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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Hermann Conradi.
"Licht den Lebendigen!"

Originalbeitrag.

Stets habe ich mich denen zugesellt,
Die, ausgestoßen, nur des Tempels Stufen
Und nie das Allerheiligste betreten ...
Umsonst erklingt ihr banges Hülferufen,
Umsonst springt von den Lippen brünstig Beten,
Umsonst ersteht aus ihnen -- ach! -- ein Held,
Der sie aus ihrer Knechtschaft an das Licht
Der gold'nen Freiheit führen will -- ein Sieger:
Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger --
Doch die Galeerenketten bricht er nicht! ...
Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt
Von Anbeginn der Welt als ein Verhängniß --
Das Leben ist für sie nur ein Gefängniß --
Sie sterben in der Tiefe -- Keiner siegt!
Stets habe ich mich ihnen zugesellt:
Frommt dem Poeten denn -- ich frag' es dreist --
Ein ander Loos? Wo sich in bangen Qualen
Um nie gelöste Räthsel müht ein Geist;
Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen,
Der Hunger seine Fingerspur geprägt;
Wo sich in wildem Ingrimm eine Hand
Zur Faust zusammenballt; wo, stets verkannt,
Ein Mann im Innersten Empörung hegt --
Empörung gegen sie, die Kettenschmieder:
Da tret' ich hin und singe meine Lieder --
Ja! Lieder, die ich nicht erkünstelt und erdacht,
Die ich aus tiefstem Seelenschacht,
Aus meiner Herzens Tiefe trug an's Licht --
Und was ich nicht gefühlt, das sing' ich nicht!
Wohl soll des Sängers Lied auf Wunden leise
Den Balsam legen! Von den Stirnen banne
Die Furchen es und Thränen aus den Augen . . . .
Doch giebt's auch Lieder, die dazu nicht taugen:
Hermann Conradi.
„Licht den Lebendigen!“

Originalbeitrag.

Stets habe ich mich denen zugeſellt,
Die, ausgeſtoßen, nur des Tempels Stufen
Und nie das Allerheiligſte betreten …
Umſonſt erklingt ihr banges Hülferufen,
Umſonſt ſpringt von den Lippen brünſtig Beten,
Umſonſt erſteht aus ihnen — ach! — ein Held,
Der ſie aus ihrer Knechtſchaft an das Licht
Der gold’nen Freiheit führen will — ein Sieger:
Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger —
Doch die Galeerenketten bricht er nicht! …
Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt
Von Anbeginn der Welt als ein Verhängniß —
Das Leben iſt für ſie nur ein Gefängniß —
Sie ſterben in der Tiefe — Keiner ſiegt!
Stets habe ich mich ihnen zugeſellt:
Frommt dem Poeten denn — ich frag’ es dreiſt —
Ein ander Loos? Wo ſich in bangen Qualen
Um nie gelöſte Räthſel müht ein Geiſt;
Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen,
Der Hunger ſeine Fingerſpur geprägt;
Wo ſich in wildem Ingrimm eine Hand
Zur Fauſt zuſammenballt; wo, ſtets verkannt,
Ein Mann im Innerſten Empörung hegt —
Empörung gegen ſie, die Kettenſchmieder:
Da tret’ ich hin und ſinge meine Lieder —
Ja! Lieder, die ich nicht erkünſtelt und erdacht,
Die ich aus tiefſtem Seelenſchacht,
Aus meiner Herzens Tiefe trug an’s Licht —
Und was ich nicht gefühlt, das ſing’ ich nicht!
Wohl ſoll des Sängers Lied auf Wunden leiſe
Den Balſam legen! Von den Stirnen banne
Die Furchen es und Thränen aus den Augen . . . .
Doch giebt’s auch Lieder, die dazu nicht taugen:
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[92/0110] Hermann Conradi. „Licht den Lebendigen!“ Originalbeitrag. Stets habe ich mich denen zugeſellt, Die, ausgeſtoßen, nur des Tempels Stufen Und nie das Allerheiligſte betreten … Umſonſt erklingt ihr banges Hülferufen, Umſonſt ſpringt von den Lippen brünſtig Beten, Umſonſt erſteht aus ihnen — ach! — ein Held, Der ſie aus ihrer Knechtſchaft an das Licht Der gold’nen Freiheit führen will — ein Sieger: Er fällt im Kampf wie ein gemeiner Krieger — Doch die Galeerenketten bricht er nicht! … Er bricht den Fluch nicht, der auf ihnen liegt Von Anbeginn der Welt als ein Verhängniß — Das Leben iſt für ſie nur ein Gefängniß — Sie ſterben in der Tiefe — Keiner ſiegt! Stets habe ich mich ihnen zugeſellt: Frommt dem Poeten denn — ich frag’ es dreiſt — Ein ander Loos? Wo ſich in bangen Qualen Um nie gelöſte Räthſel müht ein Geiſt; Wo auf die Wangen, die verfallnen, fahlen, Der Hunger ſeine Fingerſpur geprägt; Wo ſich in wildem Ingrimm eine Hand Zur Fauſt zuſammenballt; wo, ſtets verkannt, Ein Mann im Innerſten Empörung hegt — Empörung gegen ſie, die Kettenſchmieder: Da tret’ ich hin und ſinge meine Lieder — Ja! Lieder, die ich nicht erkünſtelt und erdacht, Die ich aus tiefſtem Seelenſchacht, Aus meiner Herzens Tiefe trug an’s Licht — Und was ich nicht gefühlt, das ſing’ ich nicht! Wohl ſoll des Sängers Lied auf Wunden leiſe Den Balſam legen! Von den Stirnen banne Die Furchen es und Thränen aus den Augen . . . . Doch giebt’s auch Lieder, die dazu nicht taugen:

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/110>, abgerufen am 23.11.2024.