Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Im einsamen Zimmer, beim Kerzenschein Der Prior saß mit dem Beicht'ger allein. "Nun sage mir an, was Medardus gesprochen, Die Thaten verkünde, die er verbrochen." Ein großes Kreuz der Beichtiger schlug: "Sein heiliges Leben war Lug und Trug; Du sahest ihn oft, wenn am grauenden Tag Er betend auf steinernen Fliesen lag, Du sagtest uns: ,Werdet ihm gleich, meine Kinder,' -- Erfahre, Du segnetest einen Sünder. Du sahst ihn, wie er in brünstiger Wonne Die Augen erhob zu Gottes Madonne, Nicht war es Maria, der all' das galt, Seinen Busen erfüllt' eine andre Gestalt. Sein Antlitz sahst Du, das träumende, milde, Du sahst nicht sein Herz, das gährende, wilde, Sein Haupt war kalt und sein Haar war weiß, Sein Herz von sündigen Gluthen heiß. -- Ich war ein Priester, so sprach er zu mir, Voll Andacht las ich das heil'ge Brevier, Ich las es in Aengsten, ich las es in Gluth, Denn jung war mein Leib und heiß mein Blut. Die blonden Locken vom Haupt mir flossen Wie strömendes Gold, das darüber gegossen, Und als man hineinschnitt die erste Tonsur, Da war es, als mähte man Frühlingsflur. Es war zur Zeit, als im deutschen Land Der böse Teufel zur Macht entstand, Als er die Weiber zur Buhlschaft verführte, Und als man Hexen zum Brandpfahl schnürte. Damals geschah's, ich saß allein, In tiefer Nacht, bei der Lampe Schein, Da schlug es klopfend an meine Thür: ,Komm, Priester, heraus, man verlangt nach Dir.' Die Nacht war schwarz, dumpf heulte der Sturm, Man führete mich hinaus an den Thurm, Tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen -- Mir was es, als würd' ich zur Hölle gerufen. Man gab eine Fackel in meine Hand Und wies mir ein Loch in der steinernen Wand: Ernſt von Wildenbruch. Im einſamen Zimmer, beim Kerzenſchein Der Prior ſaß mit dem Beicht’ger allein. „Nun ſage mir an, was Medardus geſprochen, Die Thaten verkünde, die er verbrochen.“ Ein großes Kreuz der Beichtiger ſchlug: „Sein heiliges Leben war Lug und Trug; Du ſaheſt ihn oft, wenn am grauenden Tag Er betend auf ſteinernen Flieſen lag, Du ſagteſt uns: ‚Werdet ihm gleich, meine Kinder,‘ — Erfahre, Du ſegneteſt einen Sünder. Du ſahſt ihn, wie er in brünſtiger Wonne Die Augen erhob zu Gottes Madonne, Nicht war es Maria, der all’ das galt, Seinen Buſen erfüllt’ eine andre Geſtalt. Sein Antlitz ſahſt Du, das träumende, milde, Du ſahſt nicht ſein Herz, das gährende, wilde, Sein Haupt war kalt und ſein Haar war weiß, Sein Herz von ſündigen Gluthen heiß. — Ich war ein Prieſter, ſo ſprach er zu mir, Voll Andacht las ich das heil’ge Brevier, Ich las es in Aengſten, ich las es in Gluth, Denn jung war mein Leib und heiß mein Blut. Die blonden Locken vom Haupt mir floſſen Wie ſtrömendes Gold, das darüber gegoſſen, Und als man hineinſchnitt die erſte Tonſur, Da war es, als mähte man Frühlingsflur. Es war zur Zeit, als im deutſchen Land Der böſe Teufel zur Macht entſtand, Als er die Weiber zur Buhlſchaft verführte, Und als man Hexen zum Brandpfahl ſchnürte. Damals geſchah’s, ich ſaß allein, In tiefer Nacht, bei der Lampe Schein, Da ſchlug es klopfend an meine Thür: ‚Komm, Prieſter, heraus, man verlangt nach Dir.‘ Die Nacht war ſchwarz, dumpf heulte der Sturm, Man führete mich hinaus an den Thurm, Tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen — Mir was es, als würd’ ich zur Hölle gerufen. Man gab eine Fackel in meine Hand Und wies mir ein Loch in der ſteinernen Wand: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0266" n="248"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>Im einſamen Zimmer, beim Kerzenſchein</l><lb/> <l>Der Prior ſaß mit dem Beicht’ger allein.</l><lb/> <l>„Nun ſage mir an, was Medardus geſprochen,</l><lb/> <l>Die Thaten verkünde, die er verbrochen.“</l><lb/> <l>Ein großes Kreuz der Beichtiger ſchlug:</l><lb/> <l>„Sein heiliges Leben war Lug und Trug;</l><lb/> <l>Du ſaheſt ihn oft, wenn am grauenden Tag</l><lb/> <l>Er betend auf ſteinernen Flieſen lag,</l><lb/> <l>Du ſagteſt uns: ‚Werdet ihm gleich, meine Kinder,‘ —</l><lb/> <l>Erfahre, Du ſegneteſt einen Sünder.</l><lb/> <l>Du ſahſt ihn, wie er in brünſtiger Wonne</l><lb/> <l>Die Augen erhob zu Gottes Madonne,</l><lb/> <l>Nicht war es Maria, der all’ das galt,</l><lb/> <l>Seinen Buſen erfüllt’ eine andre Geſtalt.</l><lb/> <l>Sein Antlitz ſahſt Du, das träumende, milde,</l><lb/> <l>Du ſahſt nicht ſein Herz, das gährende, wilde,</l><lb/> <l>Sein Haupt war kalt und ſein Haar war weiß,</l><lb/> <l>Sein Herz von ſündigen Gluthen heiß. —</l><lb/> <l>Ich war ein Prieſter, ſo ſprach er zu mir,</l><lb/> <l>Voll Andacht las ich das heil’ge Brevier,</l><lb/> <l>Ich las es in Aengſten, ich las es in Gluth,</l><lb/> <l>Denn jung war mein Leib und heiß mein Blut.</l><lb/> <l>Die blonden Locken vom Haupt mir floſſen</l><lb/> <l>Wie ſtrömendes Gold, das darüber gegoſſen,</l><lb/> <l>Und als man hineinſchnitt die erſte Tonſur,</l><lb/> <l>Da war es, als mähte man Frühlingsflur.</l><lb/> <l>Es war zur Zeit, als im deutſchen Land</l><lb/> <l>Der böſe Teufel zur Macht entſtand,</l><lb/> <l>Als er die Weiber zur Buhlſchaft verführte,</l><lb/> <l>Und als man Hexen zum Brandpfahl ſchnürte.</l><lb/> <l>Damals geſchah’s, ich ſaß allein,</l><lb/> <l>In tiefer Nacht, bei der Lampe Schein,</l><lb/> <l>Da ſchlug es klopfend an meine Thür:</l><lb/> <l>‚Komm, Prieſter, heraus, man verlangt nach Dir.‘</l><lb/> <l>Die Nacht war ſchwarz, dumpf heulte der Sturm,</l><lb/> <l>Man führete mich hinaus an den Thurm,</l><lb/> <l>Tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen —</l><lb/> <l>Mir was es, als würd’ ich zur Hölle gerufen.</l><lb/> <l>Man gab eine Fackel in meine Hand</l><lb/> <l>Und wies mir ein Loch in der ſteinernen Wand:</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0266]
Ernſt von Wildenbruch.
Im einſamen Zimmer, beim Kerzenſchein
Der Prior ſaß mit dem Beicht’ger allein.
„Nun ſage mir an, was Medardus geſprochen,
Die Thaten verkünde, die er verbrochen.“
Ein großes Kreuz der Beichtiger ſchlug:
„Sein heiliges Leben war Lug und Trug;
Du ſaheſt ihn oft, wenn am grauenden Tag
Er betend auf ſteinernen Flieſen lag,
Du ſagteſt uns: ‚Werdet ihm gleich, meine Kinder,‘ —
Erfahre, Du ſegneteſt einen Sünder.
Du ſahſt ihn, wie er in brünſtiger Wonne
Die Augen erhob zu Gottes Madonne,
Nicht war es Maria, der all’ das galt,
Seinen Buſen erfüllt’ eine andre Geſtalt.
Sein Antlitz ſahſt Du, das träumende, milde,
Du ſahſt nicht ſein Herz, das gährende, wilde,
Sein Haupt war kalt und ſein Haar war weiß,
Sein Herz von ſündigen Gluthen heiß. —
Ich war ein Prieſter, ſo ſprach er zu mir,
Voll Andacht las ich das heil’ge Brevier,
Ich las es in Aengſten, ich las es in Gluth,
Denn jung war mein Leib und heiß mein Blut.
Die blonden Locken vom Haupt mir floſſen
Wie ſtrömendes Gold, das darüber gegoſſen,
Und als man hineinſchnitt die erſte Tonſur,
Da war es, als mähte man Frühlingsflur.
Es war zur Zeit, als im deutſchen Land
Der böſe Teufel zur Macht entſtand,
Als er die Weiber zur Buhlſchaft verführte,
Und als man Hexen zum Brandpfahl ſchnürte.
Damals geſchah’s, ich ſaß allein,
In tiefer Nacht, bei der Lampe Schein,
Da ſchlug es klopfend an meine Thür:
‚Komm, Prieſter, heraus, man verlangt nach Dir.‘
Die Nacht war ſchwarz, dumpf heulte der Sturm,
Man führete mich hinaus an den Thurm,
Tief unter die Erde, auf gleitenden Stufen —
Mir was es, als würd’ ich zur Hölle gerufen.
Man gab eine Fackel in meine Hand
Und wies mir ein Loch in der ſteinernen Wand:
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