Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Einleitung. vollen Bildnerkraft, seiner lebendigen Künstlerwahrheit, seiner freien, kosmo-politisch-germanischen Weltanschauung, uns jüngeren Stürmern und Drängern, die wir alles epigonenhafte Schablonenthum über den Haufen werfen wollen, weil in uns ein neuer Geist lebt, wohl Meister und Führer sein. Aber wir brauchen nicht blindlings seiner Spur zu folgen. Der Geist, In dieser Anthologie eint sich ein solcher Stamm von Lyrikern, die sich Keiner legt sich damit eine Widernatürlichkeit auf -- zieht damit ein Einleitung. vollen Bildnerkraft, ſeiner lebendigen Künſtlerwahrheit, ſeiner freien, kosmo-politiſch-germaniſchen Weltanſchauung, uns jüngeren Stürmern und Drängern, die wir alles epigonenhafte Schablonenthum über den Haufen werfen wollen, weil in uns ein neuer Geiſt lebt, wohl Meiſter und Führer ſein. Aber wir brauchen nicht blindlings ſeiner Spur zu folgen. Der Geiſt, In dieſer Anthologie eint ſich ein ſolcher Stamm von Lyrikern, die ſich Keiner legt ſich damit eine Widernatürlichkeit auf — zieht damit ein <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013" n="III"/><fw place="top" type="header">Einleitung.</fw><lb/> vollen Bildnerkraft, ſeiner lebendigen Künſtlerwahrheit, ſeiner freien, kosmo-<lb/> politiſch-germaniſchen Weltanſchauung, uns jüngeren Stürmern und Drängern,<lb/> die wir alles epigonenhafte Schablonenthum über den Haufen werfen wollen,<lb/> weil in uns ein <hi rendition="#g">neuer</hi> Geiſt lebt, wohl Meiſter und Führer ſein.</p><lb/> <p>Aber wir brauchen nicht blindlings ſeiner Spur zu folgen. Der Geiſt,<lb/> der uns treibt zu ſingen und zu ſagen, darf ſich ſein eigen Bett graben.<lb/> Denn er iſt der Geiſt wiedererwachter Nationalität. Er iſt germaniſchen<lb/> Weſens, das all fremden Flitters und Tandes nicht bedarf. Er iſt ſo reich,<lb/> ſo tief, ſo tongewaltig, daß auf unſerer Laute alle Weiſen anklingen können,<lb/> wenn er in ſeiner Unergründlichkeit und Urſprünglichkeit uns ganz beherrſcht.<lb/> Dann werden wir endlich aufhören, loſe, leichte, leichtſinnige Schelmenlieder<lb/> und unwahre Spielmannsweiſen zum Beſten zu geben — dann wird jener<lb/> ſelig-unſelige, menſchlich-göttliche, gewaltige fauſtiſche Drang wieder über uns<lb/> kommen, der uns all den nichtigen Plunder vergeſſen läßt; der uns wieder<lb/> ſehgewaltig, welt- und menſchengläubig macht; der uns das luſtige Faſchings-<lb/> kleid vom Leibe reißt und dafür den Flügelmantel der Poeten, des wahren<lb/> und großen, des allſehenden und allmächtigen Künſtlers, um die Glieder<lb/> ſchmiegt — den Mantel, der uns aufwärts trägt auf die Bergzinnen, wo<lb/> das Licht und die Freiheit wohnen, und hinab in die Abgründe, wo die<lb/> Armen und Heimathloſen kargend und duldend hauſen, um ſie zu tröſten<lb/> und Balſam auf ihre bluttriefenden Wunden zu legen. Dann werden die<lb/> Dichter ihrer wahren Miſſion ſich wieder bewußt werden. Hüter und Heger,<lb/> Führer und Tröſter, Pfadfinder und Weggeleiter, Aerzte und Prieſter der<lb/> Menſchen zu ſein. Und vor Allen die, denen ein echtes Lied von der Lippe<lb/> ſpringt — ein Lied, das in die Herzen einſchlägt und zündet; das die Schläfer<lb/> weckt, die Müden ſtärkt; die Frevler ſchreckt, die Schwelger und Wüſtlinge<lb/> von ihren Pfühlen wirft — brandmarkt oder wiedergeboren werden läßt!<lb/> Vor Allen alſo die <hi rendition="#g">Lyriker!</hi></p><lb/> <p>In dieſer Anthologie eint ſich ein ſolcher Stamm von Lyrikern, die ſich<lb/> das Gelübde auferlegt, ſtets nur dieſer höheren, edleren, tieferen Auf-<lb/> faſſung ihrer Kunſt huldigen zu wollen.</p><lb/> <p>Keiner legt ſich damit eine Widernatürlichkeit auf — zieht damit ein<lb/> Moment in ſein Schaffen, das ſeiner Individualität fremd wäre. Schranken-<lb/> loſe, unbedingte Ausbildung ihrer künſtleriſchen Individualität iſt ja die<lb/> Lebensparole dieſer Rebellen und Neuerer. Damit ſtellen ſie ſich von vorn-<lb/> herein zu gewiſſen Hauptſtrömungen des modernen <hi rendition="#g">ſozialen</hi> Lebens in<lb/> Contraſt. Und doch ſteht der Dichter auch wieder, eben kraft ſeines Künſtler-<lb/></p> </div> </front> </text> </TEI> [III/0013]
Einleitung.
vollen Bildnerkraft, ſeiner lebendigen Künſtlerwahrheit, ſeiner freien, kosmo-
politiſch-germaniſchen Weltanſchauung, uns jüngeren Stürmern und Drängern,
die wir alles epigonenhafte Schablonenthum über den Haufen werfen wollen,
weil in uns ein neuer Geiſt lebt, wohl Meiſter und Führer ſein.
Aber wir brauchen nicht blindlings ſeiner Spur zu folgen. Der Geiſt,
der uns treibt zu ſingen und zu ſagen, darf ſich ſein eigen Bett graben.
Denn er iſt der Geiſt wiedererwachter Nationalität. Er iſt germaniſchen
Weſens, das all fremden Flitters und Tandes nicht bedarf. Er iſt ſo reich,
ſo tief, ſo tongewaltig, daß auf unſerer Laute alle Weiſen anklingen können,
wenn er in ſeiner Unergründlichkeit und Urſprünglichkeit uns ganz beherrſcht.
Dann werden wir endlich aufhören, loſe, leichte, leichtſinnige Schelmenlieder
und unwahre Spielmannsweiſen zum Beſten zu geben — dann wird jener
ſelig-unſelige, menſchlich-göttliche, gewaltige fauſtiſche Drang wieder über uns
kommen, der uns all den nichtigen Plunder vergeſſen läßt; der uns wieder
ſehgewaltig, welt- und menſchengläubig macht; der uns das luſtige Faſchings-
kleid vom Leibe reißt und dafür den Flügelmantel der Poeten, des wahren
und großen, des allſehenden und allmächtigen Künſtlers, um die Glieder
ſchmiegt — den Mantel, der uns aufwärts trägt auf die Bergzinnen, wo
das Licht und die Freiheit wohnen, und hinab in die Abgründe, wo die
Armen und Heimathloſen kargend und duldend hauſen, um ſie zu tröſten
und Balſam auf ihre bluttriefenden Wunden zu legen. Dann werden die
Dichter ihrer wahren Miſſion ſich wieder bewußt werden. Hüter und Heger,
Führer und Tröſter, Pfadfinder und Weggeleiter, Aerzte und Prieſter der
Menſchen zu ſein. Und vor Allen die, denen ein echtes Lied von der Lippe
ſpringt — ein Lied, das in die Herzen einſchlägt und zündet; das die Schläfer
weckt, die Müden ſtärkt; die Frevler ſchreckt, die Schwelger und Wüſtlinge
von ihren Pfühlen wirft — brandmarkt oder wiedergeboren werden läßt!
Vor Allen alſo die Lyriker!
In dieſer Anthologie eint ſich ein ſolcher Stamm von Lyrikern, die ſich
das Gelübde auferlegt, ſtets nur dieſer höheren, edleren, tieferen Auf-
faſſung ihrer Kunſt huldigen zu wollen.
Keiner legt ſich damit eine Widernatürlichkeit auf — zieht damit ein
Moment in ſein Schaffen, das ſeiner Individualität fremd wäre. Schranken-
loſe, unbedingte Ausbildung ihrer künſtleriſchen Individualität iſt ja die
Lebensparole dieſer Rebellen und Neuerer. Damit ſtellen ſie ſich von vorn-
herein zu gewiſſen Hauptſtrömungen des modernen ſozialen Lebens in
Contraſt. Und doch ſteht der Dichter auch wieder, eben kraft ſeines Künſtler-
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