Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Heinrich Hart. Ach welch Hoffen, ach welch Sinnen, Welch ein Jubel, welch ein Minnen Riß uns flammend einst empor. Die Natur zu unsern Füßen -- Wollten wir das Licht begrüßen, Wo es strahlend quillt hervor. Auf des Dampfes Sturmesflügeln Träumten wir die Welt zu zügeln, Allem Erdenstaub entrückt. Alle Sorge sollte schwinden, Liebe sich zu Liebe finden, Alle Kluft war überbrückt. Traum, wie bald bist du vergangen, Lauter Schreckniß, lauter Bangen Hat in Nebel uns gehüllt. Unser Blut tropft aus den Poren, Unser Mark ist eiserfroren, Wie vom Tod sind wir erfüllt. Ob wir an des Nordmeer's Strande Ziehn, ob tief im Wüstensande, -- Unsren Weg umheult der Streit. Fried' und Freude schleicht verlassen, Und die Noth stürmt durch die Gassen, Wild umschwärmt von Haß und Neid. Wie zwei Bettler, frech verhöhnet, -- Die wir einst so stolz gekrönet -- Irren Freiheit hin und Recht. "Heil den Ketten, die uns binden, Die uns ziehn und niederwinden, Goldne Ketten!" jauchzt der Knecht. Doch dem Aar gleich, der geblendet Sterbend sich zur Sonne wendet, Harren wir in Brünsten dein. Wirf die Thore auf, Jahrhundert, Komm herab, begrüßt, bewundert, Zeuch' mit Morgensturmwind ein. Heinrich Hart. Ach welch Hoffen, ach welch Sinnen, Welch ein Jubel, welch ein Minnen Riß uns flammend einſt empor. Die Natur zu unſern Füßen — Wollten wir das Licht begrüßen, Wo es ſtrahlend quillt hervor. Auf des Dampfes Sturmesflügeln Träumten wir die Welt zu zügeln, Allem Erdenſtaub entrückt. Alle Sorge ſollte ſchwinden, Liebe ſich zu Liebe finden, Alle Kluft war überbrückt. Traum, wie bald biſt du vergangen, Lauter Schreckniß, lauter Bangen Hat in Nebel uns gehüllt. Unſer Blut tropft aus den Poren, Unſer Mark iſt eiserfroren, Wie vom Tod ſind wir erfüllt. Ob wir an des Nordmeer’s Strande Ziehn, ob tief im Wüſtenſande, — Unſren Weg umheult der Streit. Fried’ und Freude ſchleicht verlaſſen, Und die Noth ſtürmt durch die Gaſſen, Wild umſchwärmt von Haß und Neid. Wie zwei Bettler, frech verhöhnet, — Die wir einſt ſo ſtolz gekrönet — Irren Freiheit hin und Recht. „Heil den Ketten, die uns binden, Die uns ziehn und niederwinden, Goldne Ketten!“ jauchzt der Knecht. Doch dem Aar gleich, der geblendet Sterbend ſich zur Sonne wendet, Harren wir in Brünſten dein. Wirf die Thore auf, Jahrhundert, Komm herab, begrüßt, bewundert, Zeuch’ mit Morgenſturmwind ein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0200" n="182"/> <fw place="top" type="header">Heinrich Hart.</fw><lb/> <lg n="3"> <l>Ach welch Hoffen, ach welch Sinnen,</l><lb/> <l>Welch ein Jubel, welch ein Minnen</l><lb/> <l>Riß uns flammend einſt empor.</l><lb/> <l>Die Natur zu unſern Füßen —</l><lb/> <l>Wollten wir das Licht begrüßen,</l><lb/> <l>Wo es ſtrahlend quillt hervor.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Auf des Dampfes Sturmesflügeln</l><lb/> <l>Träumten wir die Welt zu zügeln,</l><lb/> <l>Allem Erdenſtaub entrückt.</l><lb/> <l>Alle Sorge ſollte ſchwinden,</l><lb/> <l>Liebe ſich zu Liebe finden,</l><lb/> <l>Alle Kluft war überbrückt.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Traum, wie bald biſt du vergangen,</l><lb/> <l>Lauter Schreckniß, lauter Bangen</l><lb/> <l>Hat in Nebel uns gehüllt.</l><lb/> <l>Unſer Blut tropft aus den Poren,</l><lb/> <l>Unſer Mark iſt eiserfroren,</l><lb/> <l>Wie vom Tod ſind wir erfüllt.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ob wir an des Nordmeer’s Strande</l><lb/> <l>Ziehn, ob tief im Wüſtenſande, —</l><lb/> <l>Unſren Weg umheult der Streit.</l><lb/> <l>Fried’ und Freude ſchleicht verlaſſen,</l><lb/> <l>Und die Noth ſtürmt durch die Gaſſen,</l><lb/> <l>Wild umſchwärmt von Haß und Neid.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Wie zwei Bettler, frech verhöhnet, —</l><lb/> <l>Die wir einſt ſo ſtolz gekrönet —</l><lb/> <l>Irren Freiheit hin und Recht.</l><lb/> <l>„Heil den Ketten, die uns binden,</l><lb/> <l>Die uns ziehn und niederwinden,</l><lb/> <l>Goldne Ketten!“ jauchzt der Knecht.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Doch dem Aar gleich, der geblendet</l><lb/> <l>Sterbend ſich zur Sonne wendet,</l><lb/> <l>Harren wir in Brünſten dein.</l><lb/> <l>Wirf die Thore auf, Jahrhundert,</l><lb/> <l>Komm herab, begrüßt, bewundert,</l><lb/> <l>Zeuch’ mit Morgenſturmwind ein.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [182/0200]
Heinrich Hart.
Ach welch Hoffen, ach welch Sinnen,
Welch ein Jubel, welch ein Minnen
Riß uns flammend einſt empor.
Die Natur zu unſern Füßen —
Wollten wir das Licht begrüßen,
Wo es ſtrahlend quillt hervor.
Auf des Dampfes Sturmesflügeln
Träumten wir die Welt zu zügeln,
Allem Erdenſtaub entrückt.
Alle Sorge ſollte ſchwinden,
Liebe ſich zu Liebe finden,
Alle Kluft war überbrückt.
Traum, wie bald biſt du vergangen,
Lauter Schreckniß, lauter Bangen
Hat in Nebel uns gehüllt.
Unſer Blut tropft aus den Poren,
Unſer Mark iſt eiserfroren,
Wie vom Tod ſind wir erfüllt.
Ob wir an des Nordmeer’s Strande
Ziehn, ob tief im Wüſtenſande, —
Unſren Weg umheult der Streit.
Fried’ und Freude ſchleicht verlaſſen,
Und die Noth ſtürmt durch die Gaſſen,
Wild umſchwärmt von Haß und Neid.
Wie zwei Bettler, frech verhöhnet, —
Die wir einſt ſo ſtolz gekrönet —
Irren Freiheit hin und Recht.
„Heil den Ketten, die uns binden,
Die uns ziehn und niederwinden,
Goldne Ketten!“ jauchzt der Knecht.
Doch dem Aar gleich, der geblendet
Sterbend ſich zur Sonne wendet,
Harren wir in Brünſten dein.
Wirf die Thore auf, Jahrhundert,
Komm herab, begrüßt, bewundert,
Zeuch’ mit Morgenſturmwind ein.
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