlänglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Räume, --
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Geſang von wirklichen Saͤngern oder gar Saͤngerinnen waͤre viel zu gut zur Tafelmuſik.
Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang- ſame Tempi paſſen nicht. Nun bringt aber muntere, ſchnell fortſchreitende Muſik in dem Hoͤrer unwillkuͤhrliche entſprechen- de raſche Bewegungen hervor und koͤnnten alſo ſelbſt einen ſonſt taktfeſten Eſſer aus der Menſur bringen und Anlaß zum zu ſchnell Eſſen geben. Es iſt alſo am gerathenſten, mit Tafelmu- ſik zunaͤchſt die Zwiſchenpauſen, in denen nicht gegeſſen wird, die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht aufgetragen iſt, auszufuͤllen, auch wohl das Deſſert damit accompagniren zu laſſen. Muſik nach dem Eſſen iſt eigentlich keine Tafelmuſik mehr.
Die Malerei und hoͤhere Plaſtik kann und ſoll unmittel- bar zum Eſſen nichts contribuiren. Hoͤren und Eſſen zugleich geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speiſen, beeintraͤchtigt das Eſſen auf ungebuͤhrliche Weiſe. Hoͤchſtens moͤchten gemalte Blumenvaſen paſſiren. Fein gedacht iſt der Rath des Herrn von Rumohr: Alabaſtervaſen mit meiſt ge- ruchloſen Blumen auf die Tafel zu ſtellen. Uebrigens reichte hier wohl die Plaſtik der Zuckerbaͤcker aus. Aber dieſe Kunſt verfehlt ganz ihren Zweck, wenn ſie etwas bildet, was man nicht eſſen kann. Eben ſo geht ſie zu weit, wenn ſie ſo ſchoͤn und zierlich bildet, daß es dem aͤſthetiſchen Gewiſſen des Eſſers Ueberwindung koſtet, ſo ſchoͤne Formen zu zerſtoͤren. Noch verfehlter iſt’s, wenn ſie Bildungen darſtellt, die man aus Zorn zerbeißen moͤchte. Ich habe einen ſpannlangen Straßburger Muͤnſter von Zucker geſehen. Ein glaͤnzender Beweis, in wel- chem Maaße die Deutſche Kunſt und der große Erwin von Steinbach immer lebendigere Anerkennung findet.
Mehr als die Bildhauerkunſt hat die Baukunſt zu leiſten. Im Sommer kuͤhle, große, luftige Marmorſaͤle, im Winter hinlaͤnglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Raͤume, —
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Geſang von wirklichen Saͤngern oder gar Saͤngerinnen waͤre
viel zu gut zur Tafelmuſik.
Die Sache hat aber immer noch ihr Bedenkliches. Lang-
ſame Tempi paſſen nicht. Nun bringt aber muntere, ſchnell
fortſchreitende Muſik in dem Hoͤrer unwillkuͤhrliche entſprechen-
de raſche Bewegungen hervor und koͤnnten alſo ſelbſt einen ſonſt
taktfeſten Eſſer aus der Menſur bringen und Anlaß zum zu
ſchnell Eſſen geben. Es iſt alſo am gerathenſten, mit Tafelmu-
ſik zunaͤchſt die Zwiſchenpauſen, in denen nicht gegeſſen wird,
die Zeit, wo ein Gericht abgetragen, und das andere noch nicht
aufgetragen iſt, auszufuͤllen, auch wohl das Deſſert damit
accompagniren zu laſſen. Muſik nach dem Eſſen iſt eigentlich
keine Tafelmuſik mehr.
Die Malerei und hoͤhere Plaſtik kann und ſoll unmittel-
bar zum Eſſen nichts contribuiren. Hoͤren und Eſſen zugleich
geht wohl noch. Jedes Sehen aber, außer dem auf die Speiſen,
beeintraͤchtigt das Eſſen auf ungebuͤhrliche Weiſe. Hoͤchſtens
moͤchten gemalte Blumenvaſen paſſiren. Fein gedacht iſt der
Rath des Herrn von Rumohr: Alabaſtervaſen mit meiſt ge-
ruchloſen Blumen auf die Tafel zu ſtellen. Uebrigens reichte
hier wohl die Plaſtik der Zuckerbaͤcker aus. Aber dieſe Kunſt
verfehlt ganz ihren Zweck, wenn ſie etwas bildet, was man
nicht eſſen kann. Eben ſo geht ſie zu weit, wenn ſie ſo ſchoͤn
und zierlich bildet, daß es dem aͤſthetiſchen Gewiſſen des Eſſers
Ueberwindung koſtet, ſo ſchoͤne Formen zu zerſtoͤren. Noch
verfehlter iſt’s, wenn ſie Bildungen darſtellt, die man aus Zorn
zerbeißen moͤchte. Ich habe einen ſpannlangen Straßburger
Muͤnſter von Zucker geſehen. Ein glaͤnzender Beweis, in wel-
chem Maaße die Deutſche Kunſt und der große Erwin von
Steinbach immer lebendigere Anerkennung findet.
Mehr als die Bildhauerkunſt hat die Baukunſt zu leiſten.
Im Sommer kuͤhle, große, luftige Marmorſaͤle, im Winter
hinlaͤnglich erheitzbare behagliche, nicht zu enge Raͤume, —
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/95>, abgerufen am 16.02.2025.
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